daß ‚die mächtige Schwester Frankreich‘ knapp anderthalb Jahre
später entmachtet sein würde, daß eine der Waffenstillstands¬
bedingungen, die Petain unterzeichnet hatte, die Auslieferung ge¬
wisser Emigranten betraf, nämlich solcher, die in aller
Öffentlichkeit gegen Hitler aufgetreten waren. Eine Liste dieser
Männer und Frauen wurde den französischen Behörden überge¬
ben. Wer nicht schon bei Kriegsausbruch interniert worden war,
wurde dann aufgrund der Auslieferungsliste gejagt. Die Gestapo
sollte sich als gut informiert erweisen, vielleicht befanden sich be¬
reits im Publikum bei Werfels Vorlesung einige deutsche Spitzel.
Viele von denen, die bei Werfels Vorlesung anwesend waren, en¬
deten in deutschen Konzentrationslagern oder in den Gaskam¬
mern.“ (Aus: Warnen und Warten. In: Unser Kampf. In Frankreich
für Österreich. Interviews mit Widerstandskämpfern. Hg. von ER.
Reiter, Wien 1984, S. 28 f)
Ein paar Wochen nach der Werfel-Lesung fand die Griin¬
dungsversammlung der ,,Liga“ im Hotel Lutetia statt: Joseph
Roth, Emil Alphons Rheinhardt, Alfred Polgar und Walther
Tritsch waren da, der Musikkritiker Paul Stefan, der Theater¬
kritiker Ludwig Ullmann und die Maler Merkel und Tischler.
Die „Liga“ plante auch einen österreichischen Freiheitssender,
den Elisabeth Freundlich zusammen mit Walther Tritsch hätte
gestalten sollen. Es blieb beim Plan. Elisabeth Freundlich
wandte sich an Rudolf Leonhard, den Präsidenten des „Schutz¬
verbandes deutscher Schriftsteller“, der täglich Sendungen
nach Deutschland in den Äther schicken konnte, weil er das
Vertrauen des damaligen Informationsministers Jean Girau¬
doux genoß. Ihm brachte sie eine zeitlang jeden Tag ihre Texte,
die dann als Sendungen aus Österreich angekündigt wurden
und zum Teil für Schlagzeilen sorgten. Die Verhaftung Leon¬
hards setzte dieser Zusammenarbeit ein abruptes Ende.
Im Mai 1940 fliehen die Freundlichs mit dem letzten Zug aus
Paris nach Südfrankreich, und nach dem Waffenstillstands¬
abkommen vom 22. Juni, das die Flüchtlinge — wie erwähnt —
mit „Auslieferung auf Verlangen“ bedroht, weiter nach Spanien.
Über Lissabon gelangen sie Ende November 1940 nach New
York. Viele Erlebnisse und Begegnungen aus dem französischen
Exil hat Elisabeth Freundlich in den Erzählungen „Finstere
Zeiten“ geschildert. Man lese sie nach.
In New York schlug sich Elisabeth Freundlich mit Zufalls¬
jobs durch, bis sie eine Anstellung im „Metropolitan Museum
of Art“ bekam. Dieser Anstellung war der Erwerb eines ame¬
rikanischen Bibliothekarsdiploms vorausgegangen. Lehrauf¬
träge u.a. in Princeton folgten.
Die wichtigste Tätigkeit jener Jahre war in ihren Augen je¬
doch die Edition der literarischen Beilage der Exilzeitschrift
„Austro American Tribune“. Für diese Beilage schrieben u.a.
Ferdinand Bruckner, Berthold Viertel, Hermann Broch, Franz
Theodor Csokor, Heinrich Mann, Albert Ehrenstein sowie der
ihr schon aus Paris bekannte Ludwig Ullmann. Auch Bertolt
Brecht konnte sie gewinnen. Nach Kriegsende druckte die
„Tribune“ den Aufruf von Viktor Matejka, der in den ersten
Nachkriegsjahren Kulturstadtrat von Wien war, an die
Emigranten, daß sie zurückkehren sollten. In Deutschland gab es
keinen Aufruf dieser Art.
1945 heiratete Elisabeth Freundlich Günther Anders. Er folg¬
te ihr 1950 nach Wien. „‚Hätte ich gewußt, mit welchen Schwie¬
rigkeiten ich nach meiner Rückkehr zu kämpfen haben würde,
vielleicht hätte ich nicht den Mut aufgebracht, diesen Schritt zu
tun“, heißt es in ihren Erinnerungen. Mißtrauen und Engstir¬
nigkeit umgaben sie. „Wir waren ja die ‚reichen Amerikaner‘ und
obendrein noch Juden.“
Elisabeth Freundlich wollte sich in Wien als Schriftstellerin eta¬
blieren. Im Reisegepäck befanden sich das Manuskript zu dem
Roman „Der Seelenvogel“ und u.a. die Erzählungen ‚Im
Steingebirg“ und „Der Stein der Weisen“, die erst 1986 in dem
Band „Finstere Zeiten“ erscheinen sollten. Im „Stein der Weisen“
geht es um die Wirkungen einer Tarnschrift, um einen Aufruf
Heinrich Manns, Hitler zu stürzen.
Elisabeth Freundlich hatte ihm die Erzählung geschickt mit
der Bitte, seinen Text aufnehmen zu dürfen. Heinrich Mann
antwortete am 13. März 1947:
Sehr verehrte Doctor Freundlich,
Ihre Erzählung habe ich mit lebhafter Teilnahme gelesen. Die
Idee des Rahmens ist glücklich, die gut gezeichneten Personen
der Teile convergieren; getrennt, sind sie einander nicht fremd,
auch damit ergreifen sie. Besonders meine ich den alten
Botaniker, und bin zufrieden, dass gerade er meinen Aufruf fin¬
det. Selbst besitze ich weder diesen, noch irgend eine meiner
Botschaften.
Im Nachkriegsösterreich interessierte sich kein Verlag für sie.
Elisabeth Freundlich übersetzte Theaterstücke aus dem
Englischen, so den „Preispokal“ von O’Casey, einem Autor,
auf den sie durch Brecht aufmerksam geworden war. Dieses
Stück wollte Berthold Viertel 1952 in Wien auf die Bühne brin¬
gen, was jedoch schon im Vorfeld durch Friedrich Torberg ver¬
eitelt wurde. Die Aufführung fand in Zürich statt.
1960 erschien ihr Roman „Der eherne Reiter“ (Forum Verlag,
Wien), der von Jean Amery lobend besprochen wurde. Der Re¬
zensent war zu der Zeit allerdings noch recht unbekannt, das Lob
blieb ohne größere Folgen. 1982 wurde dieser historische Roman
über den Bildhauer Falconet im Insel-Verlag neu aufgelegt.
1974/75 war Elisabeth Freundlich Autorin einer Sendereihe
des ORF mit dem Titel „Galizien, aber wo liegt es?“, eine
Folge über NS-Verbrechen in Polen. Diese Sendereihe trug der
Autorin zahlreiche Droh- und Schmähbriefe ein, die man ge¬
lesen haben muß, um sie für möglich zu halten. Absender wa¬
ren zumeist Lehrer in der österreichischen Provinz.
1981 erschien ein Buch mit Frauenporträts: „Sie wußten, was
sie wollten. Lebensbilder bedeutender Frauen aus drei Jahr¬
hunderten und sechs Ländern“ (Herder Verlag). Das Bändchen
ist vergriffen.
1984 erhielt ich einen Brief von der mir bis dahin gänzlich
unbekannten Autorin. Sie hatte von der Gründung des perso¬
na verlags gehört und schrieb, sie hätte mir im Zusammenhang
mit dem Thema Exil „einiges anzubieten“. Ich fuhr nach Wien,
um sie kennenzulernen. Zwei Jahre später erschienen die
„Finsteren Zeiten“. Es war das Jahr ihres 80. Geburtstags.
„Also wegschauen hat sie halt nicht können ...“, heißt es
von der alten Gindl in der Erzählung ‚Im Steingebirg“. Das
kann man auch von der Autorin sagen, die am 25. Januar 2001
in einem Wiener Altersheim starb.
Lisette Buchholz, 1950 geboren, Studium der Slawistik,
Psychologie und Germanistik. Nach einem Jahr Tätigkeit für das
Goethe-Institut in Finnisch-Lappland Gründung des persona ver¬
lags (1983). Seitdem Verlegerin und freie Lektorin on Mannheim.
— Von Elisabeth Freundlichs Büchern sind im Buchhandel er¬
hältlich: Finstere Zeiten. Vier Erzählungen. Mit einem Nachwort
von Werner Fuld. Mannheim: persona Verlag 1986. 203 S. Der
Seelenvogel. (Roman.) Wien, Hamburg: Zsolnay Verlag 1986.
348 S. Die fahrenden Jahre. Hg. und mit einem Nachwort von
Susanne Alge. Salzburg: Otto Müller 1992. 191 S.