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Ermutigung für seine demokratischen Bestrebungen schöpfte. Selbstverständlich blieben Walter Grabs Erkenntnisse und Schlußfolgerungen nicht unangefochten. Vor allem Historiker aus dem konservativen politischen Lager beschuldigten ihn, die Bedeutung der deutschen Jakobiner maßlos überschätzt und ihre Bereitschaft zur Anwendung revolutionärer Gewalt willkürlich verallgemeinert zu haben. Beides wurde als unzulässiges Instrumentalisieren von historischem Tatsachenmaterial für gegenwartsbezogene ideologische Zwecke angeprangert. Diese Kritik ist m.E. nicht überzeugend. Walter Grab hat keine umfassende Geschichte Deutschlands in der revolutionären Epoche geschrieben, in der er die relative Bedeutung der verschiedenen Ideen und Bewegungen für diese Geschichte gegeneinander hätte abwägen können. Er hat auf die herausragenden Vertreter einer bestimmten Bewegung aufmerksam gemacht. Es bleibt danach jedem unbenommen, dieser Bewegung innerhalb des Gesamtbildes der Zeit den rechten Platz nach eigenem Ermessen anzuweisen; nur einfach ignorieren kann man sie nicht mehr. Die Beschuldigung, daß Walter Grab die revolutionäre Gewaltbereitschaft der deutschen Jakobiner willkürlich verallgemeinert hätte, wird fast immer durch den Hinweis auf einen 1972 geschriebenen Satz erhärtet, der in allen Einleitungen zu dem von ihm herausgegebenen fünf Quellenbänden Deutsche Revolutionäre Demokraten vorkommt: Die jakobinischen Publizisten verzichteten darauf, sich weiterhin an die Fürsten mit Bitten um Reformen zu wenden; sie sagten sich von der Ideologie einer evolutionären Umwandlung des Privilegiensystems in die bürgerliche Ordnung los und richteten ihre Appelle an das Volk mit der Aufforderung zum gewaltsamen Umsturz. Das ist tatsächlich eine fragwürdige, stark vereinfachende Verallgemeinerung. Was aber die Kritiker (vielleicht absichtlich?) übersehen, ist, daß sich Walter Grab in allen seinen späteren Aussagen von diesem Versuch einer „ideal-typischen Definition“ distanziert hat. Er hat vielmehr immer wieder betont, daß es keine Kriterien gäbe, die auf alle deutsche Jakobiner während der gesamten Revolutionsperiode zutreffen würden; daß alle einen Erkenntnisprozeß durchmachten, der unterschiedlich verlief; und daß einige Vorstellungen verhaftet blieben, die andere als Illusionen verwarfen. Unter gänzlicher Mißachtung dieser Aussagen wurde im Sommer 1995 bei dem Aufklärungskongreß in Münster der Vorwurf, daß Walter Grab statt wissenschaftlicher und widerlegbarer Forschungsergebnisse nur apodiktische ideal-typische Definitionen vorlege, einem erstaunten Publikum als Ergebnis eines aus Öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungsprojekts über germanistische Jakobinismusforschung seit 1965 präsentiert. Walter Grabs Forschungen zum deutschen Jakobinismus könnten also, so die Schlußfolgerung des Referenten dieses Forschungsprojekts, Michael Schlott, als historische Schützenhilfe für die nicht mehr aktuelle linke Politik des Bundespräsidenten Heinemann getrost ad acta gelegt werden. Solche „Ergebnisse“ eines „Forschungsprojekts‘ beweisen wohl nichts weiter, als daß die konservativen Kräfte in der deutschen Gesellschaft heute auf Walter Grabs Beitrag zur Geschichte der deutschen Jakobiner ähnlich reagieren wie ihre konservativen Vorfahren auf diese selbst reagiert haben. Der in der Hitze eines bedeutungsvollen Gefechts immer verschärfte Polarisierungsprozeß mag diese Reaktion verständlich machen. Gerechtfertigt war sie weder in der Revolutionsperiode, noch ist sie es heute. Walter Grabs Ruf als Historiker und die meisten seiner Schriften werden jedenfalls diese Reaktion unbeschadet überdauern. Überdauern werden sie auch die wichtigen Arbeiten 10 zum Jakobinismus im deutschsprachigen Bereich, die er angeregt und inspiriert hat; ich denke da z.B. an Franz-Joseph Schuhs Hebenstreit-Studien und Monika Neugebauer-Wölks Doppelbiographie der Brüder Cotta. Der Bedarf an derartigen Werken ist nach wie vor groß. Es ist zu bedauern, daß wir nun aus der Feder Walter Grabs keine mehr zu erwarten haben. Ernst Wangermann ist emeritierter Professor für österreichische Geschichte an der Universität Salzburg. — Walter Grab, geboren am 17.2. 1917 in Wien, begann 1937 ein Jusstudium in Wien, flüchtete 1938 nach Israel, diente in der israelischen Armee und schloß 1958-65 seine Studien der Geschichtswissenschaft in Tel Aviv und Hamburg ab. Seit 1965 lehrte er an der Universität Tel Aviv; Herausgeber des „Jahrbuchs des Instituts für deutsche Geschichte“ und Verfasser zahlreicher Werke zur deutschen Geschichte der Revolutions- und Restaurationsperiode und des Vormärz. Zuletzt veröffentlichte er seine Autobiographie „Meine vier Leben. Gedächtniskünstler - Emigrant Jakobinerforscher - Demokrat“ (Köln: PapyroRosso Verlag 1999). Arno Reinfrank Pappeln, die Donau gereiht Von Klosterneuburg bis zur Mündung erheben sie sich Glied an Glied wie Schützenreihen in Abwehr gegen Winterstürme aus dem Norden. Der Stamm ist uniform, ein jeder ist geworden schwarz bis zum Wurzelschuh. Zu zweien und zu dreien stehn sie im Sand und halten die Verbindung. Unwirsch schwimmt auf dem Wasser Laub. Hoch oben macht es raschelnd uns erinnern, wie roh Geschichte ist, wie blutbrutal. Tod bläst der Mannschaft und den Offizieren das Fanal. Dem Baumholz steht es eingekerbt im Innern: Nichts kehrt sich um auf diesem Weg zum Staub. Der Zorn der Donauwellen, die vorüberziehen, verschreckt selbst Dohlen im Geäst. Die Brauen verzerren fratzenhaft das Baumkronengesicht. Ist das ein freies Wachstum? Glaub es nicht. Hier schleicht die Mär von Ostmark und von Gauen, vom Frieden vor den Fuß gespien. Das Schwarz der Pappeln, entsprechend Mönchsgewändern, ist Abweisung im Festungswall zugleich. Man hört noch Donnerecho altgesprengter Brücken. Panzer sind borkenhart, die Müden müssen um sich blicken, um Gras zu finden, einladend und weich. Wer hat die Macht, hier Maßstäbe zu ändern? Das Baumvolk hat sich einen Weg gefunden, wie aus der starren Kohlenfarbe auszubrechen: Es reißt sich Samenwatte aus verwelkten Blüten, die schweben flaumweiß hin im Aufwind aus dem Süden. Im Pflanzenhaar segelt barmherziges Versprechen vom Heil für dornenbraune Altzeitwunden. Von Arno Reinfrank ist dieser Tage „Raketen Glück. Poesie der Fakten 10° bei Brandes & Aspel erschienen.