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Obwohl der demokratische Kandidat Gore sowohl im Gesamt¬
ergebnis als auch in dem die Wahl entscheidenden Staat Florida
mehr Stimmen erhielt als sein republikanischer Gegenkandidat
Bush, wurde letzterer doch zum Präsidenten der USA gekürt.
Bush verdankt dies einer Entscheidung des Supreme Court, des
Obersten Gerichtshofes der USA. Mark H. Levine, Attorney at
Law, verfaßte dazu ,,A Layman’s Guide to the Supreme Court
Decision in Bush vs. Gore“, eine Einführung für Laien in die
Entscheidung des Supreme Court in der Sache Bush gegen Gore.
Sie wurde uns von Fritz Kalmar (Montevideo) übermittelt.

Wähler: Ich bin kein Jurist und verstehe das jüngste Urteil in
Sachen Bush gegen Gore nicht. Können Sie es mir erklären?
Rechtsanwalt: Sicher. Ich bin Jurist. Ich habe mich mit diesem
Urteil beschäftigt. Es besagt, daß Bush gewinnt, selbst wenn
Gore die meisten Stimmen erhalten hat.

Wähler: Halt, nur einen Augenblick! Der Supreme Court wird
doch eine Begründung dafür gegeben haben?

Rechtsanwalt: Richtig.

Wähler: Also: Bush gewinnt, weil die Handauszählungen illegal
sind?

Rechtsanwalt: Oh nein. Sechs der Richter (die Zweidrittel¬
mehrheit) glauben, daß die Handauszählungen legal waren und
zu Recht angeordnet wurden.

Wähler: Also glaubten die Juristen nicht, daß die Handaus¬
zählungen noch gültige Stimmzettel zum Vorschein bringen wür¬
den?

Rechtsanwalt: Nein. Die fünf konservativen Richter stellten ganz
klar fest (und alle neun Richter stimmten dem zu), daß „eine
maschinelle Zählung leider immer eine Anzahl von Stimm¬
zetteln produziert, die vom Wähler nicht sauber und vollständig
gelocht wurden“. So bleiben also gültige Stimmen übrig, die
gezählt werden sollten, aber nicht können.

Wähler: Aha. Hat das etwas mit den Rechten der Bundesstaaten
zu tun? Darin sind die Konservativen doch Spezialisten?
Rechtsanwalt: Im allgemeinen ja. Diese fünf Richter haben vor
wenigen Jahren festgestellt, daß die Bundesregierung der
Universität eines souveränen Staates die Entwendung von
Handelsgeheimnissen nicht untersagen darf, nur weil Diebstahl
durch das Gesetz untersagt ist. Ebensowenig darf die Bun¬
desregierung einem Bundesstaat vorschreiben, das Tragen von
Waffen in den Schulen zu verbieten, oder aufgrund des Gleich¬
berechtigungsgrundsatzes Maßnahmen erzwingen, die die
Gewalt gegen Frauen beenden.

Wähler: Gibt es da nicht eine Ausnahme?

Rechtsanwalt: Ja, nämlich die Gore-Ausnahme. Bundesstaaten
haben kein Recht auf ihr eigenes Wahlverfahren, wenn dabei her¬
auskommt, daß Gore zum Präsidenten gewählt wird. Die
Bundesrichter gaben zu Protokoll: „Unsere Überlegung bezieht
sich nur auf die gegenwärtigen Umstände. Das Problem der
Gleichbehandlung bei Wahlen ist generell sehr kompliziert.“
Wähler: Was meinten sie mit „kompliziert“?

Rechtsanwalt: Das haben sie uns nicht gesagt.

Wähler: Ich wette, ich weiß warum. Jim Baker hat es gesagt. Die
Stimmen können deshalb nicht gezählt werden, weil der Oberste
Gerichtshof von Florida „das Wahlrecht nach den Wahlen geän¬
dert“ habe. Richtig?

Rechtsanwalt: Völlig falsch. Der Supreme Court stellte klar, daß

der Oberste Gerichtshof von Florida das Wahlrecht nicht geän¬
dert hat. Doch der Supreme Court hielt genau diese Haltung des
Obersten Gerichtshofes von Florida, das Wahlrecht nicht zu
ändern, für falsch.

Wähler: Wie das?

Rechtsanwalt: Die Gesetzgebung hat den „eindeutigen Willen
des Wählers“ zum einzig gültigen Kriterium für die Zurechnung
von Stimmen erklärt. Der Gerichtshof von Florida wurde geta¬
delt, für die Durchsetzung dieses Kriteriums nicht gesorgt zu
haben.

Wähler: Ich dachte, der Gerichtshof von Florida war nicht bere¬
chigt, das Wahlrecht nach den Wahlen zu ändern? Also, was ist
dann das Problem?

Rechtsanwalt: Daß sie es hätten tun sollen, ist das Problem. Der
Supreme Court urteilte, daß der Oberste Gerichtshof Floridas
„für den ganzen Bundesstaat entsprechende gültige Kriterien für
die Gültigkeit von Stimmen“ einführen hätte sollen.

Wähler: Ich dachte, nur die Gesetzgebung könne neues Recht
einführen.

Rechtsanwalt: Richtig.

Wähler: Wenn der Gerichtshof neue Kriterien eingeführt hätte,
wären sie aufgehoben worden, dachte ich.

Rechtsanwalt: Genau, allmählich verstehen Sie’s.

Wähler: Also, wenn der Gerichtshof neue Kriterien eingeführt
hätte, wären sie aufgehoben worden, weil der Gerichtshof mit
dieser Entscheidung die Regeln geändert hätte. Und wenn er
keine neuen Kriterien eingeführt hat, wird seine Entscheidung
aufgehoben, eben weil er die Regeln nicht geändert hat. Das heißt,
daß die gültigen Stimmen, ganz gleich wie der Oberste Ge¬
richtshof Floridas entschieden hat, nie gezählt werden können.
Rechtsanwalt: Genau. Nächste Frage.

Wähler: Moment, Moment. Ich dachte, das Problem sei der
„Schutz des Gleichheitsgrundsatzes“, also daß manche Staaten
die Stimmen anders auszählten als andere. Ist das nicht ein
Problem?

Rechtsanwalt: Natürlich. Die Stimmauszählung ist bei uns ein
Mischmasch verschiedener Systeme. Manche, so die optischen
Scanner in republikanisch dominierten Bundesstaaten, zählen
etwa 99,7 % der Stimmen. Die Lochkartensysteme, die haupt¬
sächlich in demokratisch wählenden Bundesstaaten eingesetzt
werden, zählen nur 97 % der Stimmen. Somit landen annähernd
drei Prozent der demokratischen Stimmen auf dem Müll.
Wähler: Aha! Aber das ist doch ein ernstes Problem für den
„schutz des Gleichheitsgrundsatzes“!

Rechtsanwalt: Nein, ist es nicht. Die drei Prozent demokrati¬
scher Stimmen, die in Florida auf dem Müll landeten, haben dem
Supreme Court keine Sorgen bereitet. Diese Art „Kompli¬
ziertheit‘ war nicht das Problem.

Wähler: Dann war es vielleicht die Tatsache, daß durch verwir¬
rende Stimmzettel das Gesetz Floridas verletzt wurde und mehr
als 20.000 Demokraten dazu verführt wurden, entweder für
Buchanan oder für Gore und Buchanan zugleich und damit un¬
gültig zu stimmen.

Rechtsanwalt: Keineswegs. Der Supreme Court hat keine
Schwierigkeit damit, daß der Antisemit Buchanan die meiste
Unterstützung in einem Wahlsprengel erhalten hat, der aus einem
Altersheim für jüdische Holocaust-Überlebende besteht, die ihre
Meinung über Hitler offenbar kürzlich geändert haben.

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