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Wähler: Huch. Worin bestand denn dann das wirklich ernste Problem für den „Schutz des Gleichheitsgrundsatzes“? Rechtsanwalt: Weder diese „butterfly ballots“ noch die drei Prozent unberücksichtigt gebliebener Demokraten (größtenteils Afro-Amerikaner) waren das Problem. Das Problem war, daß weniger als 0,005 % der Stimmen möglicherweise durch ein geringfügig unterschiedlichen Verfahren bei der Neuauszählung anders zugerechnet werden könnten und das Gericht da leider auf der gesetzesgemäßen Erfüllung des „eindeutigen Willens des Wahlers“ bestehen mußte, auch wenn man bezüglich des Willens des Wählers verschiedener Meinung sein kann. Wähler: Hmmm. Wenn man die nicht eindeutigen Stimmen hinauswirft, kann man ja noch immer die Stimmen zählen, bei denen der Wählerwille nach jedermanns Ansicht eindeutig ist? Rechtsanwalt: Nein. Wähler: Warum nicht? Rechtsanwalt: Keine Zeit. Wähler: Keine Zeit, die gültigen Stimmen zu zählen, bei denen sich alle, auch die Republikaner, sich einig sind, daß der Wille des Wählers eindeutig ist? Warum nicht? Rechtsanwalt: Weil gestern der zwölfte Dezember war. Wähler: Ist der zwölfte Dezember die letzte Termin für die Auszählung der Stimmen? Rechtsanwalt: Nein. Der letzte Termin ist der sechste Januar. Im Jahr 1960 waren die Stimmzettel Hawais am vierten Januar noch nicht ausgezählt. Wähler: Warum ist dann der zwölfte Dezember so wichtig? Rechtsanwalt: Weil ab dem zwölften Dezember der Kongreß die Wahlergebnisse nicht mehr anfechten kann. Wähler: Aber ich dachte, daß Florida bis zum zwölften Dezember ohnehin die Stimmen ausgezählt haben wollte. Rechtsanwalt: Das hätten sie auch geschafft, aber letzten Samstag haben die fünf konservativen Richter die Neuauszählung gestoppt. Wähler: Warum? Richter: Richter Scalia meinte, einige der Neuauszählungen seien nicht rechtmäßig. Wähler: Warum teilt man die Stimmen dann nicht einfach in Stapel auf? Kerben für Gore, Ausstanzungen für Bush, Stimmzettel, bei denen man sich einig ist, daß die Stimme entweder dem einen oder anderen Kandidaten galt, so daß man genau sieht, wie Florida gewählt hat, bevor man entscheidet, wer gewonnen hat. Und wenn dann auch einige Stimmen wieder herausfallen, das amerikanische Volk wird wissen, wer in Florida gewonnen hat. Rechtsanwalt: Eine gute Idee. Der Supreme Court hat das abgelehnt. Die Richter gaben zu Protokoll, daß durch solche Neuauszählungen möglicherweise Gore als Sieger erscheinen und dieser Sieg dann zu einem „öffentlicher Aufsehen“ führen könnte, durch das wiederum die „Legitimität‘“ Bushs in Frage gestellt und damit letztlich der „demokratische Stabilität“ Schaden zugefügt würde. Wähler: Mit anderen Worten: Wenn Amerika wüßte, daß Gore in Wirklichkeit gewonnen hat, würde man nicht akzeptieren, daß der Supreme Court Gores Wahlsieg einfach aufgehoben hat? Rechtsanwalt: Ja. Wähler: Hat die Beendigung der Neuauszählung rechtliche oder politische Gründe? Rechtsanwalt: Sagen wir so: Niemals in der amerikanischen Geschichte und nirgends im amerikanischen Recht hat diese vom Supreme Court vorgetragene Begründung eine legale Basis. Dies hinderte die fünf Konservativen aber nicht daran, aus dem 12 Nichts neues Recht zu setzen. Wähler: Aber sind die konservativen Richter nicht gegen ein solches Vorpreschen von Gerichten? Rechtsanwalt: Ja, wenn es von liberalen Richtern kommt. Wähler: Nun gut. Konnte man die Stimmen nicht weiter zählen, wenn der 12. Dezember als Termin nicht bindend war? Rechtsanwalt: Nachdem der Supreme Court zugestanden hatte, daß der 12. Dezember nicht bindend sei, setzte er am 12. Dezember den 12. Dezember, zehn Uhr abends, als endgültig letzten Termin fest. Wähler: Aber hatte der Supreme Court nicht das Gericht in Florida für die willkürliche Setzung des letzten Termins verurteilt? Rechtsanwalt: Keine Sorge. Der Supreme Court muß sich nicht an Gesetze halten, die er auf andere Gerichte anwendet. Wähler: Wer war denn verantwortlich dafür, daß Florida den Termin nicht einhalten konnte? Rechtsanwalt: Die Anwälte von Bush, die als erste vor Gericht zogen, um die Neuauszählung zu stoppen, der demonstrierende Mob in Miami, der bezahlten Urlaub bekam, um Beamte einzuschüchtern, und der Supreme Court, der die Neuauszählung stoppte. Wähler: Und wer wurde dafür bestraft? Rechtsanwalt: Gore natürlich. Wähler: Wenn nun das Ergebnis in Florida durch eine Zählweise zustande kam, die der Supreme Court ausdrücklich für nicht verfassungsgemäß erklärt hat, weiß man eigentlich nicht, wer die Wahl wirklich gewonnen hat, oder? Rechtsanwalt: Richtig. Obschon eine sorgfältige Analyse des Miami Herald ergab, daß Gore die Wahlen in Florida mit einem Vorsprung von an die 20.000 Stimmen gewonnen hat. Wähler: Was sollen wir also tun? Neuwahlen ansetzen? Den ganzen Bundesstaat aus der Wertung nehmen? Rechtsanwalt: Nein, wir zählen die Stimmen für Gore einfach nicht. Wähler: Ich kann kaum glauben, daß die Richter in solch beschämender politischer Voreingenommenheit entschieden haben. Rechtsanwalt: Die beiden Söhne von Scalia arbeiten als Rechtsanwälte für Bush, die Ehefrau von Thomas engagiert sich für Leute, die in der Bush-Administration arbeiten wollen. Wähler: Warum haben diese Richter sich da nicht herausgehalten? Rechtanwalt: In diesem Fall wäre die Abstimmung im Supreme Court vier gegen vier ausgegangen, und die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Florida, Neuauszählungen zu gestatten, wäre aufrecht geblieben. Sie können es selbst nachlesen: http: //frwebgate.access.gpo.gov/supremecourt/00-949_dec12.fdf (9. Dezember: Einstellung der Neuauszählung) http://www.supremecourtus.gov/opinions/00pdf/00-949.pdf (12. Dezember, endgültige Urteilsbegründung). Wähler: Welche Konsequenzen zieht man aus dieser Angelegenheit? Rechtsanwalt: Der Kandidat, der in den USA und in Florida die meisten Stimmen bekommen hat (Al Gore), verliert die Wahl gegen den Zweitgewählten, der die alles entscheidende Abstimmung im Supreme Court gewonnen hat. Wähler: Ich dachte, in einer Demokratie gewinnt der mit der Mehrheit der Stimmen. Rechtsanwalt: In einer Demokratie, ja. Amerika ist aber keine Demokratie. In Amerika gewinnt im Jahre 2000 derjenige, der die Mehrheit im Supreme Court bekommt. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Cathren Müller unter Mitarbeit von Sara Musger.