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dieser potemnkinartigen Vorkehrungen wurden im Mai 1944 gut 7.500 Häftlinge aus der übervollen alten Festung nach Auschwitz verfrachtet, darunter auch Durlacher und seine Eltern. Dennoch berichtet Durlacher in der dritten Erzählung des Sammelbändchens Strepen aan de hemel, das 1985 erschien, mit tiefem Respekt von der außerordentlich mutigen Haltung der Dänen angesichts der Enormität der systematisch begangenen Unmenschlichkeit, die das Gros der Zeitgenossen als unglaubhaft empfand. Die meisten Menschen konnten den Ungeheuerlichkeiten, die man einander zuraunte, in ihrer ganzen Furchtbarkeit keinen Zugang zu ihrem Bewußtsein gewähren, ohne selber ernsthaften Schaden zu nehmen. In Durlachers Worten: „Eine Welt in der Betagte, Kranke, Kinder und Schwangere als unbrauchbarer Abfall vernichtet werden, in der jegliche Menschenwürde verhöhnt wird, worin ein Mensch nicht mehr ist als ein mit Ungeziefer bedecktes Stück Vieh, das nur solange brauchbar ist, bis das Muskelgewebe sich aufgezehrt hat, ist wenigen vorstellbar. Berichte von ‚dort drüben’ können nicht wahr sein, denn sie unterminieren alle 14 uns bekannten Werte.“ So erklärt Durlacher sich das Verhalten der schweigenden Umstehenden in den meisten der damaligen besetzten Gebiete wie in den alliierten Ländern, und er fügt hinzu, daß man Mut braucht und Rückgrat, um den Mund aufzutun (Streifen, S. 23 £.) Ermuntert durch die gute Aufnahme, die dem schmalen Bändchen Kriegserinnerungen zuteil wird, wendet sich Durlacher seinen frühen Kindheitserinnerungen zu, die gerade bis Anfang 1933, dem Jahr der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, zurückreichen. In dem 1987 erschienenen Drenkeling (Ertrinken: Eine Kindheit im Dritten Reich) gelingt es Durlacher sich zurückzuversetzen in das Gefühl der Hilflosigkeit, des ohnmächtigen Ausgeliefertseins, das seine Kindheit in Baden-Baden prägt. In den kurzen Erzählungen berichtet er jedoch auch von der Mitmenschlichkeit Einzelner, des Kindermädchens, des Kellners Fritz, eines Nachbarbuben, Lichtpünktchen in der sich drohend zusammenballenden Finsternis. Nach 50 Jahren besucht er zögernd die Gegend seiner Kindheit. Empört über das wiederholte „Wir haben es nicht gewußt“, meint er dazu abschließend: Dies ist kein Land der Blinden, Stummen, Tauben. Ein Jeder, der hören wollte, konnte hören. Ein Jeder, der sehen wollte, konnte sehen. Die Reden, worin heisere Demagogen unseren Untergang verkündeten, schallten ab Januar 1933 aus allen Lautsprechern. Die Maßnahmen, um uns zu isolieren, womit Tag für Tag unsere Freiheit gekürzt wurde, standen mit dicken Buchstaben in allen Zeitungen. Zahllose Deutsche ließen sich zur Barbarei versuchen. Zahllose Deutsche sahen uns gleichgültig oder durch Angst gelähmt vor ihren Augen ertrinken. Einzelne Tapfere, wie der Kellner Fritz am Gardasee, retteten einen Ertrinkenden aus den Wellen. (Ertrinken, S. 86). Bereits am Ende von Streifen am Himmel kündigt Durlacher an, daß er nun, nachdem seine Erinnerungen aus der vermauerten Gruft seines Gedächtnisses herausgebrochen seien, das dringende Bedürfnis empfinde, sie an den Erinnerungen seiner früheren Mitgefangenen und an Archivmaterialien zu überprüfen. Von diesen Nachforschungen und von dem Wiedersehen mit einigen seiner Konzentrationslagergenossen - alle damals bei der endgültigen Selektion in Birkenau verschonte Buben — handelt sein knapp 200 Seiten langes nächstes Buch, De zoektocht (1991), deutsch: Die Suche: Bericht über den Tod und das Überleben. Durlachers Suche führt ihn nach Kanada, den USA und nach Israel auf der Spur einiger überlebender Kameraden, die er schließlich zu einer Wiederbegegnung zusammenbringt. Betroffen erzählt er dem Leser die Überlebensgeschichte eines jeden, und dabei tritt klar hervor, wie unendlich schwer sich alle tun mit der Zerstörung ihrer Kindheit, mit den furchtbaren und erniedrigenden KZ-Erinnerungen, mit der Trauer um die ermordeten Nächsten, mit der