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Eine der Gruppen von Menschen, die von den Nazis gewaltsam aus ihrer früheren Heimat vertrieben wurden, ist die Shanghai/Hongkew-Gruppe, hauptsächlich Juden. Sie lebten dort neun Jahre unter besonderen ökonomischen, sozialen und hygienischen Belastungen. Während des Krieges kamen für mehr als zwei Jahre noch die militärischen und politischen hinzu sowie die sogenannte „Ausgrenzung“ (Segregation). Ihre Situation war und ist widersprüchlich und sonderbar zugleich im Vergleich zu anderen Gruppen, die sich durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg gebildet haben. Sie waren gleichzeitig frei und unfrei. (...) Konfession Laut den vom „American Joint Jewish Distribution Committee“ (AJJDC) erarbeiteten Statistiken umfaßt die Gruppe Anfang 1946 13.475 Personen, darunter 7.633 Männer (56,6 %) und 5.842 Frauen (43,4%). 12.407 (92 %) davon sind Juden, 1.068 gehörten anderen Religionsgruppen an. Mit 9.832 kamen mehr als zwei Drittel um 1939 an, kurz nach dem Pogrom vom 9. und 10. November 1938. Daher ist die Gruppe hauptsächlich jüdisch, die restlichen 8 % sind zum Christentum konvertierte Juden, die aufgrund der üblen „Nürnberger Rassegesetze“ das Los der Juden teilen mußten, und deswegen ungeachtet ihres Bekenntnisses als Juden betrachtet werden können. (...) Alter Zum Zeitpunkt des Exils waren 3.720 Personen zwischen 37 und 46 Jahre alt, 2.945 waren zwischen 47 und 56, der Rest jünger oder älter. Demnach waren 7.461 (55,4 %) um die 40. Nur an die 1.500 waren unter 16 und der Rest von 4.500 waren junge Erwachsene, also unter 40. Somit waren der Großteil der Gruppe schon fortgeschrittenen Alters. Der weitaus größte Teil von ihnen hatte sich vor HAAS i Fb se 2 Bal a oe he re 47 = 7 Ve aT wo BE BA he BH 425 Been eH ye MSE LEK, RS eee € AM Heew we FM & AGRA BG 2 makes a es Ree we ? 4 : va RIERHRR = Ausweis von Felix Grünberger Foto: JMW, Archiv, Inv. Nr. 7073 (NL Felix Grünberger) dem Exil dauerhaft niedergelassen und hatten feststehende Ansichten und Prinzipien. Je älter sie waren, um so schwieriger war es für sie, sich davon zu verabschieden. Aus verschiedenen Gründen gab es eine gewisse konservative Tendenz, auf das Verlorene zurückzublicken, um die mehr oder weniger als angenehm erlebte und jetzt untergegangene Epoche zurückzuholen, anstatt die volle Tragweite der historischen Ereignisse zu realisieren und daraus für die Zukunft Konsequenzen zu ziehen. Auf dem Schiff und später in Shanghai gab es viele Gespräche, stolze Reden oder auch Klagen über die früheren Positionen in der Gesellschaft, über exquisit eingerichtete Wohnungen etc. Daraus resultierte eine gewisse Übersensibilität, wenn diese Menschen ihre jetzige Abhängigkeit verspürten, oder wenn sie sich nicht ihren früheren Positionen entsprechend behandelt fühlten. (...) Es dauerte einige Zeit bis die Menschen realisierten, daß sie ökonomisch und gesellschaftlich völlig von vome beginnen mußten und daß persönliches Geschick weit mehr bedeutete als individuelle Traditionen. (...) Familiäre Bedingungen 3.241 (25 %) waren Singles und lebten allein, als diese Statistik angefertigt wurde. In Shanghai Geschiedene und Verwitwete sind darin nicht enthalten. Es gab so gut wie niemanden, der nicht einen Teil seiner Verwandten und Freunde zurücklassen mußte, zumeist ohne die geringste Chance, sie jemals wiederzusehen. Aber die 25 % Singles hatten alle zurückgelassen, sie waren „displaced“ im wahrsten Sinn des Wortes. Sie brachten ein tiefes Gefühl der Einsamkeit mit sich, das sie durch verschiedene Verhaltensweisen zu verdrängen suchten. Berufe Es gab 2.436 Geschäftsleute von verschiedenen Positionen, 2.130 Handwerker, 1.489 Angestellte und 973 Intellektuelle, Somit gehörten 7.028 (52%) beruflich und sozial zur unteren oder oberen Mittelklasse. Hinzu kamen 4.079 ohne Beschäftigung, vor allem ältere Frauen und Kinder, wodurch mit 89% die überwiegende Mehrheit der Mittelklasse angehörte. Der Rest waren Arbeiter, Bauern, Gärtner etc. (...) Herkunftsländer 7.326 kamen aus Deutschland, 4.100 aus Österreich, 653 aus Polen, 209 aus der Tschechoslowakei und 955 aus anderen Ländern. Verschiedene Herkunftsländer bedeuteten verschiedene Voraussetzungen und unterschiedliche Prägungen: Deutschland: Der Großteil kam von dort. Trotz der ökonomischen Krise vor Hitler konnte der Großteil einen gewissen Lebensstandard beibehalten. Sie waren gut gekleidet, hatten schöne Wohnungen und zumeist gehobene Schulbildung. (...) Trotz aller Ereignisse begriffen die Juden erst nach dem Novemberpogrom von 1938, was es geschlagen hatte. Es traf sie wie ein Sturm und es dauerte einige Zeit, bis sie begriffen, daß sie nicht nur die Opfer eines schrecklichen Unfalls geworden wa