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Sport Einer der Glanzpunkte der Gemeinschaft war der Sport: Boxen, Rennfahren und vor allem Fußball bildeten eine willkommene Abwechslung für die Spieler und das Publikum. Den miesen Bedingungen zum Trotz gingen gerade die arbeitslosen Heimbewohner mit Vorliebe zu den Spielen. Der Sport war für sie mehr als eine bloße Zerstreuung, es war eine Leidenschaft. Nicht wenige waren bereit, ihren letzten Pfennig für eine Karte herzugeben, und so strömten sie in Massen zu den Spielen, die oft genug 1.600 Besucher hatten. Dort feuerten sie dann ihre Mannschaft an und jubelten ihren Idolen auf dem Spielfeld des Chaufoong Road Heimes zu. Diese Ereignisse waren der Gegenstand unzähliger Gespräche und brachten Begeisterung in ein sonst ödes Leben. Gesundheitsfürsorge Die völlig unvorbereiteten Flüchtlinge waren mit einem fremden Klima und ihnen unbekannten Krankheiten konfrontiert, und so wurden von den Hilfsorganisationen und den Ärzten unter ihnen enorme Anstrengungen unternommen, die gesundheitliche Situation möglichst zu entschärfen. Vor Pearl Harbor gründete die Gemeinschaft ein Krankenhaus, eine Ambulanz, eine Apotheke und eine Entbindungsstation. Insgesamt standen den Flüchtlingen 200 Krankenbetten zur Verfügung. Einem der Ärzte gelang es sogar, einen Ersatz für ein Medikament gegen die sehr verbreitete Amöbenruhr zu entwickeln, das bis dahin importiert werden mußte. Gemessen an der schwierigen Situation war die Sterberate relativ niedrig, sogar während des Ghettos 1943 bis 1945, als die Nahrungsrationen stark gekürzt wurden. In dieser Zeit lag die Rate bei 13 Promille, davon absolut 30 Selbstmorde. Vergleicht man diese Zahlen mit der Statistik von 1974, die eine Sterberate von 11,8 Promille für Deutschland und 12,6 Promille für Österreich ausweist, so ist es erstaunlich, wie gut diese benachteiligte Gesellschaft mit ihren gesundheitlichen Problemen umzugehen wußte. Der Dank gebührt zweifellos an erster Stelle den Ärzten, die oft genug für einen minimalen Lohn arbeiteten, und den Hilfsorganisationen, die den Ärmsten Unterkunft und Verpflegung boten. Zukunft der Jugend Wir haben bereits gesehen, wie besorgt die Gemeinschaft um die Bedürfnisse und die Ausbildung der Jugend war, und so überrascht es nicht, daß die Jungen mit ganz anderen Augen auf ihre Zeit in diesem Hafen zurückblicken als ihre Eltern. Während die älteren Flüchtlinge sich vor allem an die schwierigen Momente erinnern, insbesondere an das Ghetto, ist den Jungen Shanghai als eine aufregende, faszinierende und auch spaßige Zeit in Erinnerung. Die Hilfsorganisationen und die Eltern selbst verwandten einen nicht unerheblichen Teil ihrer Energie darauf, die Jugendlichen und Kinder von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen abzuschirmen. Sie versuchten, ihren Kindern alles zu bieten, angefangen bei der schulischen und akademischen Ausbildung bis zu Kultur und Freizeit. Zionistische Gruppen wie „Betar“, „Brith Noar Zioni“ und „Hechalutz“ trugen ideologischen Enthusiasmus in Familien hinein, die ansonsten vielleicht eher uninteressiert an jüdischen Nationalismen waren. Diese Gruppen boten der Jugend Gelegenheit zur Diskussion und gemeinsamen Freizeitgestaltung. Sie wurden von Persönlichkeiten wie Professor Deman, dem Rabbi Willy Teichner, Major N.S. Jacobs und Leo Mayer begleitet, die auf diese Weise einen großen Einfluß auf die Entwicklung der Jugend nahmen und sie davor bewahrten, den Krankheiten und Depressionen einer elenden Gemeinschaft anheimzufallen. So nimmt es nicht wunder, daß einige der damaligen Jugendlichen ganz erstaunliche Laufbahnen einschlugen, 31