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wachten die Häuser, um Plünderungen zu verhindern. Ihre Dienste wurden von den Chinesen sehr gern angenommen, sie dankten den Ärzten, die eine Bezahlung ablehnten, mit Kuchen. Nur wenige Wochen später war der Krieg zu Ende, und im Leben der Flüchtlinge begann ein neues Kapitel. V. Nachkriegszeit Mit Ende des Krieges drang auch die Wahrheit über den Holocaust zu den Flüchtlingen durch. Reportagen und Zeitungen berichteten von der Befreiung Auschwitz‘ durch die Russen. Dabei wurde den Flüchtlingen langsam deutlich, daß es trotz aller Prüfungen und Sorgen einem unwahrscheinlichen Glücksfall gleichkam, Zuflucht in diesem fernen asiatischen Hafen gefunden zu haben. Sie waren tatsächlich dem nationalsozialistischen Inferno entkommen. Die Befreiung brachte eine Wiederbelebung des Austausches mit den Vereinigten Staaten und anderen Ländern mit sich, und so floß wieder mehr Geld zu den Flüchtlingen in Shanghai, das für eine Intensivierung und Ausweitung der lokalen Aktivitäten verwendet wurde. Tausende Flüchtlinge, darunter viele aus den Heimen, fanden Arbeit bei den amerikanischen Truppen, insbesondere bei der Navy. Jenen jungen Mann, der als erster eine Arbeit bei den USStreitkräften fand, haben wir bereits erwähnt: W. Michael Blumenthal. Ohne lange auf eine offizielle Erlaubnis zu warten, hatte er sich ein chinesisches Sampanboot ausgeliehen und war zu den amerikanischen Schiffen hinüber gerudert. Die freundlichen Seeleute nahmen ihn an Bord, wo sie ihm seine erste gute Mahlzeit seit Jahren servierten und ihn sofort bei sich einstellten. Die große Frage war also nicht mehr, auf welche Weise man sich seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, sondern vielmehr, wohin man eigentlich gehen wollte. Der Illusion, dauerhaft in einem befreiten Shanghai leben zu können, gaben sich nur wenige hin. Einige Tausend gingen innerhalb der folgenden zwei Jahre in die USA und andere Länder, viele der älteren Flüchtlinge kehrten nach Deutschland zurück. Einer Mehrheit aber blieben viele Länder weiterhin verschlossen. Auch nachdem sich der Horror des Holocaust in seiner ganzen Grausamkeit offenbart hatte, fanden die Opfer Hitlers keinen Schutz. Die Gründung des israelischen Staates geschah in diesem Sinne genau zum richtigen Zeitpunkt, und bereits 1948, also sehr kurz danach, öffnete sich in Shanghai eine israelische Botschaft im alten russisch-jüdischen Club, um alle Juden in dem neuen Staat willkommen zu heißen. 10.000 Shanghaier Flüchtlinge, darunter viele russische und sephardische Juden, fanden in Israel ein neues Zuhause. Gerade noch rechtzeitig, denn bereits ein Jahr später kamen die Kommunisten nach Shanghai und das Leben wurde für die verbliebenen Juden wieder schwieriger. In diesen Jahren gelang es den Zurückgebliebenen zum ersten Mal sich zusammenzutun: Deutsche, Österreicher, Polen, Russen und Sephardim schlossen sich in der Shanghai Jewish Community unter der Leitung des hervorragenden sephardischen Gemeindedieners Ezekiel Abraham zusammen. Die verbliebenen etwa 1.500 Juden und eine größere Anzahl staatenloser Weißrussen waren 1949, einige Jahre nach der kommunistischen Übernahme, mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, als sie versuchten, Shanghai zu verlassen. Aber wieder einmal brachten die sephardischen Kontakte die Lösung. 1953 verhandelte der chinesische Außenminister, Chou En-Lai, mit seinem malaysischen Amtskollegen, dem Sepharden David Marshall, über das Schicksal der chinesischen Minderheit in Malaysia. Auf Drängen von Ezekiel Abraham brachte Marshall auch die Schwierigkeiten der Juden und Weißrussen in Shanghai auf die Tagesordnung. Bereits einen Tag später kam der Befehl, den Juden und Weißrussen zu erlauben, Shanghai zu verlassen. Lediglich eine Handvoll alter oder in Shanghai verheirateter Juden entschloß sich, in einem Altersheim zu bleiben. Der „Joint“ gewährte ihnen bis zum Schluß Unterstützung, die durch Ezekiel Abraham, der nun in Hongkong lebte, sorgsam weitergeleitet wurde. 33