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In den Jahren 1938-1950 lebten meine Frau und ich in Manchuko, China. Davon über zehn Jahre in Dairen, wichtig durch seinen Hafen, auch sonst die schönste Stadt in China, nicht zuletzt wegen der Sandstrände am Meer. Nach Shanghai kamen wir erst nach dem Krieg, um die Heimreise abzuwarten. Harbin Hitler ist am 12. März 1933 gekommen, und ich konnte noch knapp vor der Pogromnacht mit meiner Frau fliehen. Sie hieß Trude und war damals 19 Jahre alt, in Wien geboren. Ich hatte eine Fahrkarte nach China, und zum Unterschied von anderen Emigranten, die gewußt haben, daß es da und dort ein Komitee gibt, wußte ich gar nichts. Bevor wir wegfuhren, wurde meine Frau schwer krank. Es hieß das Leben retten, und da fährt man auch gerne als Schwerkranker mit dem Zug. Irgendwo stiegen wir aus, weil es nicht mehr weiterging. Man mußte warten, bis der nächste Zuganschluß kommt. Wir hatten nur einen Koffer dabei; das, was man mitnehmen durfte, wurde genau registriert. Wir hatten keinen Groschen Geld mehr bei uns. Spät im Herbst kamen wir in Harbin an — nie hatte ich mir vorgestellt, daß es auf der Welt überhaupt so etwas gibt: eine furchtbare Umgebung, wie wir es von Europa nicht kannten — zerfallene schmutzige Häuser, eine Unmenge Kulis, die alle zu mir kamen, um etwas zu verdienen. Ich wußte nicht wohin. Die zehn Reichsmark, die wir mitnehmen durften, waren an der Grenze zwischen Sibirien und China für das Visum draufgegangen. Die habe ich gezahlt, sonst wären wir irgendwo in Rußland hängengeblieben. Wir stiegen aus. Nachdem meine Frau das Rütteln des Zuges überstanden hatte, war ihr gleich ein bisserl besser, Rütteln und nichts essen 14 Tage lang war eine Katastrophe. Ich will lieber nicht schildern, wie es im Eisenbahnwaggon ausgeschaut hat. Stellen Sie sich vor, Sie steigen aus der Bahn und stehen plötzlich ohne einen Groschen in einer chinesischen Stadt, die Sprache kennen Sie natürlich auch nicht. Meine Frau konnte kaum stehen, sie war ja 14 Tage krank. Das erste, was sie sagte, war: „Da bleibe ich nicht.“ Ich wußte nicht, was ich machen soll. Es war entsetzlich. Ich stand da — ohne Geld - in einer verwiisteten Gegend voller Armut. Da sah ich, wie einige HoteIportiere die Reisenden mit Geld in die Hotels hinein locken. Jeder hatte so eine Kappe auf mit goldenen Aufschriften der Hotels. In meiner größten Not ging ich zu einem von den Portieren, der mir jüdisch vorkam, er hatte so eine gebogene Nase. Ich sagte mir, ich versuche mein Glück und gehe zu ihm hin. Er sprach mich sofort deutsch an, komischerweise, die haben so ein Gespür. Er sagte mir: „Sie haben großes Glück, gestern ist der deutsche Konsul ausgezogen, das ganze Appartement ist frei für Sie.“ Ich dachte mir, was habe ich noch zu verlieren und sagte: „Ja gut, ich nehme es.“ Ich ließ meiner Frau ein gutes Essen bringen. Ins Gefängnis komm ich sowieso, dachte ich mir. Meine Frau schlief zum ersten Mal wieder und fühlte sich etwas weniger krank. Am nächsten Tag sagte ich mir, soll es sein wie es will, ich kann das auf die Dauer nicht so weiter machen. Einmal kommt man mir doch drauf. Dann ging ich zu diesem Portier und erzählte ihm die Wahrheit, ich bin ein Emigrant, hab keinen Groschen Geld, ich weiß nicht, was Sie jetzt mit mir machen werden, aber so ist es. Da stellte sich heraus, ich hatte Recht gehabt, er war wirklich ein Jude. Er stellte gleich viele Fragen. Dann sagte er, ich brauche mir keine Sorgen zu machen, es gibt da eine kleine jüdische Gemeinde. Ich wußte ja nicht einmal, wo ich bin. Er telefonierte dann, und bald kam eine ältere Dame, der wir alles erzählten. Sie sagte gleich, daß wir in dem Hotel nicht weiter bleiben können. Aber die eine Nacht wollte sie uns zahlen. Dann kamen wir in ein sehr billiges Hotel mit einer Mindestausspeisung. Es war sehr kalt, sibirische Kälte. Meine Frau wollte noch ein Glas Tee haben, aber es wurde ihr gesagt: eine Person — ein Glas Tee. Das bedriickte sie sehr. Ich sagte zu ihr: „Sind wir froh, daß wir hier sind, wir hätten ja auch verrecken können.“ Einmal fand ich in der Früh Kulis, sie sahen noch lebendig aus — dabei waren sie erstarrt vor Kälte. Bei 35 Grad unter Null waren sie in kürzester Zeit erfroren. Wäre ich in Harbin Arzt gewesen, wären wir sicher verhungert. Die österreichischen Ärzte konnten die Sprache nicht und hatten keine Bewilligung. Viele alte Flüchtlinge starben: das Klima, das Essen, die Armut. Die Ärzte waren nicht vorbereitet für diese Krankheiten und hatten auch keine Medizin. Harbin war auch die erste Begegnung mit dem chinesischen Volk. Schön war da leider gar nichts. Wir lernten die furchtbare Armut dieses menschenreichsten Landes der Erde kennen. Menschen sind wir alle. Stimmt. Aber was für Unterschiede gab es da. Die ärmsten Armen waren die Frauen. Durch Jahrhunderte oder länger hat man sie degeneriert. Sie waren nur für Nachwuchs und Hausarbeit da. Schon bei der Geburt wurden die Mädchen oft beseitigt. Alle Arbeiten besorgten die Männer. Die Frauen durften kein Handwerk erlernen, nur sehr schwere Lasten tragen. Kindererziehung gab es auch nicht. Wenn die Kinder halbwegs gehen konnten, bekamen sie ein Hoserl, das von vorne bis zum Rücken offen war. Ob Buben oder Mädchen, sie brauchten keine Hilfe für ihre Notdurft. Unglaublich viele Chinesen hatten 35