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Er rettete Tausenden österreichischer Juden das Leben, indem er ihnen zu einem chinesischen Visum verhalf, doch nur die wenigsten kannten seinen Namen. Feng Shan Ho (1901-1997) kam im Frühling 1937 nach Wien, er sprach fließend Deutsch und Englisch und bekleidete die Position des Ersten Sekretärs unter Botschafter Tung Degang, der nur Französisch sprach, wodurch Feng Shan Ho von Beginn an eine zentrale Stellung einnahm. Der in der der Provinz Hunan Geborene entstammte dem konfuzianischen Kulturkreis; da sein Vater früh verstarb, wurde die Familie von einer norwegischen lutheranischen Mission unterstützt, deren Schule Ho besuchte. Danach studierte er am College of Yale-in-China, seinen Doktor in politischer Ökonomie erhielt er mit magna cum laude 1932 an der Universität München. Von einer ersten diplomatischen Berufung in die Türkei kommend, erwarb er dank seiner europäischen Erziehung schnell einen großen Freundeskreis in Wien, in dem sich viele Juden befanden. Als im Juli 1937 japanische Truppen in China einfielen, verfaßte Ho das Buch China Defends Itself und sprach sowohl vor dem österreichischen Parlament als auch immer wieder vor einer breiteren Öffentlichkeit über den chinesisch-japanischen Krieg. Ende 1937 besuchte eine chinesische Regierungsdelegation Wien und somit auch die Botschaft, wobei Botschafter Tung versuchte, die bedrohliche Lage in Österreich herunterzuspielen, doch schon hierbei zeigte sich der Mut von Ho, denn er fiel seinem Vorgesetzten ins Wort und sprach von der „Ruhe vor dem Sturm“. Die Politik Chinas gegenüber Deutschland war zwiespältig: 1933 schickte Hitler die Generäle Hans von Seeckt und Georg Wetzell nach China, um dem Ersuchen von Generalissimus Tschiang Kai-schek nach Beistand im Kampf gegen die Kommunisten nachzukommen. Trotz der Aggression Japans, das Hitlers bedeutendster Verbündeter im Fernen Osten war, blieben die guten diplomatischen Beziehungen zu Deutschland aufrecht, schließlich war man auch weiterhin auf deutsche Waffen und Militärberater angewiesen. Die Bewunderung Tschiang Kaischeks für Hitler ging so weit, daß er seinen jüngeren Sohn Wie Kuo zum militärwissenschaftlichen Studium nach Deutschland schickte. Dieser brachte es vor dem Weltkrieg zum Leutnant des 98. Jäger-Regiments und nahm auch an der Invasion in Österreich teil. Auf der anderen Seite praktizierte China zu dieser Zeit im Vergleich zu fast allen Ländern der Welt eine überaus Iiberale Einwanderungspolitik, die niemanden ausschloß. 38 Ho hatte in Wien eine Chinesisch-Österreichische Kulturgesellschaft ins Leben gerufen, am Vorabend des „Anschlusses“ im März 1938 veranstaltete diese eine Zusammenkunft mit chinesischer Musik. Mitten in die Veranstaltung platzte die Nachricht, daß die deutschen Truppen soeben die Grenze überschritten hatten und am nächsten Morgen in Wien eintreffen würden. In Folge des „Anschlusses“ wurden alle ausländischen Gesandtschaften in Wien geschlossen. Botschafter Tung wurde in die Türkei abberufen, Ho erhielt den Auftrag, die Botschaft aufzulösen und im selben Gebäude, am Beethovenplatz 3, ein Konsulat einzurichten. Außer Ho blieb nur noch der Vizekonsul Chou Chiyang in Wien, der für die Verwaltungsarbeit zuständig war. Vor allen ausländischen Konsulaten bildeten sich lange Menschenschlagen, die sich um die Erteilung von Visen anstellten. Immer wieder wurden die Wartenden von der SA eingeschüchtert, provoziert und auch verprügelt. Die Zahl derer vor dem chinesischen Konsulat wurde jedoch immer größer, denn bald hatte sich herumgesprochen, daß Konsul Ho mit Visa überaus großzügig war. Die Einreise nach Shanghai stand jedermann frei, hierfür brauchte man nicht einmal ein Visum, doch um Österreich bzw. Deutschland verlassen zu können, mußte ein gültiges Visum vorgewiesen werden. In vielen Fällen konnten sogar bereits in Dachau oder Buchenwald Internierte freibekommen werden. Die genaue Zahl der ausgestellten Visa kann nicht mehr eruiert werden, da sie nicht mit der Anzahl der österreichischen Exilanten in Shanghai bzw. China identisch ist. Hierin liegt die Größe der Tat von Ho, denn er wußte nur zu genau, daß viele Juden gar nicht vorhatten, nach China zu reisen. So entkamen im Frühling 1939 an die 400 Juden mit Hilfe der chinesischen Visa und der Aliyah Bet über Italien nach Palästina. Nach Kuba entkamen u.a. auch Kalman und Anna Singer, die Eltern von Israel Singer, dem Vorsitzenden des World Jewish Congress. Diese der nationalsozialistischen Politik zuwiderlaufende Praxis konnte nicht lange ungehindert bestehen. Einige Monate nach dem „Anschluß“ hatte Ho seine Frau und seinen elfjährigen Sohn aus Sicherheitsgründen in die USA geschickt. Bald intervenierte sein direkter Vorgesetzter, der chinesische Botschafter in Berlin, Chen Jie. Telefonisch befahl er Ho, die großzügige Vergabe von Visa unverzüglich einzustellen, doch Ho berief sich einmal mehr auf die offiziellen Vorgaben des Außenministe