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schwer arbeitenden chinesischen Volk'!“, forderte Adolf Josef Storfer in der von ihm herausgegebenen Gelben Post.” Shanghai wies weltweit eine der höchsten Kriminalitätsraten auf. Kaum ein Flüchtling blieb von Einbrüchen oder Straßendiebstählen verschont, wofür die in dieser Stadt mit wichtigeren Dingen beschäftigte Polizei kaum Interesse zeigte. Emigranten lernten auch, daß man in chinesische und weißrussische Polizisten wenig Vertrauen setzen und sich statt dessen an die indischen Sikhs, deren Existenz sie anfangs in Erstaunen versetzte, wenden sollte.?' Irma Friedländer machte David L. Bloch: „Achtung vor Hutdieben“. Aus: David Ludwig Bloch: Holzschnitte, S.46 die Erfahrung, daß sie beim Binden ihrer Schuhbänder keinesfalls die Handschuhe in die Manteltasche stecken durfte, da diese sonst verschwunden wären. Als „originelles Gewerbe“ bezeichnete sie den Hutdiebstahl: Chinesen mit langen Bambusstangen zogen Männern, die in der Straßenbahn in der Nähe der Fensteröffnung saßen, blitzartig den Hut vom Kopf, oft ohne daß es die Betreffenden merkten.” Emigranten fühlten sich auch vom aggressiven Verhalten der vielen Bettler irritiert, die sich mit einer Kette wie ein Tier durch die Straßen führen oder Gliedmaßen amputieren ließen, um Mitleid zu erregen.” In der Gelben Post werden die „vorzüglich organisierten‘ Shanghaier Bettler als „das raffinierteste Pack, das man sich vorstellen kann“, bezeichnet.” Neben der Konfrontation mit der ungeheuren Armut trugen die schlechten hygienischen und sanitären Verhältnisse zum Kulturschock bei. Die stark verschmutzten Straßen, unangenehme Gerüche, Feuchtigkeit, schwer zu bekämpfendes Ungeziefer, unbekannte Krankheiten und die fehlenden sanitären Anlagen ließen viele Flüchtlinge anfangs an ihrer Situation verzweifeln.” Ein Kübel, sarkastisch „honey-pot‘ oder „jampot“ genannt, mußte die zumeist fehlenden Toiletten ersetzen. Jeden morgen reichten die Hausfrauen dem Kuli ihre angefüllten Töpfe zur Entleerung, woraufhin dann für 15 bis 20 Minuten weithin ein allen bekanntes Geräusch zu hören war, das dadurch entstand, daß die Frauen die Töpfe mit einer Bambusbürste reinigten.”* „Alles ist sichtbar, liebliche Düfte ziehen einem in die Nase, ganz besonders, wenn dies, wie üblich am Morgen, wenn man gerade frühstückt, geschieht“, klagte Hertha Beuthner, die unter den ungewohnten Lebensbedingungen in Shanghai besonders litt. Als Hausangestellte bei einem in Deutschland renommierten Chirurgen mußte sie mitansehen, wie dieser neben ihr den Topf benutzte. Für sie war es schwer zu akzeptieren, daß gebildete und kultivierte Menschen, durch die Bedingungen der Emigration demoralisiert, ihr Schamgefühl verloren.” Maria Plattner hingegen, die sich als junge Frau in Shanghai insgesamt recht wohl fühlte und als Friseurin für das Überleben ihrer Familie sorgte, empfand den Kübel keineswegs als störend. Ihrer Meinung nach war diese Methode hygienischer als eingebaute Toiletten, die ständig überflutet worden wären, da 41