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Man wohnt überall ganz dicht, eng bei eng, mit diesem allerniedrigsten Gesindel zusammen, kann sich gegenseitig in die Fenster sehen und wird nirgends diesen abscheulichen Anblick los. Das ganze Leben dieser Chinesen spielt sich auf der Straße ab: es wird überall in den fliegenden Garküchen auf der Straße gekocht, es wird Handel getrieben, man stößt bei Schritt auf Tritt auf Bettler, auf der Straße wird Wäsche gewaschen, getrocknet, Säuglinge werden beim Laufen an der Brust genährt, es wird geraucht, usw. usw. Ekelerregende nackte Gestalten, widerliche Gerüche verschiedenster Art: kurz: ein Anblick und ein Duft rein zum Kotzen! Ich ekelte mich derart, daß ich nicht mehr hinsehen mochte und dauernd versuchte, mich von allem fernzuhalten. Aber das ist ja ganz unmöglich, und man stolpert ja fast andauernd bei jedem Schritt über irgend einen Chinesen. Sie schlafen auf der Straße, Kinder spielen auf der Straße, sie machen einen ohrenbetäubenden Lärm und einen Gestank, der zum Himmel schreit! Sie spucken und schreien, sie zanken und schlagen sich; kurz, es ist das widerlichste Volk, das ich jemals gesehen habe.” Die Konfrontation mit den sozialen Verhältnissen in Shanghai und die eigene Verarmung riefen den Emigranten erneut in Erinnerung, was ihnen durch ihre Vertreibung aus Deutschland oder Österreich verlorengegangen war. Aus der Tagebucheintragung einer Berlinerin geht auch hervor, wie stark sich manche Vertriebenen trotz ihrer Verfolgung noch mit der deutschen Kultur identifizierten: Wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, auf welch hoher Kulturstufe der Deutsche steht, dann könnt ihr glücklich sein, dort leben zu können. Das ist und war für uns alle eine solche Selbstverständlichkeit, daß man erst gewahr wird, was man aufgegeben hat, wenn man dieses sieht. Ich habe noch nie so viel Unappetitliches gesehen, wie in diesen Tagen. Jede Frau, jeder Mann, jedes Kind bohrt ungeniert in der Nase herum. Sie spucken und speien, daß man aus dem Ekel nicht herauskommt. Wie kultiviert ist dagegen noch die deutsche Nation.” Walter Frank, dessen Lebensgeschichte 1995 erschien, relativierte diese negative Sichtweise und wies zu Recht darauf hin, daß sie trotz der widrigen sanitären Verhältnisse in Shanghai besser aufgehoben waren als im „sanitary Germany“.” Den meisten Flüchtlingen fiel es schwer, sich in der stark frequentierten Markthalle zurechtzufinden.* „Man kennt hier keine fixen Preise und man muß immer unterbieten. Auch die Gewichtsmenge der Ware ist sehr unzuverläßlich“,” beklagte Hertha Beuthner. Die chinesischen Verkäufer wurden aber auch als anpassungsfähig und flexibel beschrieben, wobei insbesondere ihre Sprachbegabung bewundernd hervorgehoben wurde. „Sie haben sich schnell auf die Emigranten einstellen können und gleich gewußt, wie das alles heißt und wie das alles geht. (...) Die haben schneller Deutsch geredet als wir ein Wort Chinesisch gelernt haben“, erinnert sich Maria Plattner. Andere berichten von chinesischen Hausierern, die ihre Waren auf deutsch feilboten; so soll ein Chinese, der zerbrochenes Porzellan wieder zusammenklebte, seine Fahigkeit mit ,,Porzellan kaputte ganz machen“ angepriesen haben. Annemarie Pordes begegnete einem chinesischen Kellner, der Jiddisch sprach.” Das Stereotyp von den unehrlichen Chinesen findet sich auch wiederholt in Beschreibungen über chinesische Angestellte. „Sie hatten nur ein Interesse, in einem unbewachten Augenblick Geld oder Schmuck zu ergattern. Wir Flüchtlingsfrauen lernten pe schnell, daß wir am besten bedient waren, wenn wir alles selber taten“, klagte Irma Friedländer.”” Dem Berliner Arzt Theodor Friedrichs war es peinlich, daß er Zeuge wurde, wie sein Boy ohne Gewissensbisse einen chinesischen Gemüsekuli übervorteilte.°' Beschreibungen chinesischer Hausangestellter geben aber nicht nur Einblick in deren Lebensbedingungen, sondern vermitteln auch ein Bild über die Mentalität der österreichischen oder deutschen Arbeitgeber. Der kolonialen Tradition entsprechend, wurden chinesische Hausangestellte auch von den Emigranten nicht mit ihrem Vornamen, sondern nur als No 1 Boy oder No 2 Boy angesprochen. Indem die Boys die „Sprache der Händler sprachen und den wirklichen Marktwert der Ware kannten“, waren sie für die diversen Einkäufe für den Haushalt unabkömmlich.” Die Löhne der chinesischen Hausangestellten waren extrem niedrig und die Arbeitszeiten gesetzlich nicht geregelt, freie Tage gab es nur an hohen chinesischen Feiertagen. Einkäufe für die europäischen Arbeitgeber erwiesen sich als eine gute Gelegenheit, sich „extra money‘ zu verdienen; No 1 Boy erhielt beispielsweise von den Anbietern für den vermittelten Verkauf eine gewisse Summe zugesteckt, was sich für den Arbeitgeber noch immer als Geschäft erwies, da dieser selbst unter wesentlich schlechteren Bedingungen eingekauft hätte.” Trude Kracauer gibt Einblick in das Leben einer Amah, einer traditionellen älteren Chinesin mit grauen Haaren, schwarzen Hosen, die typische Kleidung für chinesische Dienstboten, gebundenen Füßen und selbstgemachten Stoffschuhen, von der sie über die im Westen damals noch völlig unbekannt Akupunktur lernte. Dabei stellte sie aber auch kritisch fest, daß sie wie die meisten Europäer über das persönliche Leben der Amahs oder Boys nichts wußte — „nobody ever asked their name at that time, it did not even occur to us“. Zu vielfaltigen und nicht immer konfliktfreien Begegnungen kam es auch am Arbeitsplatz. Fliichtlinge waren gezwungen, mit den „konkurrenzlos billigen Chinesen“ zu konkurrieren, die häufig auch von Emigranten als Arbeitskräfte bevorzugt wurden.” Dazu nahm auch ein Wiener Emigrant in den Jüdischen Nachrichten vom 15. Juli 1940 Stellung: 43