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Voraussetzungen Daß sich in der Shanghai-Emigration unter ihren äußerst problematischen Bedingungen ein überaus reiches Kulturleben mit Kleinkunst und — sogar mehreren — Theaterensembles entwickelte, wird nur auf den ersten Blick überraschen: die Fortführung der europäischen Kulturformen steht für den Selbstbehauptungswillen der Emigranten. Diejenigen Flüchtlinge, die bis 1939 im nationalsozialistischen Deutschland aushielten, hatten sechs Jahre Entrechtung, Unterdrückung und Bedrohung hinter sich. Die österreichischen Juden hatten noch bis zum „Anschluß“ ihres Landes im März 1938 in bürgerlicher Normalität gelebt, dann aber unter extremen antisemitischen Kampagnen und Aktionen leiden müssen. Mit individuellen Unterschieden teilten alle ShanghaiEmigranten diese Erlebnisse. Sie bildeten eine kollektive Erfahrungsgrundlage, wie sie in diesem Ausmaß innerhalb der Emigration nirgendwo sonst anzutreffen ist. Außergewöhnlich ist auch der relativ hohe Anteil derjenigen, die in einem Konzentrationslager inhaftiert waren. Mehrere Dutzend, vielleicht sogar einige hundert Männer kamen direkt aus den Konzentrationslagern Buchenwald oder Dachau nach Shanghai. Zu diesen zum Teil langjährigen Erfahrungen von Entwürdigung und Verfolgung trat der konkrete lebensgehe Palm-Garden Gafe-Restaurant-Bar ° 100 FORD-LANE PHONE: 51542 Zu erreichen ueber: Yangtzepoo Haus 603 oder. Pingliang Road Haus 348/50 | Ein Stueck Grinzing nach Shanghai gebracht! Hoechster Heuriger! im festlich beleuchteten Palm-Garden. unter Leitung von Herrn Desiderius Gruen. Es spielt: Schrammel - Quartett “KAPISE” Es singt: “SCHAFRANER’" Tanz - Musik - Stimmuge : .Wein-Bowle Heurigen- se am 10. Juni um 7 SB i Veranstaltung | i 46 schichtliche Bruch durch die Emigration. Weit stärker noch als in anderen Zufluchtsländern hatten sich die Exilanten in Shanghai um die Wiederherstellung eines persönlichen und gesellschaftlichen Selbstbewußtseins zu bemühen. Die individual- wie sozialpsychologischen Grundlagen moderner Gesellschaften — kulturelle Kontinuität, gegenwärtige Identität und Zukunftsperspektive — mußten völlig rekonstruiert werden. Vor dem Hintergrund dieses Prozesses gewinnen alle Ansätze eines eigenen kulturellen Lebens einen Stellenwert, der dem der Bemühungen um die materielle Lebenssicherung gleichkommt. Exilierte Künstlerinnen und Künstler Insgesamt lassen sich für den Zeitraum 1939-1947 in Shanghai etwa 200 Kulturschaffende aus allen Bereichen darstellender Kunst namentlich ausmachen. Unter den Emigranten dort befand sich, anders als in fast allen anderen Zufluchtsländern, kein einziger prominenter Künstler, Wissenschaftler oder Politiker. Der geringe Bekanntheitsgrad erschwert die Ermittlung biographischer Daten, aber zumindest bei einigen Künstlerinnen und Künstlern ist ihre Herkunft aus Österreich belegt. Einer der unbestrittenen Stars des Shanghaier Theaters war die 1910 in Baden bei Wien geborene Jenny Rausnitz; weitere Schauspieler waren Karl Bodan, Olga Hayegg-Bodan, Fritz Schnitzer und Fritz Schwarz; als Kabarettisten traten auf Erwin Engel, Fritz Heller, Felix Löschner, Leo Plohn, Erwin Schlesinger und Fritz Strehlen. Robert Weiss-Cyla trat mehrfach als Regisseur hervor, bei Operettenaufführungen wirkten mit die Sängerin Rose AlbachGerstl sowie die Sänger Leopold Brodmann, Josef Fruchter und Oskar Kovacs. Andere Österreicher waren Luise und Jakob Fleck, die zur ersten Generation der Österreichischen Filmschaffenden gehörten, sowie die Autoren Hans Schubert und Mark Siegelberg. Der Pianist Gino Smart komponierte Lieder für eine in Shanghai geschriebene Komödie sowie eine dort entstandene Operette. Erste und überaus rege genutzte Auftrittsmöglichkeiten ergaben sich in vielfältiger Weise im Bereich der Kleinkunst: im Soloauftritten in Caf&häusern hatten Sängerinnen und Sänger, Kabarettisten, Zauberkünstler, Pianisten und Conferenciers ihr Publikum. Die Gründe für die große Zahl dieser Programme liegen auch in der einfachen Handhabbarkeit dieses Genres, für die einzelnen Veranstaltungen bedurfte es keines besonderen organisatorischen Aufwands. Die Kleinkunst-Veranstaltungen, bei denen Künstlerinnen und Künstler österreichischer Herkunft dominierten, waren vor allem im Herbst 1939 so zahlreich, daß in der Emigrantenpresse schon von einer „Ermüdung des Publikums“ geschrieben wurde. In seinen Aufzeichnungen über das Shanghaier Exiltheater schrieb Alfred Dreifuß rückblickend mit der Pointierung des deutsch-österreichischen Mentalitätsunterschiedes: „Und so wurde recht und schlecht getingelt. Daß hierbei die lieben ‚Wiener’ wieder führend waren, versteht sich von selbst. Das gesamte Operettenrepertoire von Strauß bis Kälmän, die (man ahnt es nicht, wie reichhaltig sie