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Neben den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich kam eine weitere Gruppe in das Exil nach Shanghai — Juden aus Osteuropa. Sie brachten die orthodoxen Traditionen mit nach Shanghai, als Beispiel sei die Jeshive, die Talmudschule, von Mir erwähnt.' Die polnische Stadt wurde 1939 bereits am ersten Tag des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee besetzt. Dadurch hatten die Juden, die östlich dieser Linie wohnten, noch die Möglichkeit, über Rußland-Sibirien-Japan nach Shanghai zu entkommen. Diese Flüchtlinge aus Polen bildeten einen unübersehbaren Kontrast zu den deutschsprachigen Juden aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei — kulturell, religiös und sprachlich. In der hebräischen Sprache gibt es einzelne Wörter, bei denen jüdisches Schicksal unmittelbar vor Augen steht. Erinnert sei an „göleß“ (hebr. „Galut“), d.h. „Exil, Diaspora“, in seiner Bedeutung für das jüdische Volk. Ein ähnliches befrachtetes Wort ist „Churben“, d.h. Vernichtung, Verwüstung, Ruine. Eine ganze Gattung innerhalb der israelistisch-jüdischen Literatur ist diesem Thema gewidmet: die Churbenliteratur, die festhält, was Israel im Laufe seiner Geschichte an Zerstörung und Vernichtung widerfahren ist. Zu dieser Gattung gehört auch poetische Dichtung, z.B. Psalm 137, das Gedenken der nach Babylon Weggeführten an Jerusalem oder die am Zerstörungstag Jerusalems vorgetragene Megillah Echa. Churbener IYONDDTIN ID IN pp Pawiy specs ne paw pb DIE k Ow NpDe"a Db q ENT NWADMIE PP ms Tr yurte nd DR WERTEN | 1949 ‚Dyine-ngayıı Titelseite des Tagebuchs „In fajer un flamen“ von Rose Shoshana, erschienen 1949 in Buenos Aires 52 literatur ist ein umfassender Begriff, und ohne Zweifel ist das Tagebuch der Rose Shoshana In fajer un flamen in diese Literaturgattung? einzuordnen. Aber neben dem Kriterium Vernichtung und Zerstörung gehört dazu auch als Gegengewicht die Mahnung, die Cyprian von Karthago um 250 u.Z. zugesprochen wird: auch in Ruinen aufrecht stehen. Das ist die andere Seite von In fajer un flamen. Wir erfahren, wie die jiddischen Exilkünstler durch die kulturellen Veranstaltungen in einer fremden Welt das Bedürfnis nach geistiger Identität wachgehalten hatten: das alles unter bedrückenden äußeren Verhältnissen. Die kulturelle Szene des Exils in Shanghai muß als recht unterschiedlich angesprochen werden, aber allen gemeinsam war die trostlose materielle Grundlage — „noch nicht einmal einen Thespiskarren““ — das Ausgeliefertsein an die totale Unsicherheit der Verhältnisse, aber auch der unbeugsame Wille, die eigene Identität nicht zu verlieren und die eigene Kultur nicht aufzugeben. Das Exil von Shanghai unterschied sich von anderen Exilorten dadurch, daß alles begrenzt war: Alle saßen mehr oder weniger in einem Boot. Der Raum war begrenzt, die Möglichkeiten und Mittel ebenso; die Zahl der Exilanten war begrenzt und überschaubar: Jeder kannte jeden. Wer es hier unternahm, Kultur in welcher Form auch immer zu vermitteln, nahm ein großes Wagnis auf sich. Damit wollen wir zu dem Lebenslauf einer Schauspielerin übergehen, die im Januar 1946 folgendermaßen rezensiert wurde: „Eine Künstlerin, eigenwillig in ihrer Kunst ist R. Schoschano. Ihre Art des Vortrags ist von solch einer bezwingenden Bescheidenheit, und gerade deshalb ist die Wirkung eine umso größere. Ihr „Telegramm“ war ein Kabinettstiick schauspielerischen Konnens.“° Der Regisseur Alfred Dreyfuß beschrieb sie als eine der „wirkungsvollsten Künstlerinnen“ in Shanghai, „die ein jiddisches Theater betrieb“.° Es bereitet einige Mühe, Daten und Informationen über die meisten Künstler in Shanghai zu ermitteln; diese Schwierigkeiten haben wir bei der Biographie von Rose Shoshana auch.’ Sie wurde am 25. Juni 1895 in Lodz, damals RussischPolen, geboren. Für ihren Lebensweg war von entscheidender Bedeutung, daß sie nicht in der oft beschriebenen Enge des Schtetl aufwuchs, sondern in einer Stadt, die trotz ihres Charakters als Industrieort ein reiches frei entfaltetes kulturelles Leben vorzuweisen hatte. Fern von der starren Dumpfheit Galiziens, wie Isaak Babel in seiner Reiterarmee?® die dortigen Gemeinden beschreibt, hatte sich in Lodz eigenständiges jüdisches Leben hervorragend entwickelt. Für Rose Shoshana wird das jiddische Theater zum Lebensinhalt. Aber bis es soweit war, mußte sie einen entbehrungsreichen Weg gehen. Ihr ganzes Leben ist mit der jiddischen Bühne verbunden. Das Auftreten als Künstlerin umfaßt gut drei Jahrzehnte. Was ihre aktive Teilnahme am 11. Zionistenkongreß in Wien anbetrifft, so ist anzunehmen, daß sie damals in Verbindung mit zionistischen Kreisen gestanden hat. Jedenfalls ist das Ensemble, in dem sie auftritt, einer der „Chibbat Zion“ nahestehenden Gruppe aus Lodz zuzurechnen.’