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Gut verkauft. Jetzt verstehe ich, warum die polnischen und litauischen Juden nicht in die „Heime“ gehen wollten. Beim Speelmann-Komitee haben die polnischen und litauischen Revolutionäre große Aufregung hervorgerufen: Was wagen sie es, anders zu handeln als das Komitee es will ... die polnischen aber haben unverschämt behauptet: „Unsere Brüder auf der ganzen Welt, in Amerika und Argentinien, werden keine große Zahl deutscher getaufter Beamter unterhalten. Reduziert das alles auf ein Viertel und gebt dem gequälten jüdischen Flüchtling eine kleine Chance, nicht vor Hunger zu sterben. Es ist Geld, das für uns gegeben wurde.“ Die polnischen und litauischen Flüchtlinge sind ein Dorn im Auge des Speelmann-Komitees. Viele deutsche Flüchtlinge sind auf die polnischen böse, die sich höher zu stellen wagen und bessere Bedingungen fordern. Die meisten deutschen Flüchtlinge haben aber vor uns großen Respekt bekommen und waren mit uns einverstanden. Sie beneiden uns, weil wir Mut haben zu sagen, was wir auf dem Herzen haben. 1. November Heute war ich im jüdischen Klub, in der Bubbling Road - ein prachtvolles Lokal, reich und groß. Viele reiche russische Juden getroffen ... und die reiche Familie Tukatschinski, die in Warschau gewohnt hat, an der Ecke Nowolipki Karmelizka, meine Nachbarn. Sie haben uns für Freitagabend zum Fischessen eingeladen. Da im Klub habe ich zum ersten Mal, seit ich von Japan weg bin, ein Gläschen frischen Tees getrunken. In Hongkew gibt es kein Gas, man kocht auf „Hibatschen“, einer Art Feuertopf mit Holzkohlen, oder mit einer Art Staubkohlen. Man macht den Staub naß, drückt ihn zusammen, tröcknet ihn an der Sonne und zündet den Hibatschen an. Nicht nur muß man den Hibatschen auf der Straße anzünden wegen des Rauchs und mit einen Fächer dabei stehen und so lange fächeln, bis es richtig brennt, es ist auch sehr teuer. Niemand wird den Hibatsch für Tee anmachen. Also kauft man „Kipjatok“. Wir trinken immer Tee aus der Wärmflasche, er hat immer einen Beigeschmack und ist immer kalt. Jetzt haben wir uns wirklich erquickt: Ein heißes frisches Glas Tee und dabei noch billig. Im Klub ist alles sehr billig. Lazar hat mit ihnen geredet. Man soll mir den Saal für einen Vorlesungs- und Konzertabend vermieten, und somit werde ich Gelegenheit haben, vor den Shanghaier Juden aufzutreten. Am 25.Oktober 1941 waren Rose Shoshana und ihr Mann in Shanghai angekommen. Schon 14 Tage später versuchte sie, eine Literaturgruppe zu gründen; sie schrieb am 6. November Heute war der erste literarische Abend, veranstaltet von den jiddischen Schriftstellern im jiddischen Klub. Die ganze jüdische Prominenz aus Shanghai ist gekommen. Den Abend hat der Warschauer Journalist M. Flakßer eröffnet. Es ist der hiesige Redakteur des jüdisch-russischen Wochenblattes, D.B. Rabinowitsch,' aufgetreten. Lazar Kahan hat den schweren dornigen Weg der Flüchtlinge geschildert. Es haben der Kritiker J. Rapoport,'” B. Rozen und Pines geredet. Raje Somina hat Lieder vorgetragen. Ich habe zum Abschluß des Abends Texte rezitiert. Der Erfolg war sehr groß, und wir haben noch im Klub mit den Shanghaier Juden zusammengesessen. Hier wird nicht nur das starke Bedürfnis nach geistiger Identität durch kulturelle Veranstaltungen in einer fremden Welt deutlich, sondern wir erhalten auch eine Auflistung jiddischer Exilkünstler bzw. Exilliteraten, z.B. der Journalist Dovid B. Rabinowitsch, der Literaturkritiker aus Warschau Josua Rapoport, der Kunsthistoriker Joni Fajn, ' die jiddische Volksliedsängerin Raje Somina und der Mann von Rose Shoshana, Lazar Kahan. Er war sowohl ein bedeutender Schriftsteller als auch Journalist und.hat die jiddische Zeitung Undzere welt in Shanghai herausgegeben. Einige Schriften bzw. Bücher dieser Autoren sind in verschiedenden Bibliotheken in Europa noch auffindbar: Ein Aufsatz von Rabinowitsch „Di jidn in Chine“ in der jiddischen Zeitschrift Goldene Kejt (1951); und auch eine Autobiographie von Rapoport, ,,A fragment fun a leben“. Im ersten Aufsatz dieser 1967 in Melbourne gedruckten Autobiographie wurden seine Shanghaier Erlebnisse, die er im Januar 1945 niedergeschrieben hatte, aufgenommen. Er beschreibt die Belagerung durch die Japaner in Shanghai und die erneute Gefahr durch die Verfolgung der Gestapo, deren „langer Arm“ über Japan auch nach China gelangte. Von Fajn liegt ein Gedichtband vor, den er 1947 in Mexiko herausgegeben hat: A tlie unter die schtern (Ein Galgen unter den Sternen). Dieses Buch enthält fünf Gedichte, die er im Shanghaier Exil verfaßt hat. Shoshanas Tagebuch gibt uns im weiteren einen chronologischen Überblick über die Aufführungen des jiddischen Theaters und deren Mitwirkende, z.B. schrieb sie am 20. November Ich habe jetzt auch in Shanghai gespielt. Gott sei Dank dafür, daß ich den Abend überstanden habe. Der Abend liegt drei Tage zurück. Ich bin noch beeindruckt von dem großen Erfolg, von dem materi55