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ellen wie von dem ideellen. Mir sind siebenhundert Shanghaier Dollar übriggeblieben. Das ist heutzutage ein Vermögen für mich. Gleich habe ich Rozen zweihundert Dollar geliehen, damit er sich einen Wintermantel kauft, wo doch der Winter kommt. 20. Februar 1942 Mittwoch, den 18. dieses Monats, habe ich Mirele Efroß gespielt. Die Vorstellung war außergewöhnlich erfolgreich, obwohl es mit vielen Schwierigkeiten verbunden war, die Vorstellung zustande zu bringen. 25. Februar Heute bin ich für die russisch-jiddische Zeitung „Undzer leben“ aufgetreten und habe einige Deklamationen vorgetragen. Man hat die russischen Schauspieler bezahlt und hat ihnen alle Ehre erwiesen. Ich bin doch eine „Biedzenke“ und eine jiddische. Mir muß man nichts bezahlen, aber ich bezahle sie für die Reklame. Wie hört man bloß, auf eine „Biedzenke“ zu sein ... und wie kommt man bloß von Shanghai weg. Nicht nur die Werke der jiddischen Klassiker wurden im Theater aufgeführt, sondern auch eigene Werke der Emigranten von Shanghai, wie z.B. Homen-taschn mit reis von Lazar Kahan und A rajse arum der welt von Dovid Markus. 8. März Die Arbeit hat mich nicht abgeschreckt. Und heute, Purim, haben wir wieder Theater gespielt. Diesmal eine Revue. Der heutigen Vorstellung haben wir den Namen Homen-taschn mit reis gegeben, also Shanghaier Art. Der Schriftsteller Mojsche Elbojm war Conferencier und hat Nummern geschrieben; Swislazki und Markus haben die Sketche und die Gesangsnummern geschrieben. Der berühmte Musiker Prof. Schejnbojm hat die Musik komponiert. Der literarische Leiter war Lazar Kahan. Das Theater war ausverkauft. Doch wie es aussieht, wird nichts übrigbleiben. Ich bekomme gar keine Unterstützung von „East-Jokom“'” mehr, nämlich weil ich selbst etwas verdiene. Ich freue mich aber darüber, daß wir den Shanghaier Juden die Möglichkeit gegeben haben, ein bißchen Jiddisch zu hören. Viele Nummern sind von der Japanischen Obrigkeit verboten worden — darunter die Hauptnummer: A rajse arum der welt von D. Markus. 15. April Am 12. haben wir das zweite Programm aufgeführt. Da es Pessach war, haben wir diesmal die Vorstellung 12 knejdlech genannt. Das Theater war ausverkauft. Die Entbehrungen und Schwierigkeiten, unter denen die Künstler ständig litten, hat sie auch nicht verschwiegen. Trotz der Nöte erlangten sie großen Erfolg beim Publikum. 10. Mai Heute war die Premiere von Tewje, der Milchmann. Ich habe die Golde gespielt. Ich habe die Revue-Vorstellungen aufgeben müssen, erstens deswegen, weil wir in Shanghai keine guten Jiddischen Revue-Schauspieler finden können und man in Shanghai jede Vorstellung nur einmal spielen kann, weil es für zwei Abende nicht genug Publikum gibt, und die Revue kostete so viel, daß ein ausverkaufter Abend die Auslagen nicht gedeckt hat. Man hat also mit der Kleinkunst aufgehört und kam zum Drama zurück — zu jiddischen Theaterstücken, aber wo sollen wir die hernehmen? Ich habe mich hingesetzt und mit 56 Hilfe meines Mannes Lazar Kahan aus dem Gedächtnis Scholem Alejchems Tewje, der Milchmann aufgeschrieben, den ich mit Moris Lampe hunderte Male in Europa gespielt habe. Ich wußte schon, wo fähige Amateurschauspieler wohnen. Ich mußte zu ihnen gehen und ihnen die Rolle auf Jiddisch beibringen, allein die Requisiten besorgen, Regie führen, spielen, aber die ausverkauften Häuser waren mir ein Vergnügen, sowohl von der finanziellen als auch von der künstlerischen Seite. 3. Juni Mein erstes Benefiz-Konzert. Ich habe Das Glück von Morgen aufgeführt. Es hat in Strömen geregnet. Die Vorstellung ist gut angekommen, aber ich mußte dazu zahlen. Ich und Lazar haben mehrere Wochen daran gearbeitet. Die jiddischen kulturellen Aktivitäten konzentrierten sich vor allem auf die Zeitspanne von 1941 bis 1943. Am 28. Februar 1943 verkündeten die Japaner die Einrichtung eines Ghettos für die jüdischen Flüchtlinge im Kongkou-Bezirk. Am 2.Mai 1943, kurz vor der endgültigen Wegführung ins Ghetto, veranstalteten die Künstler einen Abschiedsabend: Unter der Regie von Rose Shoshana wurde das Theaterstück Dem unbakantn von Jakob Gordin aufgeführt. Zu diesem Abend schrieb sie: „hejnt is forgekumen majn opschid-ownt. ich hob gestelt dem umbakntn fun jakob gordin.‘” Drei Jahre nach dem Krieg, von September 1948 bis Januar 1949, veranstaltete das YIVO Institut in New York eine Ausstellung über „Jidisch lebn in Schanchaj“. Der Katalog enthält die Auflistung und die kurze Beschreibung der 279 Exponate. Davon sind die jiddische Presse, Kunst und Theater mit ca. 26 Exponaten vertreten, eine Bestätigung, daß in Shanghai ein aktives jiddisches Kulturleben existierte.?' Fazit Für die Geschichte des jiddischen Exiltheaters in Shanghai gibt es nur wenige schriftliche Zeugnisse von der Qualität des vorliegenden Tagebuchs. Da es jiddisch geschrieben wurde, ist der Text bisher nicht vielen zugänglich. An der Trierer Universität hat der Fachbereich Jiddistik einige Abschnitte des Tagebuches in Rahmen eines Projekts „Schreibende jiddische Frauen“ unter der Leitung von Simon Neuberg ins Deutsche übertragen. Weiterhin ist vorgesehen, das Tagebuch vollständig ins Deutsche, aber auch ins Chinesische zu übersetzen. Denn es ist sowohl ein wichtiger Beitrag zur europäischen Exilliteratur als auch zum europäischen und chinesischen Kulturaustausch. Shoou-Huey Chang, geb. in Taiwan, Dr. phil., Studium der Germanistik in Taipei, 1998 Promotion an der Universität Trier in Jiddistik, seit 1998 Assistent Professor am Wen Tzao College of Modern Languages, Kaohsiung/Taiwan R.O.C. Veröffentlichungen zum Thema u.a.: China-Rezeption auf Jiddisch. Zu den Li-Tai-Po-Übersetzungen. In: Jiddistik Mitteilungen, Universität Trier, Nr. 18, November 1997, S. 1-16.