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grotesk wie ein Mickymausfilm, da kann man einfach nicht ernst bleiben, und der Rekrut von Bett Nummer 100 ist der einzige im Saal, der nicht lacht. Nachdem auch der zweite Fuß amputiert worden ist, folgt noch eine kleine Arbeit mit der Säge, die saubere Abtrennung einer Schnitte Unterschenkel, weißer Knochen in rotem Fleisch. Dann geht der Arzt weg mit dem gestärkten Lebensgefühl, das uns jede erfolgreich ausgeführte Arbeit bringt. Die Schwester wickelt Bandagen um den blutigen Stumpf und trägt das Tablett mit den Instrumenten auf seinen Platz. Auch sie kann mit sich zufrieden sein, auch sie hat ihre Arbeit gut und geschickt erledigt. Die Zuschauer zerstreuen sich. Sie haben gesehen, was man nicht jeden Tag sieht, und man kann sagen, was man will, aber es war interessant. Der Rekrut hat noch immer die Binde vor den Augen, weil man vergessen hat, sie ihm abzunehmen, und weil er zu verwirrt und aufgeregt ist, um sich selber davon zu befreien. Unter dem nassen Tuch quellen die Tränen. Auch die abgeschnittenen Füße sind noch da. Sie liegen im Eimer, Zehen am Boden, Fersen nach oben gekehrt — auf den Zehenspitzen, wenn man so sagen kann. Susanne Wantoch (1912-1959), geborene Eisenberger, verbrachte ihre Kindheit in Wien, Hamburg, Köln und Linz, wo sie ab 1927 dem „Kommunistischen Jugendverband“ („K.J.V.”) angehörte. In den dreißiger Jahren Lehrbefähigungsprüfung für Englisch und Französisch, Arbeit als Fremdsprachenkorrespondentin, erste Publikationen, 1938 Heirat mit Theo Arno Wantoch. November 1938 Emigration nach China, Arbeit als Krankenpflegerin in den Provinzen Kueitschou und Honan, wo ihr Mann als Arzt tätig war, ab 1941 Sprachlehrerin an verschiedenen Universitäten in China. 1945 Tod Arno Wantochs, März 1947 Rückkehr nach Wien, Arbeit als Englischlehrerin, Sekretärin, Journalistin und Schriftstellerin. Im Juli 1959 in den Alpen tödlich verunglückt. Susanne Wantoch schrieb für verschiedene österreichische Zeitungen, als Bücher erschienen von ihr: Nan Lu. Die Stadt der verschlungenen Wege. Eine Erzählung aus dem China von heute (Wien 1948); Das Haus in der Brigittastraße (Roman, Wien 1955); Von Nichts zu Nichts ein eiserner Balkon (Gedichte, hg. von Rudolf Felmayer, Wien 1970). - Die vorliegenden Erzählungen stammen aus dem Nachlaß Susanne Wantochs, der von Erika Wantoch, Wien, verwahrt wird, und werden hier erstmals veröffentlicht. Deutiches Generaltonfulat. Aktz,: D Pol 3 #r. 12/1006/42. Harkow, den 13. Hai. .1942 Gemäss der 11, Verordnung zum Reichsbürger-Gesetz vom 25.11.43 haben Sie als jüdischer Emigrant die deutsche Reichsangehörigkett verloren. Ich bitte Sie, Ihren-und den deutschen Reisepass Ihrer Ehefrau alsbald hierher zu Senden. Der Deutsche Generalkonsul Herrn ; Israel Theodor. Vantoch x Paosheng Shens Alle Abbildungen aus dem NL Susanne Wantoch, Wien a, N: A Orr wt > SH SRE BHD Bs Ausweis des chinesischen Roten Kreuzes von Susanne Wantoch 61