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In Shanghai mußten wir die Erfahrung machen, daß die reichen Leute, welche bisher in der deutschen Kolonie die Alleinherrschaft hatten, gerade jetzt zu einem sehr scharfen Kampf gegen die NSDAP ausholen. (...) Die Lage ist insofern schwierig, als die meisten Nationalsozialisten bei den obigen Leuten angestellt sind, und daß sich unsere Gegner nicht scheuen, mit wirtschaftlichen Drohungen zu arbeiten.' Dieses Zitat entstammt einem Rundschreiben, das im März 1933 unter den deutschen Nationalsozialisten in China kursierte. Den Nationalsozialismus mit seiner rassistischen, extrem nationalistischen Weltanschauung sah die Mehrzahl der Deutschen in Shanghai damals als peinliche, unter Umständen sogar geschäftsschädigende Verirrung einiger unbedeutender Firmenangestellter. Die Deutschen waren Anfang der dreißiger Jahre nämlich im Begriff, sich in der kosmopolitischen Gesellschaft dieser asiatischen Wirtschaftsmetropole wieder zu etablieren: Nach dem verlorenen Weltkrieg ausgewiesen, hatten sie durch die Aufgabe extraterritorialer Rechte im Friedensvertrag mit China (20.5. 1921) im Geschäft mit chinesischen Partnern wieder an Prestige gewonnen. So konnte man an die deutsche Handelstradition anknüpfen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch Handelshäuser wie Carlowitz & Co. existierte. Nationalistisches Säbelrasseln konnte in der Weltstadt Shanghai nur zu unerwünschten negativen Schlagzeilen führen; zumal NS-Gedankengut von außen in die Gesellschaft der China-Deutschen getragen worden war: Durch Militärberater der chinesischen Regierung Tschiang Kai-sheks, die schon am Hitler-Putsch von 1923 beteiligt gewesen waren. Die Situation änderte sich jedoch, als deutlich wurde, daß Hitler keine kurzfristige Erscheinung sein würde. Die ShanghaiDeutschen paßten sich dem Kurs an, der im Kontakt zu Geschäftspartnern in Deutschland geboten schien und begrüßten vor allem jene Maßnahmen Hitlerscher Politik, die gegen Kommunisten gerichtet waren — denn in Shanghai war die Furcht vor dem Kommunismus weit verbreitet. Schätzt man die Zahl der Parteigenossen aufgrund einer Liste der Shanghaier Gestapo, dann zählte die NSDAP in Shanghai im September 1933 rund 140 Mitglieder, mehr als und Ärzte. Später stieg die Zahl auf 316. Darunter waren 13 Personen, die im heutigen Österreich geboren waren. Drei von ihnen traten bereits im Frühjahr und Sommer 1933 bei. Die Gesamtzahl von 316 bedeutet, daß rund 13 Prozent aller Shanghai-Deutschen Parteigenossen waren. Wieviele Österreicher in Shanghai lebten, geht aus den vorliegenden Dokumenten nicht hervor. Bis 1944 gelang es der Orts- und Landesgruppe, das gesellschaftliche Leben der Deutschen fast völlig gleichzuschalten: Aus der Pfadfindergruppe an der deutschen Kaiser Wilhelm Schule war die Hitler-Jugend geworden, aus der evangelischen Frauenhilfe die Frauenschaft der Partei. Es existierte eine sogenannte Sportabteilung, deren Abkürzung SA mehr 62 über ihren eigentlichen Charakter verrät: Wie HJ und BdM trugen die Shanghaier SA-Leute die in Deutschland gebräuchlichen Uniformen, exerzierten und nahmen an politischen Schulungen teil, bei denen auch die rassistische Weltanschauung propagiert wurde. Gewalttaten sind jedoch keine überliefert. In ideologischer Hinsicht waren die Shanghaier SA und HJ eigenwillige Organisationen. Trotz Verbots aus Berlin nahmen sie sogenannte Gäste auf: Menschen, die nicht ins „arische‘ Schema der Nazis paßten und meist aus deutsch-chinesischen Familien stammten. Genauso fern der Realität in Deutschland wirkt auch die Kritik deutscher Geschäftsleute aus Shanghai. Einerseits richtete sie sich gegen den ab dem Frühjahr 1938 manifesten, projapanischen Kurs Berlins im chinesisch-japanischen Krieg — eine Politik, die ihnen die Lebensgrundlage entzog. Andererseits sahen sich die Shanghaier von der deutschen Staatsfirma Hapro in die Defensive gedrängt, die kriegswichtige Rohstoffe unter Ausschaltung der Handelshäuser nach Deutschland exportierte. Ihren Protest äußerte die Deutsche Handelskammer Shanghai mehrfach schriftlich an Berliner Ministerien. Im Juni 1936 schrieb sie dabei sogar von „doktrinärer Weltfremdheit‘” — zur damaligen Zeit starke Worte seltener Fundamentalkritik, die natürlich wirkungslos verhallten. Die Autoren dieses Protests waren Chefs der Shanghaier Firmen — also jene Personen, gegen die die lokale NSDAP zu Beginn ihrer Existenz den beschriebenen „sehr schweren Kampf“ auszufechten hatte. Für einen der frühen Shanghaier Nazis sollte sich dieser „Kampf“ auf der Karriereleiter auszahlen: Für Franz Xaver Hasenöhrl, geboren am 2. August 1891 in Wien. Nach Volks- und Mittelschule sowie einer Kadettenanstalt trat er 1910 als Berufsoffizier der K.u.K.Infanterie ins österreichische Heer ein. Im Ersten Weltkrieg mehrfach ausgezeichnet, verschlug es ihn nach Hankou und Shanghai, wohin er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien floh. 1920 stieg Hasenöhrl als Kaufmann bei Siemssen & Co. ein, wo er unter anderem Eisenbahnen, Flugzeuge und Kriegsgerät an die chinesische Regierung verkaufte und sich so bis zum Geschäftsführer seiner Firma emporarbeitete. Trotzdem geriet er in berufliche Schwierigkeiten, über die man sich in Kreisen der Chinafirmen und der frühen NSDAP folgendes erzählte: Die charakterliche, kaufmännische und leistungsmäßige Beurteilung des angefragten Herrn ist sehr ungünstig. In Shanghai hat er sich bei den deutschen Firmen durch die Art seines Auftretens außerordentlich mißliebig gemacht. Jedenfalls hätte die Bewegung schon viel festeren Fuß gefaßt, wenn nicht der Landesgruppenleiter ausgerechnet ein Österreicher wäre, von dem ganz Shanghai weiß, daß, als in Hankau die Kommunisten mit den Regierungstruppen Schüsse wechselten, er nichts eiligeres zu tun hatte, als seinen Posten zu verlassen und in Shanghai anzukommen. Bei S. & Co. genügten seine Leistungen nicht, man hatte ihm infolgedessen einen Deutschen vorgesetzt. Daraufhin trat er aus und sagte bei seinem Weggang wörtlich: „Das werden Sie aber merken.“ Von da an schmiß er den Leuten dauernd Knüppel zwischen die Beine.