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senöhrls Drohungen dadurch die Kraft nahm, läßt das Fehlen von Dokumenten und Zeitzeugenaussagen vermuten, die erfolgte Konsequenzen für Siemssen & Co. belegen. Neben Chile ist China ohne Zweifel unsere beste Landesgruppe. Kennzeichnend für das Wirken der Landesgruppe China ist die Tatsache, daß die Landesgruppe bei nur 4.000 Reichsdeutschen einschließlich Frauen und Kinder im vergangenen Jahr für das Winterhilfswerk einen Betrag von RM . 165.000, aufgebracht und damit die Spitzenleistung in dieser Beziehung erzielte.® Zweifellos spielten auch Hasenöhrls Kenntnisse in Englisch, Russisch, Französisch und Chinesisch eine Rolle, vor allem aber sein perfektes Ungarisch, weswegen ihn die Partei 1934 mit der Überprüfung ihrer ungarischen Landesgruppe beauftragte. Am 10. Oktober 1934 bekam Hasenöhrl seinen neuen Posten. Im Propagandaministerium wurde ihm die Leitung der Abteilung zur „Abwehr der politischen Lüge im In- und Ausland, Aufklärung, Förderung der Beziehungen zum Ausland“ übertragen. Im Geschäftsverteilungsplan erschien Hasenöhrl 1936 als Ministerialrat. Die Stelle sollte jedoch die letzte Sprosse sein, die er auf der Karriereleiter erklomm. Am 1. April 1938 zum Ministerialdirigenten aufgestiegen, bemühte er sich im darauffolgenden Jahr erfolglos, ins Auswärtige Amt oder ins Wirtschaftsministerium übernommen zu werden. Möglicherweise hatte er sich mit seinen Kollegen und Vorgesetzten im Propagandaministerium überworfen, als er am 1. Juli 1939 in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Zum Wehrdienst eingezogen, starb der 52jährige im Juni 1943 — „infolge eines im Osteinsatz zugezogenen Leidens“, wie der „Völkische Beobachter“ in seinem Nachruf schrieb.’ In Shanghai erinnerte man sich des Verstorbenen auch neun Jahre nach seinem letzten China-Aufenthalt. Die Tageszeitung „Ostasiatischer Lloyd“ rief dazu auf, alte Hasenöhrl-Fotos an die Geschäftsstelle der Landesgruppe zu senden, was bei anderen Toten nicht vorkam, und die Ortsgruppe ließ einen Totenkranz bestellen. Hasenöhrl zeigte aber nicht nur in seiner persönlichen Rache Aggressivität, sondern auch in der Verfolgung von Emigranten in China. Unter den ersten, die vor Hitler nach China flohen, befanden sich prominente Verwaltungsexperten der Weimarer Republik, die wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihrer jüdischen Abstammung verfolgt wurden. Darunter waren der Polizeipräsident Magdeburgs, Horst Bärensprung, und der preußische Regierungspräsident Wolfgang Jaennicke. Über den Völkerbund gelang ihnen die Kontaktaufnahme mit der chinesischen Nationalregierung Tschiang Kai-scheks, die dringend Verwaltungsexperten suchte und von dieser günstigen Gelegenheit, auf einen Schwung eine ganze Reihe ausgewiesener Spezialisten ins Land zu holen, gern Gebrauch machte. Der deutsche Gesandte Oskar Trautmann und Gesandtschaftsrat Martin Fischer waren es, die in einem langwierigen Tauziehen von Dezember 1933 bis Juni 1934 die Entlassung der Emigranten betrieben, und zwar offenbar zu Beginn ohne eine dahingehende Anweisung des Auswärtigen Amts. In ihrem Tagebuch beschrieb die Ehefrau Horst Bärensprungs die Hintergründe: Wir haben Anzeichen dafür, daß von deutscher Seite, besonders von einigen Ehrgeizlingen hier, die in Berlin gut ange64 schrieben sein wollen, schon seit einiger Zeit Druck auf die chinesische Regierung ausgeübt wurde, uns zu entlassen. Ja, man hat — wie wir erfuhren — sogar eine von China sehr gewünschte Lieferung von Lokomotiven der Firma Orenstein & Koppel von der Entlassung der Völkerbundsberater abhängig gemacht! Die Regierung in Nanking hat das offenbar zunächst in orientalischer Art zögerlich behandelt. Aber von der geplanten Erweiterung der Mission war schon lange nicht mehr die Rede. Die Herren wurden auch aus Nanking ferngehalten.” Zu den beschriebenen „Ehrgeizlingen‘ zählte wahrscheinlich auch Hasenöhrl. Er hatte der AO über die Stellungen der Emigranten in Tschiangs Verwaltung berichtet. Die Reichsleitung der NSDAP forderte daraufhin vom Auswärtigen Amt, „daß erneute Schritte zur Beseitigung der in dem Bericht des Auslandskommissars erwähnten Personen unternommen werden. Diese Leute sind eine äußerst schwere Belastung für die deutschen Kolonien in China und tun dem Ansehen Deutschlands den größten Abbruch“.'' Zum Zeitpunkt dieses aufgebrachten Briefes waren die Völkerbundberater freilich schon über einen Monat entlassen. Die Diplomaten hatten sich der Agitation der Partei also offensichtlich vorauseilend gebeugt. Widerspruch oder gar Widerstand regte sich in der Frage der Entlassung der Emigranten kaum. Der einzige deutsche Diplomat, der sich nachweislich eine abweichende Meinung erlaubte, war ausgerechnet Hermann Kriebel, ein prominenter Teilnehmer am Hitler-Putsch von 1923 und ab 1934 Generalkonsul in Shanghai. Seine ganze Autorität als „Alter Kämpfer“ in die Waagschale werfend, schrieb Kriebel an das Auswärtige Amt: Was die Angelegenheit Jaennicke anbelangt, so halte ich seine Anfeindung lediglich als eine Folge jener Art von Denunziation, die (...) vom Führer wiederholt auf das Schärfste gebrandmarkt worden ist und von jedem anständigen deutschen Mann verachtet wird. Die Denunziation gründet sich voraussichtlich auf die unwahre Behauptung, daß Jaennicke der Schwiegersohn des verstorbenen Reichspräsidenten Ebert ist. (...) Ich kann dabei nicht unterlassen, das Auswärtige Amt zu bitten, die Auslandsorganisation zu einer Anweisung zu veranlassen, daß mir als Generalkonsul, der selbst zur alten Garde der Partei gehört, Berichte wie der des Auslandskommissars (...) unmittelbar von diesem oder durch den Landesführer zugestellt werden.” Dieser Protest hatte freilich keine Wirkung. Ging es aber um die Wirkung seiner Partei in der internationalen Öffentlichkeit, so folgte Hasenöhrl konsequent der Linie der AO, HitlerDeutschland als gesetzestreues, mustergültig organisiertes Land zu präsentieren. Daran rieben sich die frühen Nationalsozialisten in Shanghai. So berichtete die Shanghai Municipal Police im Mai 1933: Obwohl in Nazi-Kreisen Vorschläge unterbreitet wurden, daß mit Juden, die einer feindlichen Einstellung verdächtigt werden, drastisch umgesprungen werden soll, gibt es kein Anzeichen, daß in der nahen Zukunft irgendein Versuch unternommen wird, diese Überlegungen umzusetzen." Antisemitische Aktionen nach deutschem Muster hätten in Shanghai zweifellos einen Skandal ausgelöst: Die meisten der in den dreißiger Jahren dort lebenden Juden besaßen englische