OCR
Die von Adolf Josef Storfer initiierte und herausgegebene ostasiatische Halbmonatsschrift, so der Untertitel, enthielt schon in ihrer ersten Nummer vom ersten Mai 1939 Aufsätze über „Chinesische Filme“, „Die Juden von KaiFeng Fu“, „Tsingtau“ oder, gleich auf der ersten Textseite, Storfers Respektbezeugung vor den Kulis, deren menschenunwürdige Arbeitsumstände viele Exilanten nachhaltig irritierten. Neben diesen Beiträgen, die den Neuankömmlingen Kultur und Mentalität ihres Zufluchtslandes näher brachten, fanden sich Texte über Psychoanalyse in Japan und über Pidgin-Englisch — Themen, die den Sprachwissenschaftler und Psychoanalytiker Storfer besonders interessierten. Der 1888 in Siebenbürgen Geborene war in Wien Schüler und Mitarbeiter Sigmund Freuds gewesen und hatte in den Jahren 1925-1932 den Internationalen Psychoanalytischen Verlag geleitet. Bereits vier Monate nach Storfers Ankunft in Shanghai kam die Gelbe Post heraus, die in den folgenden sechs Monaten immer wieder sprachwissenschaftliche oder psychoanalytische Aufsätze und vor allem Themen der ostasiatischen Kultur aus Gegenwart und Vergangenheit aufgriff. Zu den mentalitätsgeschichtlichen Beiträgen gehören etwa „Chinesischer Spott über das Händereichen“ oder „Die Sünde pünktlich zu sein“ — hier wurden Verhaltensunterschiede erklärt, die im Umgang mit den Chinesen besonders auffällig waren. Weitere herausragende Aufsätze sind etwa ein Nekrolog auf Joseph Roth, als Nachdruck aus einer französischen Zeitschrift, oder in Nr. 3 vom 1. Juni 1939 ein Auszug aus dem kurz zuvor erschienenen Buch Freuds „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“, der mit der von Storfer gegebenen Überschrift „Der Judenhaß in der Welt“ einen nachdrücklichen Aktualitätsbezug bekam. Explizite Bezugnahmen auf den Exilalltag finden sich eher selten, beispielsweise in einem Artikel über „Emigrantenspitaeler in Shanghai“. Dementsprechend erschließen sich aus der heutigen Lektüre der Gelben Post weniger die konkreten Lebensumstände der Exilanten in Shanghai; diese Zeitschrift ist vielmehr ein Dokument intellektueller Selbstbehauptung und geistiger Auseinandersetzung mit dem Zufluchtsland. In einem Rückblick vom 20. Januar 1946 stellte Ladislaus Frank, ein Freund des im Dezember 1944 verstorbenen Storfer, im Shanghai Journal fest, Storfer gewann mit der Gelben Post „alle für sich, die in dieser Zeit der absterbenden Kultur sich nach der Sonne der geistigen Heiterkeit, nach dem Glanz geschliffenen Wortes, nach der Wärme eines tieferen Gemüts gesehnt haben. Mit Freude stellte man fest, daß die Immigration Männer in ihren Reihen besitzt, die in der Eintönigkeit anglosächsischer Kolonialsiedlung einen kleinen Garten echter Kultur hervorzuzaubern vermögen.“ Welchen Aufwand an Energie Storfer dafür aufbringen mußte, welche logistischen Schwierigkeiten vor dem Erscheinen der Gelben Post zu überwinden waren, läßt sich nur erahnen. Nach nur wenigen Ausgaben mußte Storfer, gesundheitlich geschwächt und durch intrigante Konkurrenten in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht, die Gelbe Post einstellen. Er selbst vereinigte die ersten sieben Hefte zu einem „aktuellen Ostasien-Album“, das noch 1939 in Shanghai erschien. Auf ein Exemplar dieses Sammelbandes stieß Paul Rosdy in Washington bei den Recherchen für seinen Film Zuflucht in Shanghai. Mit einem illustrierten Beiheft, das eine fundierte Einleitung Rosdys enthält, hat der Verlag Turia & Kant einen Reprint dieses beeindruckenden Dokuments aus dem Exil in Shanghai herausgebracht. Einer von Storfers eigenen Artikel in der Gelben Post, in Nr. 6 von Ende Juli 1939, handelt von der für die Chinesen zentralen Redensart „das Gesicht wahren“. In einer redaktionellen Notiz bemerkt Storfer, der Artikel sei 1934, also noch in Europa, geschrieben worden: „Damals interessierte mich bloß die deutsche Redensart an sich und ich ahnte noch nicht, daß ich einige Jahre später in das Land gelangen werde, wo die sachlichen Voraussetzungen über die Entstehung jener Redensart zu Hause sind.“ (128) Redensarten, Wortgeschichte und -entstehung — das waren die besonderen Themen Storfers. Einen solchen Aufsatz, über „‘Jud’ in der deutschen Volkssprache“, veröffentlichte er in mehreren Teilen in der Gelben Post. Die Vorbemerkung weist auf die fatalen Umstände des Exils hin: „Das Nachstehende gehört in eine beabsichtigte, richtiger: beabsichtigt gewesene Sammlung von monographischen Aufsätzen aus dem Gebiet der deutschen Volkssprachenforschung. Daß der Verfasser seinen Wohnsitz aus Europa nach China verlegt hat und ihm nun sowohl die persönliche Beobachtung seines Objektes versagt ist als das Studium in deutschen Sammlungen, Bibliotheken, so kann er nicht mehr daran denken, daß das begonnene Werk in der Art, wie ursprünglich geplant, fertiggestellt werde. Zumal ihm bei der Überschreitung einer Staatsgrenze das Mißgeschick widerfahren ist, daß ein großer Teil seiner sprachwissenschaftlichen Aufzeichnungen, das Ergebnis jahrelanger mühsamer Arbeit, konfisziert wurde.“ (113) War dieses Projekt, so Storfer, zum „Nimmerfertigwerden“ verurteilt, so hatte er doch zwei andere umfangreiche Arbeiten zur Sprachforschung veröffentlicht: Wörter und ihre Schicksale, erschienen 1935 im AtlantisVerlag Berlin, und Im Dickicht der Sprache, 1937 im Wiener Passer Verlag herausgekommen. Auf beide Publikationen wurde wiederholt in der Gelben Post ganzseitig durch Fotos der Buchumschläge und zahlreiche Pressestimmen aufmerksam gemacht. In einem Nachruf auf Storfer von Josef Kalmer, erschienen in der China Daily Tribune vom 23. April 1946, hieß es über Storfers Bücher: „Für uns Österreicher sind sie deshalb besonders interessant, weil sie — in Teilen - Denkmäler der Wiener Sprache sind. Herkunft, Veränderung und Begriffswandel von Wörtern, die nur noch in Wien oder Österreich verwendet werden oder niemals über den österreichischen Sprachschatz hinausgelangt sind, finden ihre Erklärung, die Darstellung ihrer nicht immer eindeutigen Geschichte.“ Schon Kalmer äußerte den Wunsch: „Beide Bücher werden hoffentlich neu aufgelegt werden.“ Das ist jetzt geschehen - in sehr schöner Ausstattung im Berliner Verlag Vorwerk 8. Damit liegen Storfers sprachgeschichtliche Arbeiten wieder vor, lassen sich die auch nach über 60 Jahren noch spannenden Abhandlungen über einzelne Begriffe wie „Hagestolz“ oder „Tausendgüldenkraut‘“, über Wortgruppen wie „Pfuscher, Stümper, Patzer, Sudler usw.“ oder über Themen wie „‚Tiernamen als Krankheitsnamen“ und „Aus dem Wortschatz des Wieners“ wieder lesen. Dem Band Wörter und ihre Schicksale ist ein Vorwort des Psychoanalytikers Joachim F. Danckwardt beigegeben, das eine kurze fachliche Würdigung Storfers enthält und die Frage nach den Gründen seiner späten Renaissance stellt. Eine Antwort sieht Danckwardt in Storfers Perspektive auf „Vererbung“ und „Nationalcharakter“. Diese habe möglicherweise „dazu beigetragen, Storfer lange Zeit nicht zureichend inhaltlich zu würdigen und sich ihm auch weiterhin nur zögemd zu nähern. Womöglich hängt es auch mit seinem entschiedenen Ansatz „von unten“ zusammen. Zu diesem Ansatz gehört das Betonen von „emotionaler Vernunft“ im Gegensatz zum Vorherrschen von ,,kognitiver Vernunft“. Aber unabhängig von der Betrachtungsweise — Storfers Bücher liefern „zur psychoanalytischen Wort- und Kulturge71