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sei seit 1938 von Japanern besetzt. Ausführlichere Informationen werden unter dem Stichwort „China“ geboten. Für China sei ein „Visum erforderlich, d[fas] nach Darlegung dfes] Zwecks d[er] Reise u[nd] d[er] Möglichkeit dfer] Niederlassung v[om] ch[inesischen] Konsul erteilt wird. Im allgemeinen wird Nachweis eines Kapitals im Gegenwert v[on] RM 5.000 verlangt. Visum d[es] ch[inesischen] Konsuls wird v[on] dfen] Behörden in dfer] japanischen Einflußzone nur ausnahmsweise anerkannt. Bei Niederlassung in d[er] internationalen Zone Shanghais ist kein chlinesisches] Visum erforderlich (Einreise dahin ohne chlinesisches] Visum nur auf dfem] Seeweg möglich]. In d[en] internationalen Siedlungen (...) Möglichkeiten flür] einzelne sprachkundige Kaufleute m[it] Kapital, Stenotypistinnen m[it] Sprachkenntnissen, Musiker (als geschlossene Kapellen), Industrielle, Techniker u[nd] Ingenieure einzelner Indfustrien]. Geringe Chancen flür] Ärzte.“ Bevor Hinweise über Klima und Industrie Gesamtchinas folgen, kommt der abwehrende Hinweis bezüglich Shanghais: „Vor Einreise muß dringend gewarnt werden, wenn nicht vorher Möglichkeit dfer] Existenzgründung geprüft ist.“ Vielleicht führte diese negative Einstellung dazu, daß auf der Liste „Passage und Fracht“, die „nur Verbindungen konzessionierter Auswanderer-Linien“ enthält, Shanghai nicht aufgeführt wurde, ebenso nicht in der Aufstellung der „Vorzeigegelder, Landungsdepots und Lebenshaltungskosten in Übersee“. Erwähnt wird Shanghai wohl im Verzeichnis „Jüdischer Hilfs- und Großorganisationen in der Welt“, wo für Shanghai der „Hilfsfonds für Juden aus Deutschland“ genannt ist, und schließlich ist Shanghai dargestellt auf der letzten Seite des Philo-Atlas, der Karte ,Entfernungen in der Welt“. 9.300 Kilometer Luftlinie von Berlin sind angegeben, also etwa so viel wie Kuba, Kansas City und Pernambuco. Der Philo-Atlas wurde redaktionell Ende Oktober 1938 abgeschlossen, wenige Tage vor dem November-Pogrom, mit dem auch den letzten in Deutschland und Osterreich verbliebenen Juden die unbedingte Notwendigkeit der Emigration deutlich wurde. Der Bitte an die Leser, „Anregungen zur weiteren Ausgestaltung“ konnte niemand mehr nachkommen, der Philo-Atlas erschien im Dezember 1938, noch im selben Monat wurde der Verlag von der Gestapo liquidiert. Mit einem informativen Vorwort von Susanne Urban-Fahr, das den zeitgeschichtlichen Kontext erläutert, erschien ein Reprint im neuen Philo-Verlag. MPH Philo-Atlas. Handbuch für die jüdische Auswanderung. Reprint der Ausgabe von 1938 mit einem Vorwort von Susanne UrbanFahr. Bodenheim bei Mainz: Philo 0.J. 49 und 304 S., farbiger Kartenteil. Nationalsozialismus in Shanghai Eines der Fotos, die den Aufzeichnungen von Ernest G. Heppner, Fluchtort Shanghai (Bonn 1998), beigegeben sind, zeigt eine Parade japanischer Marinesoldaten vom 8. Dezember 1941 in der Shanghaier Nanking Road. Über den martialisch Marschierenden ragt, aus einem Fenster gestreckt, eine Stange, an der deutlich sichtbar eine Fahne mit großem Hakenkreuz weht. Alfred Dreifuß hatte bei seiner Ankunft, noch bevor er Shanghaier Boden betrat, ein solches Zeichen erblickt: „Ein mir nur allzu bekanntes und verhaßtes Detail riß mich bereits bei der Einfahrt aus allzu euphorischer Begeisterung über die exotische Kulisse. Auf einem Eckgebäude des „Bundes“ wehte die schwarz-weiß-rote Hakenkreuzfahne — dort befand sich das Generalkonsulat Nazideutschlands.“ (Alfred Dreifuß: Ensemblespiel des Lebens, Berlin 1985, S. 158.) So war den Flüchtlingen sofort deutlich, daß es auch in Shanghai nationalsozialistische Einrichtungen gab — mit einer von ihnen, mit dem Deutschen Generalkonsulat, hatten viele bis zu ihrer kollektiven Ausbürgerung im November 1941 noch zu tun. Aber daß daneben auch HitlerJugend und Winterhilfe, Gestapo und NSPresse, Kaiser-Wilhelm-Schule und Frauenhilfe in Shanghai existierten, daß rund 2.000 „alteingesessene“ Deutsche, die sogenannten Shanghai-Deutschen, dort lebten, hielten die Wenigsten in ihren Erinnerungen für aufzeichnungswürdig. Diese Unterlassung lag sicherlich daran, daß andere Gegebenheiten berichtenswerter waren, und selbst wenn es, wie Astrid Freyeisen in ihrer umfangreichen Dissertation über die Shanghei-Deutschen schreibt, beiden Gruppen „unmöglich“ gewesen sei, „die Existenz der jeweils anderen zu ignorieren“ (433), bestanden kaum Kontakte zwischen Flüchtlingen und nicht-emigrierten Deutschen und Österreichern. Die von Freyeisen ermittelten Berührungspunkte sind spärlich und beschränken sich zumeist auf wirtschaftliche Beziehungen: Exilanten arbeiteten gelegentlich für Firmen von Shanghai-Deutschen, zumeist als Verkaufsagenten, Nicht-Emigrierte kauften in von Juden betriebenen Geschäften ein, zum Teil aus Qualitätsgründen, nach Zeitzeugenaussagen zum Teil aber auch „aus Mitleid‘ (436). Im November 1941 verbot die Landes- und Ortsgruppenleitung der NSDAP den Shanghai-Deutschen, in „jüdischen Geschäften“ einzukaufen. In einem Rundbrief listete sie 270 ermittelte Shanghaier Betriebe auf, „darunter 69 Damenschneider“ (442). Private Kontakte, gar Fälle von Hilfeleistung, sind kaum belegt, aber als Aussage überliefert. Freyeisen erwähnt eine Shanghai-Deutsche, die von einem unter Beteiligung von Generalkonsul Fischer gebildeten Komitee zur Unterstützung von Flüchtlingen berichtet. Eine der wenigen konkret belegten Ausnahmen war der evangelische Pastor Fritz Maass, der seine nicht-nationalsozialistische Einstellung nicht verhehlte und für die Protestanten unter den Emigranten in Hongkew Gottesdienste abhielt. Daneben veranstaltete er in seinen Wohnräumen eine Ausstellung mit Gemälden der emigrierten Künstlerin Emma Milch-Bormann, deren Erlös der Malerin zu Gute kam (438). Maass wurde 1944 auf Betreiben der Partei abgesetzt (506). Ob die nach Kriegsende von Emigranten für Shanghai-Deutsche ausgestellten „Persil-Scheine“, die Freyeisen zitiert (437), als Beleg für Kontakte — und wenn, welcher Art? - gelten können, müßte im Detail überprüft werden. Hinsichtlich des Verhältnisses von Flüchtlingen und Shanghai-Deutschen kommt Freyeisen zu der zurückhaltenden Feststellung, „welche manifesten und latenten Emotionen beide Seiten trennten: Traumatische Erinnerungen und Angst auf Seiten der Flüchtlinge, gelegentliche unterschwellige Schuldgefühle, vermutlich aber auch Gleichgültigkeit auf Seiten der Alteingesessenen“ (440). Den größten Raum der mit rund 550 Seiten geradezu monumentalen Arbeit, der fatalerweise kein Namensregister beigegeben ist, nimmt die Schilderung der nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland schrittweise erfolgten „Gleichschaltung der Einrichtungen und Organisationen der Shanghai-Deutschen ein. Detailliert werden auch die nationalsozialistische Propaganda und die Tätigkeit von Sicherheitsdienst, Gestapo und Abwehr dargestellt. Ausführlich geht Freyeisen auf das Wirken von Josef Meisinger ein, der im Mai 1941 von Heydrich als Polizeiattaché nach Japan abkommandiert wurde. Der als „Schlächter von Warschau“ bekannte SSMann, über dessen Shanghaier Aktivitäten seine Frau in einem Gerichtsverhör sagte, „Er arbeitete auch an der Frage der jüdischen Emigranten“ (474), soll den Japanern Pläne zur Ermordung aller Juden in Shanghai vorgestellt und dazu verschiedene Varianten vorgeschlagen haben. Diese von mehreren Zeitzeugen überlieferte Begebenheit ließ sich nicht durch Dokumente verifizieren, aber, so Freyeisens Fazit, „für die Existenz der Mordpläne spricht die Persönlichkeit Josef Meisingers“ (512). Auch für eine andere der „wohl wichtigsten Fragen des Themenkomplexes Nationalsozialismus und Exil in Shanghai“ (511) ließ sich keine definitive Antwort finden: ob deutsche Stellen und wenn ja, welche, an der japanischen Proklamation des Ghettos vom 18. Februar 1943 mitgewirkt haben. Das deutsche Generalkonsulat war wohl nicht involviert, so Freyeisen, da Generalkonsul Fischer zwei Tage nach Bekanntgabe der Verordnung in einem Telegramm an das Auswärtige Amt von einer „unerwarteten japanischen Maßnahme“ (512) schrieb. Für Meisingers Beteiligung an der Proklamation spricht nach Freyeisen seine kurz zuvor erfolgte Beförderung sowie eine eingefügte Bestimmung über „arische Ehe73