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frauen von Juden“ — eine Fragestellung, die wohl kaum die Japaner, unbedingt aber die deutschen Stellen interessierte. Wenn Freyeisen in ihrer über fünfjährigen, äußerst umfassenden Recherche in zahlreichen Archiven verschiedener Länder keine entsprechenden Dokumente aufspüren konnte, ist zu vermuten, daß sich diese Fragen nicht eindeutig und abschließend klären lassen werden. MPH Astrid Freyeisen: Shanghai und die Politik des Dritten Reiches. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. XIII u. 544 S., 20 Abb. Juden unter japanischer Herrschaft Der schmale Band, bei dem es sich wohl um eine japanologische Abschlußarbeit handelt, beschäftigt sich in knappen Abschnitten mit der Geschichte des japanischen Antisemitismus und einigen seiner einflußreichsten Akteure sowie bekannten Stationen jüdischen Exils in Japan bzw. im japanischen Herrschaftsbereich. Zur Sprache kommen der japanische Konsul in Kovno/Litauen, der aus eigener Initiative tausende Visa erteilte, der Transitaufenthalt jüdischer Flüchtlinge in Kobe und das Exil in Shanghai. Auch der Fugu-Plan, nach dem die Japaner in den dreißiger Jahren zur wirtschaftlichen Erschließung der okkupierten Mandschurei europäische Juden dort ansiedeln wollten, wird referiert. Die Autorin, die kein Archivmaterial verwendet, stützt sich auch auf japanischsprachige Veröffentlichungen; ihre Informationen über Shanghai entstammen ausschließlich dem Buch von David Kranzler. Dessen Beurteilung der Politik Japans als „pro-jüdisch“ bzw. „philosemitisch“ hält Pansa für zu einseitig, weil die japanische Regierung die Juden lediglich soweit unterstützt habe, als es ihren eigenen Interessen entsprach. Ansonsten beschränkt sich Pansa aufs Referieren der Literatur, wobei die Verknappungen viele Ungenauigkeiten mit sich bringen. Auch die Abschnitte über die Exilzeit Karl Löwiths in Japan, 1936-1941, die sich nahezu ausschließlich auf seine Autobiographie stützen, sind nicht von besonderer Kenntnis der Geschichte des Exils geprägt. MPH Birgit Pansa: Juden unter japanischer Herrschaft. Jüdische Exilerfahrungen und der Sonderfall Karl Löwith. München: judicium 1999. 132 S., 18 Abb. 74 Exil als Kolportage Michele Kahn: Shanghai Bis weit in die Moderne galt die Auffassung, daß sich Geschichtsschreibung und Literatur durch ihren Wirklichkeitsbezug und je anderen Anspruch auf Wahrheit unterscheiden, galt die Abgrenzung von fiktionalem und nichtfiktionalem Erzählen. Erst mit verschiedenen Diskursen der Postmoderne wie der Erkenntnistheorie und dem Poststrukturalismus, die unter anderem auf die beiden Gattungen gemeinsame Form des Erzählens hinwiesen, wurde diese Trennung weniger bedeutsam. Mit Begriffen wie documentary novel, literary journalism oder faction wurde eine Textsorte bezeichnet, die aus einer Mischung von Fakten und Fiktion besteht und die sich keinem der traditionellen Genres zuordnen läßt. Um einen solchen Fall, bei dem authentisches historisches Material mit den Mitteln fiktionalen Erzählens präsentiert wird, handelt es sich bei Michele Kahns ShanghaiBuch. Der historische Roman, eine nach wie vor allgemein beliebte Gattung, steht sui generis im Spannungsverhältnis von Historizität und künstlerischer Gestaltung; ein Dilemma, das Alfred Döblin 1936 auf die Formel gebracht hatte: Maximum an Verarbeitung und Minimum an Material oder Maximum an Material und Minimum an Verarbeitung. Michele Kahn hat sich, möglicherweise unfreiwillig, für ein Minimum an Verarbeitung entschieden, was insbesondere bei der sprachlichen Gestaltung unangenehm auffällt. Was einzelne Ausdrücke anbetrifft, mag der Übersetzer seinen Teil dazu beigetragen haben; die eigenwillige Metaphorik und blumigen Vergleiche dürften nicht ihm anzulasten sein. Neben unzähligen Sprachklischees — „natürlich“ war die Hitze „brütend“, der Regen „sintflutartig“ und „peitschten“ die Regenböen — finden sich zahlreiche verquere Metaphern wie die, daß Shanghai „brodelte (...) wie Traubenmost, der in seinem Bottich gärt“ (161) oder daß „die Stadt wie nach einem langen Fegefeuer nach Leben gierte“ (441). Aus creative writing-Seminaren könnten die immer wieder eingestreuten Hinweise auf Tageszeiten stammen, etwa „Die Nacht sträubte sich noch gegen den anbrechenden Tag‘ (40), reiner Kitsch findet sich vor allem bei Personenbeschreibungen, wenn „Augen so sanft wie die Blütenblätter von Stiefmiitterchen sind“ (54) oder — bei einer anderen jungen Dame - „die zarte Haut und die vergißmeinnichtfarbenen Augen“ (418) bestechen. Bei dieser bedauerlichen, mitunter ärgerlichen geringen literarischen Qualität ist es Michele Kahn gelungen, eine Unmenge an Fakten und komplexen Zusammenhängen in eine erzählte „spannende“ Geschichte zu strukturieren — eine beachtliche kompositorische Leistung. Held des Romans ist der Wiener Walter Neumann, der nach kurzer Internierung im Konzentrationslager Dachau, im Dezember 1938 als etwa 19jähriger Shanghai erreicht und sich dort als Kellner, Klavierspieler und Journalist durchschlagt. Weitgehend aus seiner Perspektive werden die Stadt, die historischen Abläufe und die Situation der Flüchtlinge beschrieben; seine Liebesbeziehungen zu einer chinesischen Prostituierten und einer wohlhabenden russischen Jüdin geben Einblicke in die Lebenswelten anderer Bevölkerungsgruppen. Der Handlungsablauf orientiert sich an den historischen Fakten wie der Proklamation des Ghettos, dem Bombardement vom Juli 1945 oder dem Einzug der amerikanischen Truppen, das Geschehen ist an authentischen Orten situiert wie dem Kaufhaus Wing On, dem Cathay-Hotel, dem Café Fiaker oder dem Foltergefangnis Bridge House. Eine Fiille von Wahrnehmungen typischer Shanghai-Elemente — Rikscha-Kulis oder Fakalieneimer in den Wohnhäusern - ist ebenso aufgenommen wie spezifische Details aus dem Leben der Flüchtlinge, etwa die Problematik der Prostitution von Emigrantenfrauen oder die 1945 ausgehängten Listen der KZ-Überlebenden. Nicht immer entgeht Michele Kahn der Gefahr des Geschichtsunterrichts, wenn ausführliche Mitteilungen über die sephardischen Juden, den chinesisch-japanischen Krieg, die Familie Sassoon oder die japanische Herrschaft in Shanghai erfolgen. Die exkursartige Faktenvermittlung geschieht mit Hilfe von anderen Biografien, zitierten Zeitungsartikeln oder Dialogen, die mitunter recht konstruiert wirken. Hier sind die Darstellungsprivilegien des Fiktionalen literarisch nicht befriedigend genutzt, auch wenn dadurch die schwere Aufgabe, den historischen Kontext detailliert zu präsentieren, gelöst wird. Nicht nur Raum und Zeit des Romans, sondern auch einige seiner Personen lassen sich festmachen. Emigranten wie der Schauspieler Zernik (202), der Journalist Storfer (179) oder das Ehepaar Fleck (180 u.ö.) werden ebenso bei ihrem realen Namen genannt wie Kapitän Inuzuka, der Kommandant der japanischen Seestreitkräfte (267-272) und der Ghettokommandant Ghoja, der selbsternannte „König der Juden“ (310). Eine Zuspitzung der Vermischung von Fiktion und Fakten ist erreicht, wenn der Historiker Steve Hochstadt und der Vorsitzende des „Council of Jewish Experiences in Shanghai“, Ralph B. Hirsch — beide Mitarbeiter der folgenden ZW-Ausgabe -, beschrieben werden. Und hat sich mit der auf Seite 435 erwähnten französischen Journalistin gar die Autorin selbst ins Spiel gebracht? Leider beschränkt sich Michéle Kahn nicht auf die informative Schilderung der Abläufe, die ihr eindringlich und überzeugend gelungen ist, sondern hängt noch eine Moral der Geschichte an, die auf hilflose Platitüden hinausläuft. So werden dem Protagonisten bilanzierende Gemeinplätze in den Mund gelegt wie: „Sich schützen zu wollen bedeutet, dem