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drehte und der ebenfalls bei der Wuppertaler Tagung zu sehen war. Noch zwei weitere Filme wurden dort gezeigt: zum einen das grandiose Vier-Stunden-Opus von Ulrike Ottinger: Exil Shanghai, das — wen wundert es — bis heute keinen Verleih fand und dessen Kenntnis doch so wichtig wire fiir das Verständnis von Exil überhaupt, weil hier eine große Künstlerin sich des Themas annahm. Ferner konnte man den einfühlsamen filmischen Bericht von Dietrich Schubert & la recherche du temps perdu des Peter Finkelgruen auf den Spuren seiner Eltern nach Shanghai sehen und teilhaben an seiner schwierigen und schmerzhaften Erinnerungsarbeit. In seinem Beitrag zur Publikation stellt der Schriftsteller Finkelgruen eindringliche Fragen, Fragen an seine eigene Biographie und die seiner Eltern, Fragen an Zeugen auf der Opfer- wie auf der Täterseite. Bei der Suche nach Antworten halfen ihm die Briefe seiner Eltern, die er erst in den achtziger Jahren lesen konnte. Beide Eltern hatte er früh verloren, der Vater starb im Ghetto von Hongkew, seine Mutter nach der Befreiung an den Folgen der Strapazen im Ghetto. Finkelgruen reiste den Fluchtweg seiner Eltern nach, schrieb ein Buch darüber (Erlkönigs Reich, 1997) und realisierte so den unausgeführten Plan seines Vaters, — eine respektvolle und mutige Art, ein Sohneserbe anzunehmen und Stellvertreter zu sein. Ein bleibendes Zeugnis vom Leben der vertriebenen Europäer in der fernöstlichen Metropole stellen die Werke der zahlreichen Bildenden Künstler dar, von denen zwei beeindruckende Persönlichkeiten vorgestellt werden: Friedrich Schiff aus Wien von Simon Wachsmuth, der selber auch Kunstschaffender ist, und der aus Floß in Bayern stammenden David L. Bloch, dessen Leben und Werk die Kunsthistorikerin Rosamunde Neugebauer beschreibt. In Blochs Graphik, noch in seinen späten Arbeiten in New York, sieht man den Niederschlag der erlebten Schrecken, der eigenen und der mitempfundenen der verfolgten Minderheiten in Europa. Beide Künstler belegen die Möglichkeiten der visuellen Vermittlung durch Malerei, Holzschnitt oder Holzstich in Karikaturen und Skizzen. Was sich in schriftlichen Äußerungen sehr viel schwieriger vermitteln läßt, sind gerade die Momente, die das Besondere des Ambiente in Shanghai ausmachten: Die krassen sozialen Gegensätze, der unvorstellbare Reichtum und die erschütternde Armut in unmittelbarer Nachbarschaft, die Prostitution und HalbProstitution, die elegante Halbwelt, die Kulis und ihre Rikschas, die das Stadtbild beherrschen - für wache Augen überaus lohnende Sujets. Wie wenig sich in einem halbem Jahrhundert im Bewußtsein der Täterseite geändert hat, zeigt in deprimierender Wiese ein Vergleich der Ausführungen des Rechtsanwalts Winfried Seibert über die „Wiedergutmachung“ im Sonderfall Shanghai mit dem abstoßenden Gerangel der Industrie um Zahlungen an Zwangsarbeiter in Deutschland und Österreich heute. Seibert dokumentiert die 76 Debatten der fünfziger und sechziger Jahre und die unwürdigen Verfahren zur „Feststellung einer Berechtigung zum Schadensersatz‘, denen die Verfolgten ausgesetzt wurden. Den Abschluß des Bandes bilden Texte der beiden chinesischen Schriftsteller und Dissidenten Shi Ming und Yang Lian. Beiden gelingt es, — dem ersteren mit einer poetischen Parabel, dem zweiten mit dem Gedicht „Leichenzug“ und einem Prosatext „Der Geschmack des Exils“ — sich behutsam den Fragen nach dem Verbindenden des Exils verschiedener Orte und Zeiten, nach dem Gemeinsamkeiten im Lebensgefühl aller Exulanten zu nähern. Der Dichter Yang Lian brachte in die Reflexionen des ShanghaiSymposiums einen großen Gedanken ein. Bei ihm erhält der Begriff der „schöpferischen Freiheit“ im Zusammenhang mit dem Exil eine ganz neue Bedeutung. Beate Schmeichel-Falkenberg Zwischen Theben und Shanghai. Jüdische Exilanten in China - Chinesische Exilanten in Europa. Hg. Hajo Jahn. Berlin: Oberbaum 1998. 258 S., zahlr. Abb. Doron Rabinovicis Buch über die Jüdische Gemeinde Wien unter der NS-Herrschaft Nachdem Hannah Arendt kritisiert hatte, daß im Eichmann-Prozeß „kein Zeuge über die Zusammenarbeit zwischen nationalsozialistischen und jüdischen Behörden vernommen wurde”, fragte sie in Richtung der ehemaligen Mitglieder der Judenräte: „Warum habt ihr die Mitarbeit an der Zerstörung eures eigenen Volkes und letztlich an eurem eigenen Untergang nicht verweigert?” (Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München 51986, S. 160). Jacob Gens, der „Judenälteste“ des Wilnaer Ghettos verteidigte 1942 vor Intellektuellen und Künstlern seine Strategie: „Ihr, Leute des Intellekts und der Feder, ihr rührt nicht an dem Schmutz des Ghettos. Ihr werdet das Ghetto rein verlassen. Und wenn ihr das Ghetto überlebt, werdet ihr sagen: wir sind mit reinem Gewissen herausgekommen. Aber ich, Jacob Gens, wenn ich überlebe, werde ich schmutzig herauskommen und Blut wird an meinen Händen kleben. Und doch werde ich mich dem Gericht stellen. Dem Gericht der Juden. Ich werde sagen: Ich tat alles, um so viele Juden wie möglich aus dem Ghetto zu retten und sie in die Freiheit zu führen. Damit ein Rest Juden überbleibt, mußte ich Juden in den Tod führen. Und damit Juden mit reinem Gewissen herausgehen — mußte ich im Schmutz wühlen und handeln ohne Gewissen.“ (Zitiert nach Rabinovici, S. 419). Jacob Gens wurde am 14.9. 1943 von der Gestapo erschossen. Gens, der das Ghetto von Wilna für die Nazis ökonomisch interessant zu machen versuchte, also die Strategie „Arbeit für Leben“ verfolgte, und einen komplizierten Kontakt mit dem jüdischen Widerstand im Untergrund unterhielt, konnte sich keinem jüdischen Gericht stellen. Er konnte seine Überlegungen zum Kampf gegen den Verwaltungsmassenmord an den Juden nicht verteidigen und reflektieren und konnte sich seiner überfordernden Verantwortung nicht stellen. Aber auch die überlebenden „Judenräte‘‘ kamen kaum in die Situation, eine angemessene Diskussion über ihre Strategie oder ihre Mitschuld führen zu können. Sie handelten in einer Lage, die mit dem Gegensatzpaar Kollaboration und Widerstand allein nicht adäquat zu bearbeiten ist. Doron Rabinovici, Sohn von Überlebenden der Shoah, der 1961 in Tel Aviv geboren wurde und seit langem mit seiner Familie in Wien lebt, stellte sich einem der verstörendsten Themen des jüdischen Selbstverständnisses. Er versuchte am Wiener Beispiel, die Struktur der Kooperationsbeziehung zwischen der Gemeindeführung und den Nazis und den Handlungsspielraum des Judenrats und seiner Funktionäre auszuloten. Er wollte über das Tabu der absoluten Unschuld der Opfer hinausgehen — die „Opfer“ mußten gegen den Horror kämpfen und konnten dabei keine Engel sein — und gleichzeitig nicht in die Falle des Tabubruchs gehen, der anklagt, „daß die Opfer unseren idealisierten Projektionen nicht entsprechen“ (S. 32). Diese Fallen weisen darauf hin, daß der „Zivilisationsbruch‘ nach wie vor schwer zu verstehen ist, und daß ein Verständnis nur über mühevolle und genaue Rekonstruktionen der Destruktion und der Optionen der bedrohten, aber dennoch handelnden Menschen zu erlangen ist. Nach dem „Anschluß“ schlossen die Nazis die sofort. Adolf Eichmann begann eilig am Aufbau der Institutionen zur Vertreibung und Beraubung der österreichischen Juden zu arbeiten. Dabei wurde die Wiener Kultusgemeinde zum „Prototyp einer jüdischen Administration unter nationalsozialistischer Herrschaft, zum Vorlaufmodell der späteren ‚Judenräte’“. (S. 82) Rabinovici zeichnet minutiös nach, welchen Zwang die Nazis auf die jüdische Gemeinde und ihre Vertreter ausübten, und daß die jüdischen Funktionäre versuchten, diese perverse Kooperation im Interesse der Rettung der Verfolgten zu nutzen. Auch wegen dieser Kooperation konnten ca. zwei Drittel der österreichischen Juden vor der Vernichtung das Land verlassen. Nicht alle Emigranten flohen mit Hilfe der Kultusgemeinde, aber ein großer Teil der unbemittelten Juden konnte die Auswanderung nur erreichen, weil die Kultusgemeinde organisierend und helfend tätig war und die politische Prämisse der Nazis von 1938 bis 1940 — die totale Vertreibung der Juden — unterstiitzt hat.