OCR
Wider die Unwissenheit Bildung als Instrument des Widerstandes gegen gesellschaftliche Mißstände und als parteipolitisches Kampfmittel behandelt der von Harald Troch herausgegebene und mitverfaßte, im Locker Verlag erschienene Band „Wissen ist Macht! Zur Geschichte sozialdemokratischer Bildungsarbeit”. Von ihren Wurzeln im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht der zeitliche Rahmen der Beiträge. Das räumliche Spektrum wird, wie in der österreichischen Bildungsforschung generell, vor allem noch von Wien dominiert. Einen anschaulichen Einblick in den Klassenkampf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts liefern Harald Trochs Auseinandersetzung mit den Arbeiterbildungsvereinen (nicht nur wegen der pointierten Formulierungen eines Victor Adler lesenswert) und der Aufsatz von Helge Zoitl, der ihren Wandel im speziellen und den des sozialdemokratischen Bildungswesens im allgemeinen unter die Lupe nimmt. Betrachtungen der Sozialdemokratie als Kulturbewegung finden sich in Josef Seiters Aufsatz über „Das organisierte Sehen”; den sozialdemokratischen ProduzentInnen und RezipientInnen der Zwischenkriegszeit widmen sich Herbert Exenberger und Alfred Pfoser mit viel Liebe zum Detail. Auch die Theorie kommt in den historischen Darstellungen nicht zu kurz. Besondere Aufmerksamkeit verdient Susanne Böcks Analyse der Sozialdemokratischen Bildungsarbeit der Ersten Republik. Ein Konzept der Moderne, dessen Stärke und Schwäche zugleich in seiner Utopie lag. Der Mensch, den es anzusprechen versuchte, erwies sich jedoch letztendlich als ideales Konstrukt, das so in der Realität nicht existierte. Zu abstrakt der Adressat, zuwenig Anknüpfungspunkte mit der „genuine(n) Subkultur der Arbeiterschaft”. Auch die Unterschiede zwischen Hauptstadt und Bundesländern finden bei Böck besondere Beachtung: Zumindest was die schwierigere Abgrenzung vom politischen Gegner in letzteren betrifft. Daß Widerstand gegen die wachsende Wissensund Bildungskluft (erstere aufgrund des Tempos des technischen Fortschritts und der Entwicklung in den neuen Medien, letztere vor allem aufgrund der Mängel des Bildungssystems) das gesellschaftliche Ziel der Zukunft schlechthin ist, ist den AutorenInnen dieses Bandes wohl bewußt. Doch konkrete Reformvorschläge findet man auch bei den VerfasserInnen der Gegenwartsbeiträge kaum. Dennoch lesenswert die Aufsätze zur Zweiten Republik von Hugo Pepper, Ernst Nedwed, Erich Fröschl, Karl A. Duffek und Hannes Swoboda. Bleibt zu hoffen, daß die Rolle der Opposition (nicht nur) die Sozialdemokratie zu neuen Höchstleistungen auf dem Bildungssektor beflügelt... Sandra Wiesinger-Stock 80 Harald Troch (Hg.): Wissen ist Macht! Zur Geschichte sozialdemokratischer Bildungsarbeit. Sozialistische Bibliothek. Abteilung 3: Die sozialdemokratische Bewegung. Bd. 4. Wien: Löcker Verlag 1997. 368 S. Frauen schreiben gegen Rechts Seit 20 Jahren besteht der Frauenverlag Milena in Wien, der ein ganz wichtiger Publikationsort für feministische und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen, für die Geschichte und Identität und auch für die schöne Literatur von Frauen ist. Der bemerkenswerteste Erfolg dieser verlegerischen Tätigkeit zeigt sich wohl darin, daß Milena-Bücher auf jedem gutsortierten Büchertisch zu finden sind und nicht im Genreregal ,,Frauenpublikationen” verschwinden. Der Plan der Verlegerinnen Karin Ballauff, Martina Kopf und Johanna Meraner, nun eine Anthologie mit Texten, Essays und literarischen Beiträgen von in Österreich arbeitenden, lebenden und kämpfenden Frauen herauszugeben, wurde durch die politischen Lage geändert — vielmehr drängte sich eine aktuelle Sammlung von Proteststimmen auf. Gesammelt wurden über 80 politische, essayistische und literarische Beiträge von Frauen, die aus Anlaß und in Opposition zu der patriachalen Heimatblock-Regierung verfaßt wurden oder allgemein zu Grundsatzfragen Stellung beziehen. Beeindruckend ist das breite gesellschaftliche Spektrum, das die Autorinnen vertreten: Rechtsanwältin, Bibliothekarin, Universitätslektorin, Sozialarbeiterin, Landschaftsplanerin, Schauspielerin, Ärztin, Journalistin, Lyrikerin... Ein Kristallisationspunkt und damit eine wesentliche Voraussetzung für die Einschätzung der Zukunft ist die nüchterne Bilanz, daß kein Paradies der Frauenemanzipation in Österreich in den letzten 30 Jahren eingerichtet worden war. Es gibt keine Selbstverständlichkeiten, kein allgemeines Bewußtsein von den Bürgerinnen dieses Landes, wenn sie sich auch deutlich in ihrem Wahlverhalten von den Bürgern unterscheiden. Vielmehr galt das Problemprinzip: Mütter, Alleinerzieherinnen, Berufsqualifikation und weibliche Berufe, Frauenbezahlung. Aber von dem was erreicht wurde, ist heute politisch nichts sicher. Mit Unbehagen, Zorn und Spott werden hochnotpeinlichen Fragen gestellt: „wie lautete Ihre frage auf die der kindercheck als antwort kam... wie liegt sichs auf dem fell das Sie anderen über die ohren zogen... welches asyl gewähren Sie, das mißbraucht werden könnte.” (Barbara Hundegger). Mit klarem Sinn werden unermüdlich soziale und politische Fakten dargelegt, an denen keine Regierung vorbeiherrschen kann, ohne zum Mittel der klassischen Unterdrückung zu greifen. „Was Migrantinnen trifft, trifft auch Österreicherinnen”, stellt Ishraga Mustafa Hamid fest, und: „Frauen sind als erste von Armut und Umweltzerstörung betroffen ... ein Ministerium für Frauen und Umwelt ist dafür notwendig.” Nicht in Österreich geborene, aber hier lebende Menschen sollen nicht integriert werden und schon darum nicht, weil die vornehme Spitzenkandidatin der Wiener FPÖ, PartikPabl&E, doch etwas vermißt, nämlich die Rücksicht: „Die Ausländer müssen mehr Rücksicht auf die Österreicher nehmen.” Von der anderen Seite einer durch das Land gezogen Mauer, an der die großen Sprüche stehen, spricht Ceija Stoijka: ‚... die Rom werden von der Regierung anerkannt. Wieso fragen die mich überhaupt? Ich bin ein Mensch, ich bin da geboren. Ich bin Österreicherin, trotzdem eine Fremde ... Auschwitz ist aber da, daß kann man angreifen.” In kaum einen Beitrag findet sich ein wehleidiger Ton, vielleicht eine gewisse Atemlosigkeit der Widerwehr: „Widerstand” ist ein sehr umfassender Begriff, der sich mit dem historischen Faden verknüpft, der lange für zu dünn befunden wurde und an dem doch das einzig menschliche Gewicht dieses Landes hängt. Eine moralische Haltung im Sinne eines Widerstehens verwehrt sich zunächst gegen die Moralität der Normalisierung und findet ihre Würde in der Verteidigung von errungenen Frauen- und Menschenrechten. Nicht ganz verstehe ich den Titel, entnommen dem Beitrag von Petra Ganglbauer, der dem Band vorangestellt ist. Zunächst stellt sich doch die Frage, inwieweit das Schreiben selbst als Widerstand gefaßt werden kann. Die Literatur kann die Hyänen bezeichnen, vor ihnen warnen, sie als Raubtiere benennen, aber sie kann sie nicht vertreiben. Nach Jahren des Exils hat der nach Österreich zurückgekehrte Schriftsteller und Regisseur Berthold Viertel seinen „Wunsch” als ein dem Individuum Anvertrautes formuliert: Den Besten seiner Zeit genug getan zu haben, Erst dann zu enden: war der Wunsch des Knaben Den Schlimmsten seiner Zeit kein Jota vorenthalten An Zorn und Widerstand: das ist der Wunsch des Alten. Dieser Rücktritt vom ehrgeizigen, aus der bürgerlichen Normalität entsprungenen Lebensplan war nicht freiwillig. Die bürgerliche Welt war längst zerbrochen als ein gewalttätiges menschenverachtendes Regime über lebenswert und vernichtenswert entschied. Wollen wir uns der Hoffnung von Barbara Neuwirth anschließen: „Sprache verbindet Menschen ... Worte überzeugen letztlich aber auch nur, wenn sie mit den damit verbundenen Handlungen kongruent sind. ... Wer, wie SchriftstellerInnen, die Worte achtet, muß auch Menschen achten.” Siglinde Bolbecher Die Sprache des Widerstandes ist alt wie die Welt und ihr Wunsch. Frauen in Österreich schreiben gegen Rechts. Hg. vom Milena Verlag. Wien 2000. 363 S.