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Briefe, Rückspiegel Zu der Besprechung von Sabine Kebirs Helene Weigel-Biographie „Abstieg in den Ruhm” in ZW Nr. 4/2000, 5. 50: Leider völlig kommentarlos findet sich in der Kritik des Buches dies: „... der ‚Weigel’, die, so Kebir, ‚mit ihrem jüdischen Gesicht, ihrem österreichischen Dialekt und ihrer asiatischen Gestalt ein utopisches Welttheater repräsentierte.” Was ist ein jiidisches Gesicht, eine asiatische Gestalt, bitteschön? Die Kebir muß völlig die Selbstkontrolle verloren haben, was ja bedauerlicherweise darauf hinweist, daß diese überhaupt nötig ist. Als Linke sich mit vielerlei Schriftlichem verdient gemacht, schützt sie ein algerischer oder ägyptischer Namensgeber nicht vor dem tiefen deutschen Blutsinn. Darauf hätte Eugenie Kain eingehen müssen. Wollt Ihr das so stehen lassen? Arno Reinfrank, London, 25. Jänner 2001 Zum Editorial von Nr. 4/2000 (S. 3): zuerst einmal gratulation zu ihrem magazin liber exilliteratur. es tut wohl, daB es so etwas endlich auch in österreich gibt. ich finde die inhalte zum großen teil interessant und spannend. einige anmerkungen zu ihrer letzten ausgabe und dem darin enthaltenen editorial. autorin und autor, beide offenbar redakteure des magazins, beschreiben darin ihren spießroutenlauf, um ats 50.000 bei öffentlichen körperschaften in österreich aufzutreiben und damit einen preis für exilliteratur zu dotieren. der plan zur ausschreibung dieses preises ist meines erachtens sehr begrüßenswert. meine kritik bezieht sich auf den ton des selbstmitleids in ihrem editorial und eine offenbar sehr unprofessionelle methodik des fund-raising für diesen preis.das duo ihrer autoren beklagt im editorial, daß man an die 4.000 briefe verschickt habe und etwa 19.000 schilling als spenden hereingekommen seien. das sei weniger, als man für die portokosten aufbringen habe müssen. hier kam mir, bitte verzeihen sie mir, wirklich ein lacher aus. ich bekämpfte aber meine böse schadenfreude sofort. dennoch bin ich weiterhin der überzeugung, daß so viel naivität und weinerlichkeit bei einem so wichtigen projekt nicht sein sollte. background: in ihrem editorial wird angemerkt, daß sie zahlreiche gemeinden und parteisekretariate (insbesondere der spö) angeschrieben hätten. in säuerlichem ton wird dann neben einer unkonkreten kritik an der fp-vp-regierung und bestehenden literaturpreisen die unlust der sozialdemokraten kritisiert, deren untergruppen und gemeindefraktionen in verschiedenen provinzstädten zu wenig oder nichts zu ihrem geplanten preis für exilliteratur beitragen. entschuldigen sie: wie kommen sie überhaupt zu der annahme, daß die spö in dieser richtung ein ansprechpartner wäre? wie naiv sind sie? die spö hat fast 60 jahre nichts für die leute im exil getan. sie hat tausende ss-männer und ns-akademiker in verantwortungsvolle positionen gehievt und in eigenen reihen untergebracht. warum sollte sie jetzt etwas für das exil tun, wo es ihr selbst an den kragen geht? es zählt zu den großen historischen schandtaten der sozialdemokraten, dass eine mitte-rechts-regierungen in diese richtung mehr tut oder tun muß (entschädigungen für zwangsarbeiter — zugegeben auf internationalen druck), als es die spö in 30 jahren regierung zusammenbrachte. lassen sie mich an dieser stelle anmerken, daß ich nicht im geringsten ein fan der kpö oder fpö oder einer anderen partei mit extremer schlagseite war und bin. ich werde es nie sein. bitte verändern sie diesen säuerlichen ton der siebziger jahre in ihren editorials. wenn österreichische emigranten und schriftsteller im exil so weinerlich gewesen wären, dann wäre es um das arme österreich noch schlimmer bestellt gewesen. wie wäre es, wenn sie nicht 4.000 sinnlose briefe bürokratisch an institutionen verschicken, sondern bei persönlichen gesprächen oder organisierten fundraisingevents mit aufgeschlossenen leuten aus der freien wirtschaft kommunizieren? ich kann mir nicht vorstellen, daß man bei einigermaßen professioneller herangehensweise nicht jährlich 50.000 schilling preisgeld für diesen wichtigen zweck auftreiben könnte. sie wollen exil-literatur ehren? bitte tun sie das nicht mit einer mentalität, die wohl jeden emigranten oder emigrantin im kapitalistischen ausland sofort in den ruin getrieben hätte. wer in den usa oder kanada (von den nazis ausgeraubt) ankam, mußte auf der stelle sein leben selbst in die hand nehmen und nicht a priori irgendwelchen organisationen oder institutionen anvertrauen. schon gar nicht solchen blei-enten wie der spö. ich bin der ansicht, daß dies umgekehrt auch für menschen gelten sollte, die sich so ein innovatives ziel gesetzt haben wie die frau- und mannschaft ihrer zeitschrift. bitte raus aus dem elenden gottvertrauen in die subventionen! alles gute, ich drücke ihnen die daumen für ihre großartigen pläne mit dem preis! Gerald Lehner, Salzburg, Februar 2000 Es wurde bereits erörtert, zur Aufbringung des Preisgeldes für das Jahr 2002 zur Abwechslung an Vertreter der Wirtschaft in Österreich zu schreiben. Übrigens wurden die österreichischen PolitikerInnen in unserem Brief nicht um Subventionen fiir den Theodor Kramer-Preis gebeten, sondern um persönliche Spenden. Die Theodor Kramer Gesellschaft hat im Jahre 2001 über 65 830.000,an Eigenmitteln (durch Mitgliedsbeitrige, Abonnements, Buchverkäufe, Spenden, Auflösung von Rücklagen) zur Finanzierung ihrer Aktivitäten aufgebracht, nicht gerechnet ungezählte unbezahlte Arbeitsstunden, die von Mitgliedern verschiedener Arbeitsgruppen im Rahmen der Gesellschaft geleistet wurden. Nicht einzusehen ist aber, warum eine Gesellschaft, die sich für die Kultur des Exils einsetzt, auf Förderungen durch öffentliche Stellen verzichten sollte. Der zähe Widerstand, den ein Großteil der österreichischen Wirtschaftstreibenden einer finanziellen Beteiligung am Fonds zur ZwangsarbeiterInnen-Entschädigung entgegengesetzt hat, läßt die Spendierhosen österreichischer UnternehmerInnen nicht im hellsten Speck erglänzen. In der „freien Wirtschaft” (warum „frei” — ist da der Unterschied zum „geschützten Sektor” gemeint?) betätigen sich gewiß auch „aufgeschlossene Leute”; zu wünschen bleibt nur, daß sie auch einmal einen Beweis ihrer Aufgeschlossenheit geben. Wir wünschten uns einen solchen Beweis der Aufgeschlossenheit diesmal von den PolitkerInnen, die wir in durchaus vorhandener Kenntnis ihres bisherigen Verhaltens doch nicht ganz aus den Augen verlieren wollen. Nur nebenbei noch: „Das Geld ist platt und platt will es geschmeichelt sein”, schreibt Heinrich Heine — der Ton, in dem Gerald Lehner uns schreibt, deutet darauf hin, daß er in uns keine Geldquelle vermutet. -K.K. Unter dem Titel „Czernowitz en gros und en detail” schreibt Christiane Zintzen am 22.1. 2001 in der „Neuen Zürcher Zeitung”: Eine literarisch-historische Expedition ins „Viersprachenland am Pruth — Bukowina” unternimmt die Wiener Zeitschrift Zwischenwelt (die bis vor kurzem noch unter dem Titel Mit der Ziehharmonika erschien). Das Material zu Literatur und Leben an der nordöstlichen Peripherie der Habsburgermonarchie füllt nun gleich zwei Ausgaben des auf Exilliteratur spezialisierten Periodikums. Konzise historische Beiträge erläutern die Entwicklung des Provinzstädtchens Czernowitz zum Schauplatz einer urbanen, weitgehend an Wien orientierten literarischen Kultur (Hannes Hofbauer, Mariana Hausleitner u. a.). Dass viele der meist jüdischen „Buko-Wiener” für ihr Schaffen das Deutsche auserkoren, hinderte nicht die Entfaltung einer vielgestaltigen jiddischen Literatur, welche bislang spärlich übersetzt und punktuell erschlossen worden ist. Essays zu und Textproben von dem 1912 geborenen Prosaisten Josef Burg, dem sozialkritischen „Bänkelsänger” Itzig Manger (1901-1969), dem Fabeldichter Elieser Steinbarg (1880-1932) zeugen von einer sehr „mündlich” geprägten Kultur. Wie stark indes die heute berühmte deutschsprachige Dichtung Paul Celans, Alfred Margul-Sperbers, Alfred Gongs oder Rose Ausländers von - oft landschaftlichen und uralen — ukrainischen Motiven durchwirkt ist, erläutert der anregende Beitrag des Czernowitzer Literaturdozenten Peter Rychlo. Wenig bekannt dürften auch die rumänischen Sprachspiele sein, mit welchen Paul Celan während seiner Bukarester Zeit kurz nach dem Krieg experimentierte: In keiner seiner anderen Sprachen hat der Dichter später Ähnlicheswiederholt (Heinrich Stiehler). Selbstredend beansprucht der Holocaust einen breiten Raum, doch bemüht man sich sichtlich, weni83