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Walter Pass ist am 7. März 2001 im Alter von 59 Jahren gestorben. Er war Professor für Musikwissenschaft an der Universität Wien und gab in dieser Funktion seit den achtziger Jahren viele Impulse und Anregungen zur Erforschung der vom Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Musikschaffenden und ihrer als „entartet‘ zunächst verbotenen, schließlich weitgehend verdrängten Werke. Ausgehend von seiner Beschäftigung mit der Wiener Schule und Schönberg (er organisierte 1974 den Ersten Internationalen Schönberg-Kongreß in Wien) arbeitete er mit an dem Band Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik von 1938 bis 1945 (Wien 1995); bis zuletzt drängte er darauf, diese Forschungen weiterzuführen. Als Vorstandsvorsitzender des von Primavera Gruber ins Leben gerufenen Orpheus Trust (Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst) fand er endlich auch einen weiteren Kreis, in dem seine Impulse wirken konnten und für den er sich mit großem Engagement einsetzte. In den meisten Nachrufen auf ihn war davon nichts zu lesen, von einem „Spezialisten für Ältere Musikgeschichte und Wiener Schule“ wurde hingegen reflexhaft geschrieben und damit der akademischen Sprachregelung Genüge getan. Aber gerade in diese Regelung, ins Automatische des Betriebs, paßte der Verstorbene nur wenig. Bedeutend mehr über seine intellektuelle Eigenart als unakademischer Akademiker erfährt man aus einem Nachruf von Irene Suchy (aus den „Mitteilungen des akademischen Arbeitskreises Japan“), die bei ihm studiert hat: „Anregungen — vor allem gab er Anregungen. Er gab sie sanft, undoktrinär, leichtfüßig, mit einer hellen, feingesponnenen Stimme. (...) Er hasste — sanft-höflich — eine unangreifbare Forschung, die Reduktion auf Daten und Messeinheiten, impotent nannte er eine auf Zahlen reduzierte Geisteswissenschaft. Er bekannte sich zu Fehlern, gestand sie ein, war mutig genug. Er war auch ein lustvoller Kämpfer. Er war großzügig, in der Einforderung der Antworten auf seine Anregungen. Wo immer einer hinging, nachdem er ihm energievoll einen kleinen Anstoß gegeben hatte, er schwebte daneben her, hörte mit, las durch, korrigierte. (...) Als Schnittpunkt der Linien zwischen Kurt Weill und Jimmy Berg, zwischen dem Wiener 19. und dem 16. Jahrhundert, zwischen katholischer Liturgie und Exilforschung. Jeder ideologischen Zuordnung sich verweigernd, diverse Standpunkte verbindend, sie jeglicher Vereinnahmung entreissend. [...] Er gab etwas Besonderes: Selbstvertrauen. In aller distanzvollen Höflichkeit. Du schaffst es. Er forschte vieles, er mutete sich die ganze Welt zu: Mittelalterliche Musiktheorie in Zentraleuropa, einstimmige Musik des Mittelalters und Musik der Benediktinerklöster am Bodensee. Er begann dort, wo andere nie hinkamen: bei Musik am Hof Maximilian des I., über den er sich habilitierte, bei Jacob Regnarts lateinischen Motetten, die er für die Dissertation bearbeitete. Er animierte zu Forschungen über unentdeckte Johann Strauß-Operetten, und zu Mozarts letzten Jahren und zu vielem anderem. [...] Wir, die seine Vorschläge annehmen durften — Brechts Sanftheit schwingt bewußt mit — danken und trauern mit seiner Familie.“ Dem möchte auch ich mich anschließen. Gerhard Scheit Harry Zohn gestorben Wir tauern um Harry Zohn, der am 3. Juni 2001 in Boston (Massachusetts) gestorben ist. Geboren am 21.11. 1923 in Wien, flüchtete er im Februar 1939 mit seinen Eltern nach Großbritannien und gelangte im Mai 1940 in die USA. Hier begann er sein Studium der Pädagogik und Germanistik als Werkstudent, um schließlich 1967 als Professor für deutsche Sprache und Literatur an der jüdischen Brandeis University in Waltham (Massachusetts) etabliert zu werden. Zohn, ganz besonders mit Ernst Waldinger und Friderike Maria Zweig befreundet, war als Lehrer, Übersetzer (u.a. von Walter Benjamin, Theodor Herzl, Karl Kraus, Gershom Scholem, Manés Sperber) und Essayist ein großer Vermittler deutscher und österreichischer Literatur in den USA. Zugleich widmete er sich als einer der ersten der Erforschung der österreichisch-jüdischen Literatur (die zu einer Exilliteratur geworden war) und legte bereits 1969 und dann wieder 1986 erste Bestandsaufnahmen vor. In den letzten Jahren widmete er sich der groß angelegten Schriftenreihe „Austrian Culture“, in der die literarischen Freunde seines Exils, so Alfred Farau, Peter Heller, Franz Mittler, noch einmal zu Wort kamen. Zu den vielen, mit denen er eine langjährige, zutiefst freundliche Korrespondenz führte, gehörte auch Theodor Kramer. 220 Briefe Kramers hat er dem Österreichischen Literaturarchiv