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übergeben, und kürzlich stellte Michael Hansel eine germanistische Diplomarbeit über den Briefwechsel zwischen Kramer und Zohn fertig, in der die Motive und Themen dieses Briefwechsels sorgfältig dokumentiert und behutsam dargelegt sind. In dem von Beatrix Müller-Kampel in Zusammenarbeit mit Claudia Carnevale im Vorjahr publizierten Band über „Lebenswege und Lektüren“ US-amerikanischer Germanisten österreichisch-jüdischer Herkunft findet sich eine gründliche Bibliographie und ein lebensgeschichtliches Interview mit Harry Zohn. Zohn war von Anfang an Mitglied der Theodor Kramer Gesellschaft und sprach wiederholt bei Veranstaltungen und Symposien der Gesellschaft, zuletzt 1997 in London beim Symposium anläßlich des 100. Geburtstages Theodor Kramers. („Theodor Kramer, wie ich ihn erlebte‘ ist im Jahrbuch 7 der Gesellschaft, „Chronist seiner Zeit. Theodor Kramer“, Klagenfurt/Wien 2000, abgedruckt.) Zohns persönlicher Charme und seine Fairness bleiben in Erinnerung. Er verstand es, die Liebe zur österreichischen Literatur und Kultur durchaus mit einer robusten Kritik an Österreich, besonders an dem in diesem Land immer bagatellisierten Antisemitismus, zu verbinden. Sein Tod kam zu früh. Er war einer, der wie Berthold Viertel von sich sagen konnte, er hätte noch Arbeiten für 40 Jahre vor und müsse daher wohl mindestens 100 werden. — K.K. In den frühen 1930er Jahren war ich Schülerin der Sprachschule Weiser, Wien IV., Ecke Schleifmühlgasse-Wiedner Hauptstraße, um mich auf die Staatsprüfung in Französisch vorzubereiten. Im Lehrkurs befreundete ich mich mit Herta Moteches, die bereits eine Staatsprüfung in Englisch bestanden hatte. Hertas Eltern wohnten im VI. Bezirk, Fillgradergasse, nahe dem Naschmarkt, der Vater war Buchbinder und ermöglichte der Familie einen anständigen, aber höchst bescheidenen Lebensstandard. Die überaus fleißige und zielstrebige Herta schlug mir zur Vorbereitung auf die Prüfung eine Partnerschaft vor, d.h., wir lernten gemeinsam, was sich als sehr nützlich erwies. So kam ich ganz unversehens in Kreise, zu denen ich vorher keinen Zutritt hatte. Damals lernte ich Hertas Verlobten, Bruno Rosenberg, kennen. Seine Eltern waren 1918/19 als treue Österreicher aus der Bukowina nach Wien geflohen, der Vater Rosenberg arbeitete als Kistentischler im 2. Bezirk, die drei Söhne absolvierten Volksund Mittelschule, alle drei waren dann Studenten der Wiener Technischen Hochschule, die sie als Diplomingenieure verließen. Bruno, Ironie des Schicksals, bekam sein Diplom am Freitag, 11. März 1938, ausgehändigt. Ich halte mich nicht bei den einschneidenden Ereignissen nach diesem Datum auf. Herta, als perfekte Kraft für Deutsch, Englisch und Französisch, gelang es, von einem neuseeländischen Unternehmen angefordert zu werden, vor der Abreise heiratete sie noch Bruno, und nach der „Reichskristallnacht‘“ konnten die beiden Anfang Dezember 1938 über Italien per Schiff Neuseeland erreichen. Die zwei alten Elternpaare blieben in Wien zurück, Hertas Eltern war es nicht möglich, der Deportation zu entrinnen, die Eltern Rosenberg retteten sich im allerletzten Moment nach Shanghai. Beim Abschiedsbesuch vertraute mir Mutter Rosenberg die zwei großen silbernen siebenarmigen Leuchter und eine schwere Kassette mit dem Silberbesteck der Familie an, das nur an hohen Fest- und Feiertagen verwendet wurde. Der Rückweg aus dem 2. Bezirk in unsere Wohnung im Belvedere bleibt mir unvergeßlich: Die Kassette im Rucksack, die riesigen, notdürftig in Zeitungspapier eingeschlagenen Leuchter in den Händen, wagte ich es nicht, in die Straßenbahn einzusteigen, zitternd schlich ich nach Hause. Leuchter und Besteck haben wie durch ein Wunder die Plünderung durch Russen und Einheimische in der Mansarde des Kustodentrakts überdauert und konnten später nach Neuseeland transferiert werden. Und nun, was ich eigentlich erzählen wollte: Mutter Rosenberg starb, von Hunger entkräftet, in Shanghai. Vater Rosenberg wurde von Herta und Bruno, die nach unendlichen Schwierigkeiten in Neuseeland Fuß gefaßt hatten, nach Wellington geholt und hätte dort bei Kindern und Enkelkindern in Frieden und Freiheit in Ruhe leben können. Kaum angekommen, setzte er alle Hebel in Bewegung, um nach Wien, wo niemand mehr von der Familie lebte, zurückzukommen. Das gelang ihm. Zwei Monate nach seiner Heimkehr starb er, sein Wunsch, in Wien begraben zu sein, ging in Erfüllung! (Und er war nicht der einzige, der so handelte.) Magdalena Magnin, geboren 1919 Wien, Tochter des Kunsthistorikers und 1938 von den Nationalsozialisten seines Amtes enthobenen Leiters der „Österreichischen Galerie“ Franz Martin Haberditzl, lebt seit 1946 in Paris.