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bekundeten. Denn es war nicht nur das kleine Häufchen unserer Landsleute, die es in die Hauptstadt verschlagen hatte, gekommen, sondern auch aus dem „Altreich“ gebürtige Glaubensgenossen der gehobenen Mittelschicht und angesehene rumänische Literaten und Schriftsteller wie Al Phillipide, Ion Pillat, Ion Marin Sadoveanu u.a., die aus dem Deutschen übersetzt hatten und der Sprache mächtig waren. Manche von ihnen kannte sie wohl bereits aus den dreißiger Jahren, als sie eine Zeit lang in Bukarest gelebt hatte. Sperber stimmte in seiner einführenden Rede einen wahren Hymnus auf die „schwarze Sappho unserer östlichen Landschaft an“, wie er die Dichterin nannte. Paul und ich wechselten etwas belustigte Blicke ob so vieler pathetischer Worte, freuten uns aber über Rose Ausländers Erfolg und überreichten ihr wie viele andere Verehrer unsere Sträußchen Blumen. Es sollten siebzehn Jahre vergehen, ehe ich sie wieder traf. So lange hatte ich um die legale Ausreise aus Rumänien gekämpft und gewartet. Ich hatte mittlerweile den Juristen Dr. Jakob Silbermann geheiratet und am 23. August 1963 endlich ausreisen dürfen, zufällig ungefähr zur selben Zeit wie Rose Ausländers Bruder Max Scherzer samt Familie. Wir lernten einander in Wien kennen, wo wir alle Zwischenstation machten. Ob wir in Wien bleiben würden, war vorderhand ungewiß, die Möglichkeit, in Deutschland Fuß zu fassen, ergab sich für uns erst später. Unschlüssig, ob Israel oder Übersee das richtige Endziel für uns sein würde, trug die Familie Scherzer sich bei HIAS (Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society) und wir bei IRC (International Rescue Committee) ein und warteten auf das nötige Visum für die USA beziehungsweise Australien. In der Annahme, wir Akademiker würden dort unsere erlernten Berufe vielleicht nicht ausüben können und auch, um uns die entnervende Wartezeit besser zu vertreiben, gab uns die ORT-Organisation (Organization for Rehabilitation through Training) die Möglichkeit, ein „Handwerk“ zu erlernen. Man stellte uns in einer Werkstatt Wolle und Strickmaschinen zur Verfügung und unterwies uns, diese zu bedienen. So fertigten die Scherzers und ich zum ersten Mal maschinell Pullover, Jacken und Kostüme an und machten dabei Bekanntschaft. Nach kurzer Zeit kam aus den Staaten Rose Ausländer angereist, um ihre nächsten Angehörigen wiederzusehen und mit ihnen zu beraten, wo sie sich niederlassen sollten. Herr Scherzer entschied sich der Kinder wegen für Amerika, Rose Ausländer, die ich damals nur flüchtig sprach, weil jeder von uns mit Existenzsorgen zu kämpfen und seine eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen hatte, fuhr nochmals nach New York zurück, kam aber 1964 oder Anfang 1965 wieder, und da sah ich sie öfter. Wir ließen uns zwar Anfang 1964 endgültig in der Bundesrepublik nieder, aber ich gab im Frühjahr 1965 in Wien ein zweiwöchiges Gastspiel mit inszenierten jiddischen Liedern. Eine Freundin hatte mir schon vorher zum Proben ihr Appartement im sechsten Stock des Hochhauses in der Herrengasse überlassen, wo ich Rose Ausländer bequem und ungestört empfangen, mit ihr plaudern und ihr vorsingen konnte, was ihr große Freude bereitete. Ich hatte vorher noch nie „ein Zimmer für mich allein“ besessen, stand nachts in der Wohnung entsetzliche Angst aus, zumal eines späten Abends jemand, der vielleicht nur im betrunkenen Zustand die Tür verwechselt hatte, an meinem Schloß hantierte und dieses unbedingt zu öffnen versuchte. Als ich den Vorfall Rose Ausländer berichtete, nickte sie verständnisvoll und versicherte mir, daß ihr als junges Mädchen in New York des öfteren dergleichen passiert war. Sie erzählte, wie schwer sie es dort gehabt habe und wie ungern sie für immer nach Amerika zurückkehren würde, wiewohl der Bruder mittlerweile in New York lebte. Seine Frau war in Wien verstorben, und er hatte die Wahl der beiden Kinder wegen getroffen, die sich dort eine bessere Zukunft erhofften als in Israel oder Europa. Rose Ausländer war auch im Heiligen Land gewesen, um nach dieser Alternative Ausschau zu halten, aber obwohl sie von den Leistungen, die dort vollbracht wurden, voller Ehrfurcht sprach und vor allem von Jerusalem begeistert war, sah sie für ihre Verwandten und besonders für sich keine Bleibe in diesem Land, befürchtete, dasselbe Schicksal zu erleiden wie Else Lasker-Schüler, und sehnte sich danach in einem deutschsprachigen Milieu zu leben. Über Vermittlung des befreundeten Ehepaares Vera und Dr. Emanuel Hacken lernt sie den ehemaligen, ebenfalls dichtenden Mitschüler Celans Alfred Gong kennen, der auf abenteuerliche Weise einem Vernichtungslager in Transnistrien entkommen, nach dem Krieg in die USA eingewandert war und 1961 unter dem Titel Manifest Alpha in Wien einen Lyrikband veröffentlicht hatte. Der empfiehlt sie dem Bergland Verlag, in dem unter dem Titel Blinder Sommer in einer Auflage von bloß 500 Exemplaren durch Förderung des österreichischen Schul- und Bildungswesens in der Reihe Neue Dichtung aus Österreich ihr zweiter Lyrikband erscheint. Es ist der erste im Westen und kommt beim Lesepublikum überhaupt nicht an. Die an die Veröffentlichung dieses Bandes geknüpften Hoffnungen, auf Dauer in Österreich bleiben zu können, zerschlagen sich somit. Ihrer Enttäuschung über Wien und Österreich, ihrer Verbitterung über den Antisemitismus, mit dem sie neuerdings konfrontiert wird, verleiht sie sowohl in Gedichten als auch in einem der wenigen Prosatexte, die sie verfaßte, beredten Ausdruck. So heißt es in dem Gedicht Im Wiener Stadtpark’: „Es war meine Stadt/ weil ich sie liebte/ unnahbar die Menschen/ der ewige Widerspruch/ Das Leben