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Pet Bata

Gedenktafel für Rose Ausländer an ihrem Geburtshaus in der
Morariugasse, Czernowitz. Angebracht am 11. Mai 2001 zum 100.
Geburtstag. Foto: Dr. Sergij Osatschuk, Chernivtsi

lächelte/ süß und grausam/ wie immer“, oder im Gedicht
Wandlung°: „Es hat sich/ vieles in vieles/ verwandelt/ Wir sind
Dornen geworden/ in fremden Augen“, und in der kurzen
Erzählung Der Fluch, die sie nach einem Ausflug auf den
Kahlenberg schrieb, lesen wir folgende Zeilen: „Wien ist eine
Touristenstadt geworden. Eine Weltstadt? Nein, eine provinz¬
lerische Großstadt: Um 9 Uhr abends Torsperre und die
Straßen fast menschenleer. Diese reich verschnörkelte, rose¬
numduftete Hauptstadt Österreichs hat noch - trotz vieler stil¬
störender Neubauten - in den Innenbezirken ihren barocken, in
manchen Außendistrikten den idyllischen Charakter bewahrt.
Der typische Wiener ist ein provinzlerisch denkender
Lokalpatriot. Er ist überaus liebenswürdig, fast höfisch höflich,
solange man ihm mit der gleichen Galanterie begegnet und sei¬
ne patriotischen Gefühle nicht verletzt. Wird das usuelle
Zeremoniell nicht eingehalten, sträubt er — ein getarntes Igel¬
geschöpf — seine Stacheln, greift an, wird grob, rabiat. Der ty¬
pische Wiener ist ein Januswesen: ritterlich und boshaft,
untertänig und überheblich, sanguinisch und hysterisch. Der
typisch Wiener läßt keinen Nichtwiener, Nichtösterreicher an
seine innere Person herankommen, schließt sich gesellschaft¬
lich hermetisch ab. Nein, der ‚typische Wiener’ ist eine
Abstraktion - er ist so, aber auch anders ...“

Auf eine Anfrage im März 1985 bezüglich ihres nationalen
Zugehörigkeitsgefühls antwortet sie: „Als ich mich 1963 und
1964 in Österreich - speziell in Wien — aufgehalten habe, habe
ich so viele persönliche schlechte — auch antisemitische —
Erfahrungen machen müssen, daß ich mich heute nicht mehr

von Österreich vereinnahmen lassen will. Die Bukowina und
das alte Österreich bleiben mein Heimattraum.“ Da sie aber
dennoch in einem deutschsprachigen Milieu leben wollte, folg¬
te sie, von meinem Mann beraten, unserem Beispiel und kam
nach Düsseldorf, wo sich bereits eine kleine Gemeinde von
Bukowinern niedergelassen hatte. Er holte sie vom Bahnhof
ab, brachte sie in einer billigen Pension in der Poensgen-Straße
unter, wo auch zwei andere ältere Damen aus unserer Heimat¬
stadt, die Witwe von Dr. Mayer und die ehemalige Opern¬
sängerin Sylvia AltheimFeller, wohnten und half ihr aufgrund
ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis, die nötigen
Schritte zu ihrer Einbürgerung einzuleiten, die Voraussetzung
für die aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung ge¬
währte Entschädigung und Gesundheitsrente. Erkenntlich er¬
wies sie sich leider nicht. Als sie einmal, zu Besuch bei uns, im
Kreise von Landsleuten die Bemerkung fallen ließ: „Mir hat
doch im Leben nie jemand geholfen!“, verschlug es meinem
Mann und mir ob soviel Unverfrorenheit die Sprache. Nun, wir
trugen es ihr nicht nach, freuten uns, daß sie endlich ein gesi¬
chertes Auskommen hatte, Reisen unternehmen konnte, die sie
sehr genoß — wenn sie von Toledo oder Venedig berichtete, war
sie wie verwandelt —, daß es ihr allmählich gelang, das
Interesse der Fachwelt für sich zu wecken, einen Gedichtband
nach dem anderen zu veröffentlichen und mit Preisen über¬
häuft zu werden. Ihre vertrauten Zimmernachbarinnen waren
längst ausgezogen, hatten sich eigene Wohnungen eingerichtet,
sie hätte sich dies auch leisten können, blieb aber in dieser be¬
scheidenen, im Dirnenviertel hinter dem Bahnhof gelegenen
Pension, bis sie ihrer angegriffenen Gesundheit wegen ins
Nelly-Sachs-Haus, das jüdischen Altenheim am Nordpark, zie¬
hen mußte. Frau Cordes, die Pensionsbesitzerin, kümmerte
sich allerdings rührend um sie, und an Komfort oder gar Luxus
war Rose Ausländer nie gewöhnt, es lag ihr auch nicht daran.
Nachdem sie ihr Elternhaus verlassen mußte, hatte sie ja fast
nur in möblierten Zimmern gewohnt, aus Koffern gelebt, die
sie immer mitschleppte, wenn sie, wie so oft, auf Reisen ging.
Wie diese Frau, die gesundheitlich so anfällig war, dies schaff¬
te, blieb mir ein Rätsel. Vielleicht gab es früher Gepäckträger,
auf die man sich verlassen konnte. Ich erinnere mich, daß ihr
Neffe, als er in Wien vom Vater zum Bahnhof geschickt wur¬
de, um die Tante abzuholen, und fragte, woran er sie denn er¬
kennen sollte, die Antwort erhielt: „Die Person, die mit den
meisten Koffern aussteigt, ist gewiß deine Tante.“

Rose Ausländer war völlig auf ihre Person, auf ihre Arbeit
konzentriert, hatte allerlei Wehwehchen, mußte Diät halten,
litt an Schlaflosigkeit, verbrachte den ganzen Vormittag,
manchmal sogar den ganzen Tag im Bett, wo sie nicht bloß
ihre Gedichte verfaßte, sondern auch ihre umfangreiche
Korrespondenz erledigte. Ein Meer von Papier überflutete
das kleine Zimmer. Anrufen durfte man sie nicht vor Mittag,
sonst überschüttete sie einen mit Vorwürfen, ja brach in Zorn
aus. Besuchte man sie, mußte man über Stöße von
Zeitschriften steigen oder mit solchen als Sitzplatz vorlieb¬
nehmen, da die wenigen Stühle mit anderen Drucksachen be¬
legt waren. Wohlgemerkt: Nicht mit Büchern, davon besaß
sie nicht viel.

An Humor fehlte es ihr nicht. Einmal erzählte sie mir la¬
chend, ein Freier hätte sie am späten Abend angerufen und ge¬
schmückt mit obszönen Bemerkungen gefragt: „Rosi, Kann ich
jetzt gleich zu dir raufkommen?“ Worauf sie gelassen erwidert
habe: „Ich heiße Rose und nicht Rosi, bin eine alte Schachtel
und das Raufkommen würde sich für Sie gar nicht lohnen.“