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Sternträgerin und wurde unten auf der Straße genauso befetzt. Dann, nach dem Krieg haben die Hausbewohner die Erna Modlik, die Berlinerin war, bei den Russen angezeigt. Und man hat sie auch wirklich auf die Kommandantur bestellt, wo sich aber alles rasch aufklärte. Das ist das goldene Wienerherz: Die Jüdin haben sie in den Selbstmord treiben wollen, die Deutsche, die ihr geholfen hat, wollten sie heimjagen.“ Von Georg Rauchinger erschien in MdZ Nr. 1/1999, S. 9-11, „Der Turnlehrer‘“, ein von Renate Göllner und Gerhard Scheit vorgestellter Auszug aus seinem unveröffentlichten Roman „Der Eindringling“. In ZW Nr. 3/2000, S. 7, schrieb R. Göllner über das „Bildnis der Mme. Mizuko Araki“, in ZW Nr. 4/2000, S. 5, folgte ein weiterer Beitrag von R. Göllner und Astrid d’Auzers dazu. Ich bin unbestätigte Vergangenheit. Ich lebe. Doch ist keiner, nah noch weit, der bezeugen kann, daß ich entsprungen war, wie andre Menschen, einem Menschenpaar.' So heißt es im Gedicht Stella Rotenbergs mit dem Titel „Ungewissen Ursprungs“ aus dem Jahre 1969 in Form der gebändigten und poetisch verdichteten Bilanz wohl traumatischer Verletzung und Verlust-Erfahrung. Bei Theodor Kramer, der dem heute zu vergebenden „Preis für Schreiben im Widerstand und Exil“ posthum seinen Namen gegeben hat, kann man die Verse lesen, geschrieben zwischen April und Juni 1938 angesichts von Ausgrenzung und Vernichtungsdrohung, die ihn als Juden und Dichter trafen: Stella Rotenberg. Foto: Nina Jakl 14 .... daß alles ungewiß ist, ist allein gewiß. Die Maus selbst hat ihr Loch; ein Ziel winkt, wenn sie ziehn, den Staren ... Nur der Mensch lebt so im Nichts dahin. Fl Ich suche Trost im Wort, das niemals noch mich trog, das von den Dingen mir getreu den Umriß zog ...” Dann beschwört Theodor Kramers lyrisches Ich leise-trotzig die Kraft des Wortes, das herkömmlich als „gering“ Geltende, z.B. die schmerzhaft zu Tränen reizende Schönheit einer Holunderblüte zu entdecken und in ihr einen Einhalt angesichts einer zur Raserei entstellten menschlichen Mitwelt: ... das üb ich, das bewährt dem Ohr sich auch im Klang: zu sagen ist so viel, nun ist mir nicht mehr bang ...° So erscheint Stella Rotenbergs mehr als 30 Jahre später formulierte, beriihrende Rede von dem freilich nie mehr ausreichend heilenden „Balsam“, dem Wörterschatz der Mutter, den Rotenbergs Ich „auf die Wund, die ihre [Mutters] Mörder uns geschlagen“ tropfen läßt, als ein verwandter Nachklang von Theodor Kramers Erkenntnis. An anderer Stelle heißt es bei Rotenberg: „... doch Klang und Laut/ und Mutterwort,/ die labten mich ... Nun Mutterwort/ und Laut und Klang/ mein Land, mein Land ... versunken.* Und wie konstant und behäbig doch die bleierne Zeit ist! Das Mißtrauen Kramers gegenüber den täuschenden Gebärden und Gesichtern, ist auch Rotenberg — 1963 — vertraut: Zu wem spreche ich? Wem folge ich vertrauend ins Haus? Welcher hat meine Mutter getötet? Sie sehen doch alle wie Menschen aus.’ Diese kleinen Hinweise mögen erhellen, warum der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft am 1. Dezember 2000 den neu gestifteten „Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und Exil“ einstimmig Stella Rotenberg zuerkannt hat. Dieser Würdigungspreis gilt einem Lebenswerk, das sich in seiner gedanklichen Prägnanz, schlanken Schönheit und unprätentiösen Poetizität in einzigartiger Weise mit dem Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts, mit der Shoa und ihren Folgen auseinandersetzt: Dichtung als Ort des bedrängenden und der Verdrängung