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mulierte. Diese merkwürdige, bisher kaum beachtete Nähe ist jedoch eine Intimität, wie sie nur die äußerste Feindschaft bietet. Konkret dürfte Heidegger durch Geschichte und Klassenbewußtsein (1923) Einblick in die innersten Fragestellungen der Marxschen Kritik bekommen haben. Lucien Goldmann hat Heideggers Sein und Zeit stellenweise sogar als polemische Replik auf dieses frühe Buch von Georg Lukäcs gelesen, das zum einflußreichsten des westlichen Marxismus geworden ist. (Vgl. L.G.: Lukäcs und Heidegger. Darmstadt-Neuwied 1975). Heideggers Sein kann nicht erkannt, schon gar nicht kritisiert, nur „gedacht“ werden. Er macht aus dem simplen (Hilfs)Zeitwort der Sprache ein eigentliches Super- und AntiSubjekt in einem — während Marx vom Geld als dem angeblichen Hilfsmittel des Tausches zur Erkenntnis eines wirklichen „automatischen Subjekts“ gelangt. Dieses Subjekt, der Wert, existiert in der Herrschaft toter, abstrakter Arbeit über die lebendige, konkrete Arbeitskraft." Das Sein von Heidegger aber bestimmt das Dasein dazu, daß es im Geschick des Volks die Unterwerfung von sich aus unternimmt und bejaht — als Freisein für den Tod. So entspringt diese Ontologie einer Situation, in der - mit Marx gesprochen - die Herrschaft der toten über die lebendige Arbeit, der realen Abstraktion des Werts über die real konkreten Individuen und Dinge offenkundig in Gefahr geraten ist; in der die Identitätslogik der Wertform von der Nichtidentität ihres Inhalts bedroht wird; in der z.B. zuviel produziert wird oder zuwenig gekauft. Und sie konstituiert ein bestimmtes Verhältnis zum Staat, der doch die Herrschaft der toten Arbeit nicht allein zu sichern hat, sondern sie buchstäblich verkörpert: im Geschick des Volks die Unterwerfung von sich aus bejahen, heißt entschlossen sein, dem Souverän alles zu opfern; Freisein für den Tod bedeutet Einvernehmen „mit dem Herrn über den Tod“. Als Herbert Marcuse — einstmals Assistent bei Heidegger, nun im amerikanischen Exil - den Nationalsozialismus analysierte, wandte er im Grunde die Marxschen Kategorien auf die Heideggersche Philosophie an. In der Angst, die aus der gesellschaftlichen Krise resultiert, erkannte er eine signifikante Voraussetzung der deutschen Volksgemeinschaft als einer auf den Vernichtungskrieg ausgerichteten Gesellschaft: „Die Angst der Massen (...) ist ein entscheidendes Element dieser Harmonie. Hinter ihr steht das klare Wissen, daß sie nur durch äußerste Effizienz überleben können, daß sie ihre Leistungsfähigkeit nur durch aggressive Expansion erhalten können und daß sie den Krieg führen und gewinnen müssen, koste es, was es wolle. Sie werden alles für diese Sache tun und sie brauchen keinen Plan, um ihre Anstrengungen zu vereinen. Die Investition ist riskant, aber es ist die einzig mögliche Investition und der zukünftige Profit ist dieses Risiko wert.‘“"® Es ist dieses Kalkül, dem Heidegger bereits in Sein und Zeit höhere Weihen verschafft hatte. Wie keine andere zeitgenössische Philosophie bereitete er darin mit dem Zeitbegriff auf die Intervention des Staats in die Zirkulationsspähre vor und beschwor die daraus resultierende Notwendigkeit, in den Tod zu investieren. Das „vulgäre Verständnis von Zeit“, das den Bedingungen des Marktes angemessen ist, nennt Heidegger eine „pure, anfangs- und endlose Jetztfolge“, die den „ekstatischen Charakter der ursprünglichen Zeitlichkeit“ nivelliere und die vom Dasein nur „durchhüpft“ werden kann." Dieser uneigentlichen Zeit der Zirkulation setzt er die ursprüngliche und eigentliche gegenüber: die Zukunft. Wie Heidegger jedoch zu erkennen gibt, wird diese Zukunft niemals eintreffen, zumindest in dem Sinn, wie das vulgäre Verständnis der Zeit annehmen möchte: „Zukunft meint hier nicht ein Jetzt, das noch nicht ‚wirklich’ geworden, einmal erst sein wird, sondern die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt.‘“” So mag also kalkuliert werden mit einem zukünftige Zustand, wirkungsmächtig wird diese Kalkulation, wenn dem, was sie einkalkuliert, Krieg und Vernichtung, Sinn verliehen ist; nur dann ist das Sein zukünftig, nur dann zerfällt jetzt die kapitalisierte Gesellschaft nicht. Schicksal hat das Dasein einzig, wenn es vorlaufend den Tod in sich mächtig werden läßt. „Das Vorlaufen macht das Dasein eigentlich zukünftig, so zwar, daß das Vorlaufen selbst nur möglich ist, sofern das Dasein als seiendes überhaupt schon immer auf sich zukommt, das heißt in seinem Sein überhaupt zukünftig ist.‘”' Hitler sagte einfach nur: dem deutschen Volk gehört die Zukunft. Die Identität in der Krise zu bergen, die Herrschaft der toten über die lebendige Arbeit zu retten, dazu bedarf es Entschlossenheit; Bereitschaft, Schuld auf sich zu nehmen - und sie zu beschwören, ist der Heideggersche Zeit- und Zukunftsbegriff wie geschaffen. Heidegger hat mehr als alle seiner intellektuellen Zeitgenossen eine Ahnung davon, wieviel an Verbrechen notwendig sein wird, das unwahre Ganze zu bewahren: „Die Entschlossenheit wurde bestimmt als das verschwiegene, angstbereite Sichentwerfen auf das eigene Schuldigsein. Ihre Eigentlichkeit gewinnt sie als vorlaufende Entschlossenheit. In ihr versteht sich das Dasein hinsichtlich seines Seinkönnens dergestalt, daß es dem Tod unter die Augen geht, um so das Seiende, das es selbst ist, in seiner Geworfenheit ganz zu übernehmen. Die entschlossene Übernahme des eigenen faktischen ‚Da’ bedeutet zugleich den Entschluß in die Situation. Wozu sich das Dasein je faktisch entschließt, vermag die existenziale Analyse grundsätzlich nicht zu erörtern.“ Heidegger enthielt sich zunächst jeder Orientierung auf dem Feld der Politik. Aber die abstrakte, vorlaufende Entschlossenheit wurde nicht zufällig um 1930 zugespitzt — und auf eine Führerfigur ausgerichtet: In seiner Vorlesung „Die Grundbegriffe der Metaphysik“ von 1929/1930 sagte er, in einer Zeit der Not, in welcher soziales Elend, politische Wirrnis, Ohnmacht der Wissenschaft, Leere der Kunst, Bodenlosigkeit der Philosophie und die Krise der Religion herrschten, „müssen wir erst wieder rufen nach dem, der unserem Dasein einen Schrecken einzujagen vermag.“ Als sich das Dasein dann faktisch zum Nationalsozialismus entschlossen hatte, stand der Professor nicht abseits, sondern trug das lange schon Gedachte, das Seine, dazu bei. Im Unterschied zu der meist üblichen NaziPropaganda betonte Heidegger von Anfang an den katastrophischen, apokalyptischen Charakter der nationalsozialistischen Revolution, den Bruch mit allem Voraufgegangenen: „Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt!‘“”* In der berühmten Rektoratsrede wird das Geistige schlechthin aus der Gefährdung des Volks, aus der Fragwürdigkeit des Seins begründet: in der Krise, in der Situation der Katastrophe wird das Volk zum Philosophen, oder besser gesagt zum Denker, und der Philosoph zu seinem bloßen Sprachrohr: „So ausgesetzt in die äußerste Fragwürdigkeit des eignen Daseins, will dies Volk ein geistiges Volk sein.“ Und darum ist das Wissen, das es von sich und für sich fordert, „nicht die beruhigte Kenntnisnahme von Wesen und Werten an sich, sondern die schärfste Gefährdung inmitten der Übermacht des Seienden. Die Fragwürdigkeit des Seins überhaupt zwingt dem Volk Arbeit und Kampf ab und zwingt es in seinen Staat (...).‘?° Ja, Heidegger betrachtet es geradezu als besondere Aufgabe sei21