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Nachdem die vorige Ausgabe der ZW zahlreiche Darstellungen von WissenschaftlerInnen zum Thema Exil in Shanghai brachte, kommen in dieser Nummer vor allem ZeitzeugInnen in ganz unterschiedlichen Beiträgen zu Wort, es geht aber auch um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Exil in Shanghai wie um die historiographische Herangehensweise. Eingeleitet wird das Heft mit einem kurzen Überblick zur Geschichte Shanghais, den Horst Eisfelder nach der Lektüre der ersten Shanghai-Ausgabe der ZW verfaßte. Der Beitrag von Walter Dawison, 1940 in der Shanghaier Exilzeitschrift „Tribüne“ erschienen und hier erstmals wieder zugänglich gemacht, wirft einen unmittelbaren, authentischen Blick auf die problematischen Lebensumstände der ExilantInnen und bemüht sich, ausgewogen die Schwierigkeiten und Chancen der Shanghaier Situation darzulegen. Martin Beutler, der in seinem fünften Lebensjahr mit seinen Eltern nach Shanghai gelangte, erinnert sich in einem von Steve Hochstadt aufgezeichneten Bericht an seine kindliche Perspektive auf Shanghai. Für den Arzt Ernst Ritter war die Stadt nur eine von verschiedenen Stationen des Exils in China; aus seinen umfangreichen, bisher nicht veröffentlichten Aufzeichnungen haben wir einige charakteristische Abschnitte ausgewählt. Auch die Schilderungen ihrer Zeit in Shanghai und der Zusammenarbeit mit Agnes Smedley von Ruth F. Weiss entstammen einem noch unpublizierten größeren Manuskript. Über die pädagogische Arbeit ihrer Eltern Wilhelm und Grete Deman berichtet Joan R. Deman und beschreibt damit einen bisher wenig bekannten Zusammenhang, der aber für die kulturelle Identität der EmigrantInnen und vor allem für viele Jugendliche sehr zentral gewesen sein dürfte. Die Möglichkeiten, Umstände und Schwierigkeiten der Remigration aus Shanghai nach dem Ende des Pazifikkrieges analysiert die Historikerin Gabriele Anderl, die auch auf die „deprimierenden Erlebnisse nach der Rückkehr" nach Österreich eingeht. = mn ‘ L u Das Thema Exil in Shanghai hat in den vergangenen Jahren verschiedene künstlerisch-dokumentarische Darstellungen gefunden. Aus den mehrteiligen Hörspielen von Ulrike Ottinger und Ursula Krechel, beide 1998 zuerst gesendet, haben wir jeweils eine längere Sequenz ausgewählt. Auch wenn das wesentliche dieser Kunstform, die akustische Präsentation, im Druck nicht wiedergegeben werden kann, vermitteln diese Ausschnitte einen Eindruck dieser Arbeiten und der ,,Vielstimmigkeit“ Shanghais. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem Thema Film; Paul Rosdy, selbst Filmemacher, schreibt über filmische Aktivitäten im Shanghaier Exil und präsentiert so einige Funde, die er bei seinen Recherchen für seinen eigenen Shanghai-Film Zuflucht in Shanghai — The Port of Last Resort gemacht hat. Diesen Film analysiert Simon Wachsmuth ebenso wie den ganz anders konzipierten Film Exil Shanghai von Ulrike Ottinger. Über ihre historiographischen Studien zum Exil in Shanghai berichten Antonia Finnane, die über die nach Australien gelangten „ShanghailänderInnen“ gearbeitet hat, und David Kranzler, der bereits in der vorigen Ausgabe der ZW mit einem einführenden Beitrag vertreten war. Die Schilderung von Ralph Harpuder stellt auf unmittelbare Weise einen Bezug zur Gegenwart her: die Eindrücke eines in den USA lebenden Shanghai-Emigranten, geprägt von eigenen Erfahrungen und Überlieferungen, bei seinem ersten Besuch in Wien im Frühjahr 2000. Daß die Exilerfahrung für viele „ShanghailänderInnen‘“ ein wesentliches und verbindendes Element sind, zeigt die Darstellung ihrer Vereinigung von Ralph B. Hirsch und die Beschreibung der Website „The Rickshaw Express Web“. Auch wenn wir mit dieser und der vorigen Nummer der ZW ein vielschichtiges Bild des Exils in Shanghai gegeben haben, sind sicher noch viele Aspekte darzustellen oder zu vertiefen. Ergänzungen für spätere Ausgaben sind stets willkommen. Michael Philipp Friedrich Schiff: „Das einstige Völkergemisch Shanghais im ‚Aussehen der Bauten ... The Bund“ Aus: Gerd Kaminski, Chinesische Zeitgeschichte, S. 73 23