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QvG4 . « res RESTRICTIO CONCERNING AE REET) VLO" David L. Bloch: „Symbole des Lebens im Ghetto“ Aufbauzeit dürfte eine Leidenszeit darstellen, die für die Beteiligten kaum weniger schwer und drückend sein wird als die Zeit, die wir jetzt hier durchleben müssen. Wenn hier in Shanghai der Krieg zu Ende sein wird, wie auch der Ausgang sein möge, wird der Wiederaufbau auf einer ganz anderen Basis vollzogen werden. China ist ein unermeßliches, reiches Land, dessen Schätze erst zu einem ganz kleinen Teil erschlossen worden sind, und Shanghai ist ein Hafenplatz, der für China ebenso unentbehrlich ist wie Hamburg für Deutschland. Hier wird jeder fleißige und tüchtige Mensch, jeder Rasse und Nation, sehr viel zu tun haben, wenn sich nach einer Stabilisierung der Verhältnisse das Wirtschaftsleben, das heute gehemmt und gefesselt ist, wieder neu entfalten und entwickeln wird. Das dürfte ein Aktivum hohen Wertes sein. Das Bewußtsein, daß wir hier einen Boden gefunden haben, auf dem wir in einer gewaltigen doppelten Katastrophe in Frieden und Sicherheit abwarten. In der Katastrophe des jüdischen Volkes und in der Weltkriegskatastrophe, die die Völker Europas traf und noch ärger treffen wird. Es ist wirklich nichts Geringes, ein solcher, trotz allem Mangel zum mindesten körperlich gesicherter Standort, und was er wert ist, könnte uns wohl mit voller Anschaulichkeit am besten jemand klar machen, der aus Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen, aus dem Kriegsgebiet oder aus den ideellen Ghettos deutscher Städte einmal zu Besuch hierher käme. Die Erkenntnis dieses Umstandes stellt ein Aktivum dar, das die Passivseite aufwiegen dürfte. Wollen wir noch einen Überschuß haben, einen Reingewinn? Auch den können wir uns beschaffen, aber wir leben hier in einer stillen und ruhigen, aber ein wenig sterilen Kleinstadt, dicht neben einer gewaltigen Weltmetropole. Wir sind hier völlig fremd. Wir kennen kaum die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die Lebenshaltung und Lebensauffassung oder auch nur die Sprache der Bewohner dieser Riesenstadt. Aus uns heraus können wir nicht die produktiven Kräfte entwickeln, vielleicht auch nicht die geistigen und seelischen, die unsere Existenz tragen können. Wir brauchen die wirtschaftliche und kulturelle Verknüpfung mit dem eigentlichen Shanghai. Sie ist bereits einigen von uns gelungen, und da die Erkenntnis von ihrer Notwendigkeit im Wachsen begriffen ist, werden ihnen immer mehr folgen. Nur, das müssen wir uns sagen, etwa 17.000 Menschen brauchen für diese Eingliederung einige Zeit. Daß wir diese Entwicklung hier in Hongkew, gleichsam unter uns, in Geborgenheit und Ruhe abwarten können, ist eben jenes große Aktivum, von dem wir oben sprachen. Seien wir zufrieden, daß sich unsere seelische Bilanz insoweit ausgleicht, und stören wir diesen Ausgleich nicht dadurch, daß wir unnötige Passiven schaffen, wie anmaßende Ungenügsamkeit in der Erinnerung an Zeiten, die endgültig vorbei sind, oder last not least Streitsucht und Mangel an Solidarität. Walter Dawison, geb. ca. 1905 in Magdeburg, war Volkswirtschaftler, Übersetzer und Journalist. In Shanghai, wohin er 1939 gelangte, arbeitete er u.a. in Übersetzungsbüros und schrieb für „Gelbe Post“, „8-Uhr-Abendblatt“, „Shanghai Herald“ und „Shanghai Jewish Chronicle“. Dawison verfaßte Wirtschaftskommentare, aber auch Glossen und Betrachtungen über alltägliche Phänomene der Emigration in Shanghai. So schrieb er etwa über den erzwungenen Müßiggang und das zwangsläufige „Gasthaussitzen“ in seinem Artikel „Das Lokal als wichtigste Einrichtung des sozialen Lebens“, erschienen am 20.11. 1940 im ,,8-Uhr-Abendblatt“. In dieser Zeitung schrieb er am 25./26.12. 1940 über die Vereinsamung im Exil, die viele Menschen betreffe, denen „die Fremde, die Entwurzeltheit den Lebensmut gebrochen“ habe. Gegen die „Gefahr der „Emigranteneinsamkeit“ “ müsse eine „neue Lebensgemeinschaft, trotz aller Gegensaetze trotz aller Noete“ begründet werden. Für Dawison wurden Einsamkeit und Lebensumstände in Shanghai zur nicht mehr auszuhaltenden Belastung: am 17. Mai 1942 nahm er sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Der Beitrag Dawisons ist entnommen der Nr. 2/1940 der literarischen Wochenschrift „Tribüne“, initiiert von Heinz Petzall und Kurt Lewin, von der von Februar bis Mai 1940 insgesamt 13 Ausgaben erschienen. 27