OCR
Von Hongkong fuhr das Schiff ohne Zwischenlandung bis Shanghai. Bald verstand ich, weshalb dort das Meer das Gelbe Meer heißt. Bereits zwölf Stunden, ehe das Schiff in den JangTse einfährt, ändert sich schlagartig die Farbe des Wassers; das normale Graugrün schlägt in schmutziges Gelbbraun um. Das ist der Lehm Innerchinas, den der Strom ins Meer schwemmt. Von diesem vielleicht wichtigsten Strom der Erde merkten wir anfangs gar nichts; wir wußten gar nicht, daß wir schon stundenlang im Yang Tse fuhren und glaubten noch immer, wir seien im offenen Meer, denn wir sahen kein Ufer und merkten keine Strömung. Erst Bojen sagten uns, daß wir bereits im Strom fuhren. Sechs Stunden lang fährt das Schiff in dieser meerartigen Flußmündung, ehe eine große Boje die Einmündung des Wangpo bezeichnet, an dessen Ufern Shanghai liegt. Diese Riesenstadt liegt an der Mündung eines Flußsystems, in dessen Gebiet circa 250 Millionen Menschen leben. Im Frieden liefen täglich 120 dieser Schiffe diesen Hafen an. Nur das Hafengelände Londons war größer als der Hafen dieser Handelsmetropole. 25 km zieht sich der Hauptquai dahin. Der Teil, der vor der inneren Stadt liegt, der sogenannte Bund, ist durch unzählige Abbildungen ebenso bekannt wie die Wolkenkratzerlinie von New York. Über zwanzig mächtige Wolkenkratzer säumen diese Hafenstraße, und um das Bild einmalig zu machen, drückt sich noch eine erhebliche Anzahl ebenerdiger armseliger Holzhütten zwischen die dreißigstöckigen Giganten. Und im Fluß Reihen von dicht bewohnten Wohnbooten. 34 Aber ich sah bei unserer Ankunft von alledem nichts. Denn knapp vor Shanghai überfiel mich die zweite Phase der DengueInfektion. Gerade als es ans Landen ging, hatte ich wieder 39 Grad Fieber, so daß ich mich nur mit Mühe aufrecht halten konnte. Es gab zwar keine besonderen Einwanderungsformalitäten außer einer liberalen Paß- und Zollkontrolle, aber trotzdem mußten wir eine gute Stunde inmitten einer fremden, drängenden Menge in einer großen, aber schlecht gelüfteten Halle herumstehen, ehe unser Gepäck ausgeladen und abgefertigt war. Ich hatte nur einen Gedanken: Jetzt nicht umfallen! Das hätte die Hafensanität auf mich aufmerksam gemacht. Endlich aber waren die Einwanderungsprozeduren vorbei und nun war die Frage: Wohin jetzt? Was damals mit mir und unserem Gepäck geschehen wäre, wenn sich meine Frau nicht allem angenommen hätte, das weiß ich nicht. Ich war in einem Zustand völliger Apathie; wie in jeder Hafenstadt wurden die ankommenden Reisenden von den diversen Hotelbediensteten überfallen. Wir fielen dem Angestellten des Burlington-Hotels in die Hände. Er bemächtigte sich unserer Koffer, stritt mit einem Taxichauffeur herum, und zehn Minuten später waren wir unter Dach. Der äußere Eindruck dieses sich „europäisch“ nennenden Hauses war gar nicht übel. Ich hatte nur einen Gedanken: ein Bett! Denn nun packte mich ein richtiger Schüttelfrost. Der Wunsch nach einem Bett wurde mir erfüllt, und was in den nächsten Stunden vorging, weiß ich nicht. Nur an eines kann ich mich erinnern, meine Frau wiederholte immer wieder: hier bleiben wir nicht! Als ich am Spätnachmittag aus meinem Dämmerzustand erwachte und wieder denken konnte, fielen mir die vielen kleinen dunklen Punkte an den Wänden und an der Decke auf. Bald wußte ich Bescheid: es waren Wanzen! Ich hatte zwar schon am Schiff von der Wanzenplage in Shanghai gehört, aber was wir hier im Burlington-Hotel erfuhren, geht über die Vorstellungskraft normaler Europäer. Ich war durch das hohe Fieber so erschöpft und unempfindlich, daß mir die Situation nicht recht zum Bewußtsein kam. Aber für meine Frau, die auf jeden Wanzenbiß mit Brechreiz reagiert, war diese Wanzenplage katastrophal. Es war klar, daß wir in dieser Wanzenbude nicht bleiben konnten. Doch es dauerte immerhin noch drei Tage, bis meine Frau im französischen Sektor der Stadt ein möbliertes Zimmer auftreiben konnte. Die Vermieter waren Russen und schworen bei allen Heiligen, daß das Zimmer wanzenfrei sei. Im Verhältnis zum Hotelzimmer traf das auch mehr oder minder zu, aber für unsere Begriffe waren noch viel zu viele dieser sympathischen Tierchen vorhanden. Meine Frau mußte weiter die Nächte sitzend auf dem Tisch verbringen. Also mußte sie weiter suchen. Endlich stieß sie auf eine englisch geführte Pension, in der wir zu erschwinglichen Preisen ein Zimmer bekamen. Aber wir mußten noch zehn Tage warten, bis der uns versprochene Raum frei wurde. Diese Pension war rein, und wir hatten nur Angst, wir könnten in unserem Gepäck Wanzen mitbringen. Zum Glück hat der intensive Kampfergeruch unserer Koffer den Wanzen nicht behagt. Ich war inzwischen fieberfrei, aber eine Herzmuskelschädigung, eine sehr häufige Komplikation der Dengue, hinderte mich an längerem Gehen. Ich lag den größten Teil der Zeit auf meinem Bett und lernte aus englischen Zeitungen Englisch. In dieser Pension wohnten nur