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a ‘ a IM machte Mine eine hohe Prämie zahlten, versuchten es die Fischer immer wieder; mehrere büßten dabei ihr Leben ein. Da es sich bald herumsprach, daß auch im katholischen Spital ein europäischer Arzt arbeitete, verging bald kein Tag, an dem nicht irgendein dringlicher Fall eingeliefert wurde. Blinddarmentzündungen, eingeklemmte Leistenbrüche, durch die Tropenruhr hervorgerufene Leberabszesse und alle Arten von Verletzungen waren meine Alltagsarbeit. Nicht ganz selten waren Kriegsverletzungen. Die im Inneren Chinas kämpfenden Truppen hatten nämlich keine Sanität. Das Menschenleben galt ja nichts! Wer verwundet wurde, blieb liegen; überlebte er seine Verletzung und gelang es ihm, sich zurückzuschleppen, so war es sein Glück. Gesorgt wurde für die Verwundeten nicht! Da die Kampffront von uns circa 1.000 km entfernt war, kamen bei den trostlosen Verkehrsverhältnissen nur relativ alte Verletzungen in meine Hände. Oft war ich sprachlos darüber, was diese Menschen ausgehalten hatten. Einen Fall werde ich nie vergessen: Es handelte sich um einen jungen Soldaten, der vor dem Feind desertiert und später von den Chinesen wieder gefangen wurde. Zur Strafe durchhieb man ihm sämtliche Strecksehnen beider Hände und Füße. Überdies wies sein Körper unzählige Säbelhiebwunden auf. Der Mann war in einem so elenden Allgemeinzustand, daß ich vorerst mit ihm gar nichts anfangen konnte. Er starb am nächsten Tag an Erschöpfung. Ich war entsetzt über diese scheußliche Roheit. Ich wußte damals noch nicht, daß der Beruf des Soldaten zu den verachtetsten Berufen Chinas zählte. (...) Manches Merkwürdige erfuhr ich mit der Zeit über chinesische Behandlungsmethoden. Da gab es z.B. Ärzte, die alles mit Salben behandelten. Die Zusammensetzung dieser verschiedenen Salben ist ein Geheimnis. Ich konnte darüber ebenso wenig erfahren wie über die Erfolge dieser Behandlungsmethode. Und doch erlebte ich einen Fall, der mir zu denken gab. Eines Tages brachte ein Chinese aus einem circa 100 km entfernten Ort seinen 18jährigen Sohn, der wie der Vater angab, eine Schußverletzung durch den Vorfuß erlitten hatte. Die Kugel war am Fußrücken zwischen dem ersten und dem zweiten Mittelfußknochen eingedrungen und aus der Sohle ausgetreten. Die Knochen waren anscheinend nicht verletzt, aber die dort durchziehende Arterie war eröffnet. Der Fuß war dick eingepackt, 36 und ich mußte vorerst den Verband entfernen, um die Verletzung untersuchen zu können. Aber der Vater bat mich flehentlich, den von einem Salbendoktor angelegten Verband nicht abzunehmen, weil dann die Wunde wieder stark bluten würde. Das war ganz unwahrscheinlich, weil die Verletzung bereits einige Tage alt war. Ich begann also trotz Widerspruch des Alten die Wunde frei zu machen. Nachdem ich eine Unmasse von Tüchern und Binden abgewickelt hatte, kam ich auf eine schmutzig-grüne Masse, die ich im ersten Augenblick für Kuhexkremente hielt. Trotz des heftigen Gejammers des Alten entfernte ich auch diese unappetitliche Masse und sofort spritzte mir hellrotes Blut entgegen. Mit Druck konnte ich diese heftige Blutung nicht stillen, da es immer wieder aus dem infizierten Schußkanal weiter blutete. Es blieb mir nichts anderes übrig, als diese Arterie entfernt von der Wunde zu unterbinden. Weshalb diese Verletzung noch nach Tagen so stark blutete und warum die Blutung unter der grünen Salbe zum Stehen gekommen war, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Infektionskranke nahmen wir in unser Spital nicht auf, für diese Fälle gab es ein chinesisches Spital; doch die Bevölkerung versuchte es immer wieder, auch diese Fälle bei uns unterzubringen. Eines Tages stand ich mit der italienischen Schwester in der Toreinfahrt, als ein Rikschakuli im Laufschritt mit seinem Vehikel herein kam. In der Rikscha saß ein ganz vermummter Mann. Ehe es mir noch klar wurde, worum es sich da handle, begann die Schwester ein richtiges chinesisches Geschimpfe und drängte den Kuli samt seinem Gefährt zum Tor hinaus. Auf meine erstaunte Frage, was das zu bedeuten habe, klärte mich die Schwester auf: der vermummte Mann war ein Blatternkranker, den der Kuli im Spital abladen und dann davon laufen wollte. Notgedrungen wäre uns dann der Kranke im Spital geblieben. Eine Viertelstunde später ging ich in die Stadt. Da begegnete mir der gleich Kuli mit der leeren Rikscha und lud mich freundlich ein, mit ihm zu fahren; ich dankte aber ebenso höflich ... Doch all unsere Vorsicht nützte uns nicht immer. Einige Wochen später schleppte man uns einen Fall mit Flecktyphus ein, die Oberschwester infizierte sich an dem Kranken und starb! (...) In Wenchow haben wir als unfreiwillige Zeugen erfahren, wie gering ein weibliches Kind in der Familie geschätzt wird.