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Der Zufluchtsort Shanghai war von den meisten jüdischen Flüchtlingen von Anfang an als Zwischenstation, als zeitlich befristete Übergangslösung betrachtet worden. Nach der Kapitulation Japans waren einige Flüchtlinge zunächst recht zuversichtlich, daß es möglich sein würde, sich in der befreiten Stadt eine neue Existenz aufzubauen. Noch im März 1946 meldete der Shanghai Herald, daß die chinesische Regierung jenen Flüchtlingen, von deren Aufenthalt China profitiere, den Verbleib gestatten werde. Als jedoch die kommunistischen Truppen unter Mao Tse-tung Ende der vierziger Jahre nach und nach das chinesische Festland eroberten, stellte sich die Frage der Weiter- oder Rückwanderung mit zunehmender Brisanz. Es stehe nun fest, „daß die einzige mögliche Lösung des Problems dieser Emigration deren restlose Liquidierung ist“, beurteilte ein Mitarbeiter des „Joint“ Anfang 1947 die Lage. Aufgrund der lückenhaften und vielfach widersprüchlichen Informationen war es für die Flüchtlinge schwierig, sich von der wirtschaftlichen und politischen Nachkriegssituation in Deutschland und Österreich ein klares und realistisches Bild zu machen, was auch die Entscheidung für oder gegen eine mögliche Rückkehr erschwerte. Andererseits erschien nach den Entbehrungen der vorangegangenen Jahre die Vorstellung eines abermaligen Neuanfangs in einem Drittland für viele äußerst beunruhigend. Im Vordergrund stand der Wunsch nach beruflichen Perspektiven und geordneten Verhältnissen, was die starken Vorbehalte gegenüber der alten Heimat in vielen Fällen allmählich in den Hintergrund treten ließ. Vor allem die Älteren und Kranken dachten an Rückkehr. Oft wurde der Wunsch nach Weiterwanderung auch nach vergeblichen Versuchen, eine Einreiseerlaubnis für ein drittes Land zu erhalten aufgegeben. Im Gegensatz dazu war bei anderen der Wunsch ausschlaggebend, am politischen Wiederaufbau in der befreiten Heimat mitzuwirken. Die Frage der Rück- oder Weiterwanderung hing also von unterschiedlichsten äußeren und vor allem auch persönlichen Faktoren und Begleitumständen ab. Nach dem „Anschluß“ waren die österreichischen Juden zunächst Staatsbürger des Deutschen Reiches geworden, 1941 waren die jüdischen Flüchtlinge durch die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz kollektiv ausgebürgert worden und galten in der Folge als Staatenlose. Als solchen wurde ihnen zunächst weder der Flüchtlingsstatus noch das damit verbundene Anrecht auf Betreuung seitens der internationalen Organisationen (UNRRA, IRO) zuerkannt, was ihre Aussichten auf baldige Ausreise deutlich verminderte. Zur Klärung ihres rechtlichen Status wurde die Überprüfung ihrer ehemaligen Staatsbürgerschaft gefordert — erst danach konnten neue Reise- oder sonstige Ausweisdokumente ausgestellt werden. Bis zur Errichtung der österreichischen Gesandtschaft in China nahm die österreichische Gesandtschaft in Washington derartige Ansuchen entgegen. Der ehemalige österreichische Honorarkonsul in Tokio, Ernst Störi, der in direkter Verbindung mit dem Bundeskanzleramt (BKA) in Wien stand, wurde 1946 vom Auswärtigen Amt (AA) ermächtigt, die in China gestellten Paßansuchen an die Gesandtschaft in Washington weiterzuleiten, gleichzeitig wurde ihm die Berichterstattung gegenüber dem BKA übertragen. Störi übte beide Funktionen bis Februar 1948 aus. Trotz dieser grundsätzlichen Regelung beanspruchten nach dem Krieg verschiedene konkurrierende Gruppierungen in Shanghai fiir sich das Recht, Legitimationsausweise fiir Osterreichische Fliichtlinge auszustellen und bemiihten sich um Anerkennung bei den chinesischen und österreichischen Behörden. Die Initiative, die sich bei den Emigranten weitge47