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Michael Kohn, der Leiter des Wanderungsreferates der IKG, berichtete dazu: „Erst nach sehr mühevollen Verhandlungen gelang es uns, bei der Gemeindeverwaltung Wien das Prinzip durchzusetzen, daß sie verpflichtet ist, den Heimkehrern, soweit sie Österreicher sind, entsprechende Unterkunft zu verschaffen. Aber erst das Eingreifen des Bürgermeisters Dr. Körner veranlaßte das Wohnungsamt der Gemeinde Wien, für alle, die nicht bei ihren Familien Unterkommen fanden, Hotelzimmer zu beschlagnahmen, vorbehaltlich einer Refundierung der Kosten durch das Finanzministerium.“ Ein Rückstellungsgesetz für Bestand- und Mietrechte an Wohnungen wurde auch später nie beschlossen, so daß für die Heimkehrer aus Shanghai, Palästina und dem sowjetischen Karaganda über Jahre hinweg nur Massenquartiere zur Verfügung standen, sofern sie nicht mit Hilfe von Freunden und Bekannten eine Unterkunft fanden. So wurden im März 1947 aus Karaganda heimkehrende Juden in Obdachlosenheimen der Stadt Wien und ein Teil der im August 1947 ankommenden Palästina- und Shanghai-Transporte im notdürftig adaptierten Wiedner Spital in Massensälen mit 42 Betten untergebracht. „Die Frage der ersten Unterkunft für die Heimkehrer ist bis heute noch nicht gelöst. Trotz aller Zusagen der leitenden Regierungsmitglieder und des Bürgermeisters mußte jedes Mal von neuem das Wohnungsamt durch ausdrückliche Weisung des Bürgermeisters gezwungen werden, Hotelzimmer für die Neuankömmlinge in Beschlag zu nehmen. Immer wieder vertritt das Wohnungsamt fest die Ansicht, die jüdischen Heimkehrer könnten ganz ruhig in irgendwelchen Massenherbergen untergebracht werden. Dies wäre eher erträglich, wenn es sich um eine Unterkunft für kurze Zeit handeln würde und die Zusagen aller verantwortlichen Instanzen, den heimkehrenden Naziopfern in erster Linie entsprechende Dauerwohnungen zuzuweisen, erfüllt würden. Dies geschieht aber nicht. Um jede Wohnung für einen Heimkehrer muß lange gekämpft werden, nicht nur gegen die jetzigen Besitzer, zum größten Teil Nazi und Ariseure, sondern gegen die passive Resistenz und zuweilen offene Feindseligkeit der kompetenten Faktoren“, heißt es in einem Bericht des Präsidiums der IKG von Ende 1948. Noch im März 1950 mußte der US-Hochkommissar feststellen, „daß Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung noch immer, beinahe fünf Jahre nach Österreichs ,Befreiung’, in ungesunden Quartieren zusammengepfercht sind, während ihre Enteigner sich noch immer der Benützung und des Besitzes ihrer früheren Wohnungen und Geschäfte erfreuen.“ Von den Heimen, die die IKG für die Rückkehrer unterhielt, konnten die beiden letzten erst Ende der siebziger Jahre geschlossen werden. Die erzwungene Beschlagnahmung von Hotels durch das Wohnungsamt zum Zweck der Unterbringung von Rückkehrern hatte auch zu Protesten der Sektion Fremdenverkehrsunternehmungen der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für Wien geführt. Der Fremdenverkehrsindustrie allein, hieß es, werde diese Aufgabe aufgebürdet und die Bezahlung erfolge nach einem untragbaren Modus (die an die Quartiergeber bezahlten Tarife lagen unter den geltenden Zimmerpreisen und wurden nach dem aus der NS-Zeit stammenden Reichsleistungsgesetz berechnet). Seitens der Beherbergungsbetriebe wurde auch auf den überdurchschnittlichen Stromverbrauch und die übermäßige Abnutzung der Einrichtung durch die Flüchtlinge hingewiesen. Im Oktober 1947 wurde gebeten, von einer weiteren Beschlagnahme von Räumen zu Beherbergungszwecken in Hinkunft abzusehen. Insgesamt dürfte 52 nicht zuletzt die ungelöste Wohnungsfrage ein Mitgrund dafür gewesen sein, daß zahlreiche Rückkehrer Österreich bald wieder - und diesmal für immer — verließen. Insgesamt war die Rückkehrerquote aus Shanghai im Vergleich zu anderen Exilländern auffallend hoch. 1947 etwa waren rund 800 der 9.400 Mitglieder der IKG Wien ShanghaiRückkehrer. Insgesamt waren bis Ende 1948 rund 2.700 Juden nach Österreich zurückgekehrt, die meisten von ihnen ohne nennenswerte Mittel. Die Rückstellung ihrer Geschäfte, sofern diese noch existierten, nahm oft Jahre in Anspruch. War die wirtschaftliche Lage im Wien dieser Jahre allgemein schwierig, so galt dies um so mehr für die entwurzelten Menschen, die Jahre zuvor ihrer gesamten Existenz beraubt worden waren. Besonders die älteren unter ihnen konnten nur schwer wieder ins Erwerbsleben integriert werden. Insgesamt ließen sowohl das offizielle Österreich als auch die Bevölkerung jede Sensibilität im Umgang mit den leidgeprüften Menschen vermissen. So wurde der zweite große Rückkehrertransport aus Shanghai im August 1947 ausgerechnet auf den Aspangbahnhof dirigiert — jenen Bahnhof, von dem während der Kriegsjahre die Todeszüge in den Osten abgefertigt worden waren. Ein anderes Beispiel war, daß der Staat zwar die Kosten für die Gepäckbeförderung übernahm, doch dabei genau festlegte, was noch der „Repatriierung im engeren Sinne“ zuzurechnen sei: Den Transport des Gepäcks vom Lager des Spediteurs in die jeweiligen Unterkünfte mußten die Rückkehrer selbst bezahlen. Es kam auch noch zu einem schwerwiegenden Konflikt zwischen der Speditionsfirma D. & Co und Rückkehrern auf der einen bzw. dem Shanghai-Komitee auf der anderen Seite, wobei letztere die Spedition beschuldigten, Beträge doppelt verrechnet und das Gepäck in den Lagerräumen nicht entsprechend bewacht zu haben, waren doch einzelne Stücke abhanden gekommen. Emil Komers vom Innenministerium wies im Zusammenhang mit diesem Konflikt auf angebliche „schwerwiegende Mißbräuche“ und „Unzukömmlichkeiten“ seitens der IKG hin und verstieg sich zur Vermutung, daß die Kultusgemeinde und das Shanghai-Komitee durch ihre Reklamationen versuchen würden, „einen Druck auf die Firma wegen Herabsetzung ihrer Forderungen gegen die Kultusgemeinde und das Komitee ausüben zu können“. Der Konflikt zwischen den Heimkehrern und der Spedition gipfelte in einer Klage vor dem Wiener Handelsgericht. Auch seitens der Bevölkerung war der Empfang vielfach von Feindseligkeit geprägt: Als Wochenschauen in den Kinos von der Ankunft der Shanghaier berichteten, ertönten im Publikum lautstarke antisemitische Kommentare und wüstes Lachen. Auch von der Entschädigungsgesetzgebung wurden die ehemaligen „Shanghaier“ weitgehend übergangen. Das Opferfürsorgegesetz (OFG) bot auch noch in der Fassung von 1947 keinerlei konkrete, auf der Vertreibung nach dem „Anschluß“ basierende Hilfe. Die erzwungene Flucht zur Rettung des bloßen Lebens stellte bis zur 20. Novelle 1969 keinen nach dem OFG relevanten Verfolgungstatbestand dar, der zum Bezug einer Amtsbescheinigung oder wenigstens eines Opferausweises berechtigt hätte. Ein weiteres Hindernis bedeutete für die ehemaligen Flüchtlinge das Erfordernis der aufrechten österreichischen Staatsbürgerschaft für die Antragstellung nach dem OFG. Damit blieben nicht nur die nicht Zurückgekehrten, die inzwischen die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Zufluchtslandes angenommen hatten, von den Leistungen ausgeschlossen; vielmehr traten auch jenen Rückkehrern Schwierigkeiten ent