Ich erinnere mich, daß sie oft bei uns zum Essen waren, aber sie
brachten immer ihre eigenen Messer und Gabeln mit, denn sie
benutzten nicht gerne Stäbchen ... Das hat mich sehr beeindruckt.
En Te kam jeden Morgen zum Dienst. Er mußte sehr früh da
sein, um Wäsche in Empfang zu nehmen oder auch auszugeben.
Er rauchte immer eine dicke Zigarre und summte dabei ein Lied,
wenn er arbeitete. Er war ein fröhlicher Mensch. Wenn er mich
sah, rief er „Bao Bao“ (lacht). Er schenkte mir oft Schokolade.
Diese Süßigkeit schmeckte mir nicht. Sie war sehr bitter (lacht).
Ich weiß nicht mehr genau, wann sie in ihre Heimat zurückge¬
kehrt sind. Aber eins steht fest: Es war nach der Befreiung.
Chinesische Frau, Übersetzung:
Ja, die Befreiung kam, und sie gingen. Ohne die Befreiung
wären sie nicht gegangen ... Das sind unsere Eindrücke.
(Atmo)
O-Ton Ted:
Das war der Anfang der Shanghaier Geschichte, des Ghettos
Shanghais. Hongkew war eine Geschichte, von denen keine
zweite da war. Da haben ungefähr 20.000 deutsche Emigranten
ohne Geld aus zerschossenen Häusern einen Stadtteil aufgebaut,
in dem Klein-Wien, Klein-Breslau, Klein-Frankfurt und Klein¬
Berlin gewesen ist. Da wurden Restaurants gebaut, da wurden
Kabaretts gemacht, eine Oper war da, ein Orchester, zwei
Orchesters waren da, es war ein phantastisches Kulturleben, das
die Emigranten mit nichts aufgebaut haben.
(Untermalung Musik: „Ein Freund, ein guter Freund“)
O-Ton Ted:
We still had those little restaurants where you could get a glass
of water for 50 cents, because you couldn’t drink the water
otherwise. We still had the restaurants, we still had the little
coffee-houses, we still had the theatre in spite of the fact that
it was confined in a ghetto.
(Musik/Gesang: „Ein Freund, ein guter Freund“)
Info-Sprecherin:
Die Menschen, die nach Shanghai kamen, hatten wohl noch nie
zuvor eine derartige Sehnsucht nach geistiger Ablenkung emp¬
funden. Aber wo waren die Künstler, die unter den hiesigen pri¬
mitiven Verhältnissen in der Lage waren, einem so unter¬
schiedlichen Publikum etwas zu bieten? Gewiß war man sich be¬
wußt, daß man keine Vergleiche ziehen durfte, aber es sollte doch
zumindest die Illusion eines Theaters geschaffen werden.
So kam es, daß sich die ersten hier gelandeten Künstler mit dem
Speisesaal des Ward Road Heims begnügen mußten, bis schlie߬
lich Willi Mann im wiedereröffneten Broadway-Theartre einen
Kabarettabend aufzog. Bald mußte man die Vorstellungen auf die
Nacht verlegen, da der Kinobesitzer den Raum am Abend nicht
verpachten wollte. Das Publikum strömte ins Broadway-Theatre,
es füllte die inzwischen eröffneten Lokale, die sich in bunten Aben¬
den überboten. Schließlich veranstaltete die „Shanghai- Woche“
ihren ersten Abend auf dem neuen Dachgarten „Mascot“, der zum
ersten Male Foreigners wieder in Hongkew sah.
Anfang ’42 startete Robert Weiss in seinem „Die Bühne“ be¬
nannten Unternehmen Schnitzlers Fräulein Julie und Walter
Friedmann versuchte im Ensemble „Die Komödie“ ein Kollektiv,
das unter anderem mit der Eisler-Operette Hanni geht tanzen ei¬
nen großen künstlerischen Erfolg verbuchen konnte. Aber leider
blieben die finanziellen Erfolge aus, und so stehen wir zu Beginn
des Herbstes 1942 eigentlich ohne Theater da.
(Musik: „Irgendwo auf der Welt“)
O-Ton Ted:
Ich sprach von dem großen Werk, das in Hongkew gemacht wur¬
de, nämlich daß aus den Ruinen eines zerschossenen chinesi¬
schen Stadtteil eine deutsche Mittelstadt gebaut wurde. Nun,
stellt euch das nicht vor, daß das nun so aussah wie in Weimar
oder wie in Erfurt, denn wir haben schließlich und endlich doch
nur mit den chinesischen Häusern, in zerschossenen Häusern ar¬
beiten müssen, und dort haben wir allerlei aufgebaut in dem
Ghetto. Aber wir haben uns das so nett gemacht wie wir konnten.
(Musik/Gesang: „Irgendwo auf der Welt“ [Lilian Harvey])
O-Ton Ted:
Wäre es nicht das Ghetto gewesen, hätte ich meine Frau
nie kennengelernt. Da war ich an einem Tag mit einem Freund
von mir auf der Straße, und da habe ich sie auf der anderen Seite
der Straße gesehen. Ich hatte sie nicht gekannt, denn ich konn¬
te nicht alle 20.000 Leute kennenlernen, und auch nicht, weil sie
ja ziemlich spät aus England gekommen ist, und da hab’ ich
meinen Freund gefragt: „Who is this Braut over there?“
(Musik)
O-Ton Ted:
Und mein Freund hat gesagt: „Das ist die Langer, die Tochter
von Dr. Langer, dem Richter.“ Und durch eine befreundete
Familie haben wir uns kennengelernt und eines Tages, und das
hat sie mir nie vergessen, war ich in ihrem Haus, wie ein airraid,
wie ein Luftalarm kam, und da haben wir beide uns geduckt un¬
ter einer Treppe, die sicher war, und da hab’ ich zu ihr gesagt:
„Wenn der Krieg zu Ende ist, und wenn ich meinen Job wieder
habe, und wenn ich dich dann fragen würde, ob du mich heira¬
test, was würdest du dann sagen?“ Bis zum heutigen Tag hat sie
mir nicht vergessen, daß ich sie nie mehr danach gefragt habe.
(Lied: „Ein Lied geht um die Welt“)
(Absage)
Langsam haben wir den Kontakt verloren. Als er noch hier
war, damals, war ich erst elf Jahre alt.
Ja, die Wäscheträger waren alle Ausländer ... Sie waren immer
sehr fröhlich. Sie kamen singend zur Arbeit und gingen singend
von der Arbeit. Damals war ich noch sehr klein (lacht).
Der Chef ist 1947 in seine Heimat zurückgekehrt. Ja, aber seine
Schwester und auch der Mann seiner Schwester, sie sind später
in ihre Heimat zurückgefahren. Ich glaube, das war nach 1950.
Ich erinnere mich, daß sie oft bei uns zum Essen waren, aber sie
brachten immer ihre eigenen Messer und Gabeln mit, denn sie
benutzten nicht gerne Stäbchen ... Das hat mich sehr beeindruckt.
En Te kam jeden Morgen zum Dienst. Er mußte sehr früh da sein,
um Wäsche in Empfang zu nehmen oder auch auszugehen. Er
rauchte immer eine dicke Zigarre und summte dabei ein Lied,
wenn er arbeitete. Er war ein fröhlicher Mensch. Wenn er mich
sah, rief er „Bao Bao“ (lacht). Er schenkte mir oft Schokolade.
Diese Süßigkeit schmeckte mir nicht. Sie war sehr bitter (lacht).
Ich weiß nicht mehr genau, wann sie in ihre Heimat zurückge¬
kehrt sind. Aber eins steht fest: Es war nach der Befreiung.
Chinesische Frau, Übersetzung:
Ja, die Befreiung kam, und sie gingen. Ohne die Befreiung
wären sie nicht gegangen ... Das sind unsere Eindrücke.
(Atmo)
O-Ton Ted:
Das war der Anfang der Shanghaier Geschichte, des Ghettos
Shanghais. Hongkew war eine Geschichte, von denen keine
zweite da war. Da haben ungefähr 20.000 deutsche Emigranten
ohne Geld aus zerschossenen Häusern einen Stadtteil aufgebaut,
in dem Klein-Wien, Klein-Breslau, Klein-Frankfurt und Klein¬
Berlin gewesen ist. Da wurden Restaurants gebaut, da wurden
Kabaretts gemacht, eine Oper war da, ein Orchester, zwei
Orchesters waren da, es war ein phantastisches Kulturleben, das
die Emigranten mit nichts aufgebaut haben.