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findig machen; wir vermuteten nämlich, daß es sich um eine Angehörige der Filmbranche handle. Kurz entschlossen fuhren wir zu einem Filmunternehmen und wurden zu dem Direktor vorgelassen, mit dem wir uns durch einen Dolmetsch unterhielten. Ein chinesisches Bankett Der Mann zeigte für uns großes Interesse und veranstaltete uns zu Ehren ein Bankett in einem erstklassigen chinesischen Restaurant. Es waren alle Teilhaber des Unternehmens, zwölf Herren, anwesend. In die Mitte des Saales wurde ein runder Tisch, der mit Blumen geschmückt war, gestellt. Jedes Gedeck bestand aus einem kleinen Teller und einer kleinen henkellosen Schale sowie zwei Elfenbeinstäbchen, ferner aus einem winzigen Teller mit getrockneten Kürbiskörnchen und aus zwei Zahnstochern. Zuerst wurde warmer Rot- und Weißwein in Silberkannen serviert. Dann reichte man heiße Tücher, mit denen man sich Hände und Gesicht reinigte. In der Mitte des Tisches wurden nun Aufsätze mit verschiedenen Speisen gestellt. Jeder hob davon mit seinen Stäbchen auf seinen Teller, was und wieviel er wollte. Uns wollte man Gabel und Messer geben, wir lehnten aber ab und bemühten uns, die Kunst, mit den Stäbchen zu essen, zu erlernen. Immer wieder wurden Aufsätze mit Speisen herbeigeschafft, und als ich bei manchen fragte, was es sei, hörte ich zu meinem Staunen: Bambusrohrgemüse, Haifischflossen, Kleeblattsalat, Schwalbennestersuppe und so fort. Als ich dies alles hörte, fragte ich lieber nicht mehr, denn man muß von allem kosten, um nicht zu beleidigen, und da ist es schon besser, wenn man nicht weiß, was man ißt. Nach ungefähr dreißig Gängen saurer und süßer Speisen kamen zwei riesige Silbertöpfe mit blauen Fischen und einer wirklich überaus schmackhaften Hühnersuppe. Plötzlich aber wurde die Tafel aufgehoben, denn es war neun Uhr und höchste Zeit, in ein chinesisches Kino zu fahren. Ansonsten diniert man bis zum frühen Morgen. Wir schlossen mit den übrigen Bankett-Teilnehmern Freundschaft, obwohl wir weder Englisch noch Chinesisch konnten und Französisch wieder von den übrigen nur wenig gesprochen wurde. Und zehn Tage später waren wir bereits engagiert und erhielten den ersten Teil unserer Gage ausgezahlt. Jetzt sind wir schon sehr fleißig in unserer neuen Stellung und hoffen, bald ins Atelier gehen zu können. Was wir drehen, ist ein chinesischer Film, ein sehr schönes Drama. Englisch lernen wir nun täglich mit einem Lehrer und erzielen gute Fortschritte, da bei den Aufnahmen fast nur Englisch gesprochen wird, auch von den Chinesen. Wir machen uns allerdings vorläufig noch mit Hilfe eines Dolmetsch verständlich. (...) Der zweite Bericht erschien ebenfalls im Jüdischen Nachrichtenblatt, Wiener Ausgabe, am 10. Jänner 1941 unter dem Titel „Von den Emigranten in Shanghai“. Der auf Mitte November 1940 datierte Artikel stammt von Jakob Fleck. Stärker noch als in dem ersten Brief werden die allgemeinen Lebensumstände der Emigranten in Shanghai erwähnt, aber alle Probleme stark heruntergespielt. Durch die Schilderung Flecks entsteht der Eindruck akzeptabler Lebensumstände, etwa in dem mit „Das Prinzip gegenseitiger Hilfe“ überschriebenen Absatz: Ein sehr wichtiger und lobenswerter Grundsatz des Hilfskomitees ist es, daß alle jene, die festen Fuß gefaßt haben, je nach ihrem Einkommen dazu beitragen müssen, um die minder 64 glücklichen Schicksalgenossen hier zu erhalten. Wir tragen gern unser Scherflein bei, denn es geht uns gut, haben wir doch vollauf Beschäftigung beim Film. Seltsam mag es klingen, daß wir als Film-Menschen im Sommer nahezu jeden Tag ins Kino gegangen sind. Die Lichtspieltheater sind in Shanghai sehr groß und haben alle Kühlanlagen. In ihnen herrschte gegenüber der Straße ein Temperatuunterschied bis zu 20 Grad und man mußte aus diesem Grund, wenn man von draußen ins Kino trat, eine Umhiillung umnehmen, um sich nicht zu verkiihlen. Man hatte auf diese Weise zwei Stunden herrlicher Erholung; desto unangenehmer war aber das Hinausgehen auf die Straße. Wir wohnen jetzt in einem sehr schönen Gartenhaus und haben dort ein nettes Zimmer mit voller Verpflegung. Interessant ist, daß ein Chinese kocht und doch alle Wiener und ungarischen Spezialitäten herzustellen weiß. Da wir außerdem häufig zur Essenszeit im Radio echte Wiener Musik hören, so will es uns bei solchen Anlässen scheinen, als ob wir noch in Wien oder nicht weit entfernt von Wien wären. Kinder der Welt hatte am 4. Oktober 1941 im Jindu-Theater, d.h. Theater der goldenen Metropole, in Shanghai Premiere. Laut Xu Buzeng’ lief der Film einige Wochen im Kino, wurde aber nach der japanischen Besetzung der Internationalen Niederlassung von Shanghai am 7. Dezember 1941 und dem gleichzeitigen Eintritt Japans in den Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufgeführt. 1947 kehrten Jakob und Luise Fleck nach Wien zurück. Luise Fleck starb 1950, Jakob Fleck 1953. Driven People/Under Exile/Sokoku o owarete Am 3. Marz 1940 erschien in der von Adolf Josef Storfer herausgegebenen Gelben Post ein Artikel über die Uraufführung eines Emigrantenfilms in Shanghai: Im März gelangt in Shanghai ein Film zur Uraufführung, der von der China Film Co., einer chinesisch-japanischen Gesellschaft, im Dezember und Januar gedreht wurde. Ein Bildstreifen von 500 Meter Länge, der von einem Sprecher in englischer Sprache erläutert wird, beschäftigt sich mit Leben und den Aufbauversuchen der Emigranten in Shanghai. Man hat eine Spielhandlung in den Film aufgenommen, die Hauptabsicht ist aber ein Tatsachenbericht von den Anstrengungen der Einwanderer, sich, so gut es eben geht, der neuen Umgebung anzupassen. Der Titel lautet Driven People (Vertriebene). Symbolisch wird die Ankunft in der fremden Stadt dargestellt, und zwei junge Menschen versuchen vom ersten Tage an, mit Mut und Tatkraft einen Weg durch die verschlungenen und hindernisreichen Pfade zu bahnen, die in Shanghai zum Erfolg führen können. Eva Schwartz, die den Berlinern von ihrer Arbeit beim Kulturbund her (unter ihren Mädchennamen Eva Baruch) in guter Erinnerung ist, und auch schon in Shanghai verschiedentlich auftrat, und Isaac Goldmann, ein neues Talent, sind die Hauptdarsteller. In dem Film wirken als Darsteller nur Emigranten mit, die Regie ist Frau Newman-Wolfson übertragen worden, die Aufnahmeleitung hatte ein japanischer Kameramann. Auf die Stadt Shanghai wirft der Film nur wenige Streiflichter, versäumt aber nicht, die Hilfsbemühungen der Shanghailänder für die Emigration zu schildern. Im übrigen soll der Film eine getreue Reportage von Tatsachen sein, und man will realistisch dem Publikum die Dinge so wie sie sind vor Augen führen. Der Film schließt mit Heimbildern, mit Menschen, die noch der Hilfe dringend bedürfen und es ist zu hoffen, daß die