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Ende April 1945 wurde Karl, gerade 14 Jahre alt, im Verlauf des Todesmarsches durch Bayern von den Amerikanern befreit. Er hatte alles gesehen, was die Hölle von Auschwitz zu bieten hatte: Abertausende Kinder, Frauen, Männer, die an der Rampe selektiert wurden und in endlosen Kolonnen zu den Gaskammern getrieben wurden, Meter hohe Flammen, die Tag und Nacht aus den Schornsteinen der Krematorien schlugen, Aschenregen und Knochenteile, die — weiß wie Schnee — den Boden zentimeterdick bedeckten; er sah den Arzt Dr. Mengele, wie er Hunderte von Kindern, Zwillinge und andere interessante ,, Versuchsobjekte“, an der Rampe aussortierte und für seine schrecklichen Menschenversuche mißbrauchte, er sah, wie die SS-Herrenmenschen mit ihren schwarzen Stiefeln Kinder zu Tode trampelten, sie bei lebendigem Leib verbrannten oder in Massengräber warfen, er hatte gesehen, wie Hunde auf Menschen gehetzt wurden und sie zu Tode rissen; die Augen des 14jährigen hatten gesehen, wie Verzweifelte sich in den elektrischen Zaun warfen, er hatte gesehen und kaum noch begriffen, wie die Welt als Wille und Vorstellung des Herrenmenschen als wahre Hölle für die Verdammten und Verstoßenen wiedererstanden war. Es ist vielleicht richtig, wenn immer wieder zu lesen ist, Karl Stojka male sich diese Schrekkensbilder von der Seele - so als wäre für ihn die Malerei eine Art Selbsttherapie; mag sein, daß dies eine Funktion des Malens ist. Es wäre aber ganz sicher ein Mißverständnis zu glauben, Karl Stojka male diese Bilder nur für sich, zur Aufarbeitung seiner Geschichte, für seine 76 Gesundung und für seine Erinnerung. Nein, er malt sie auch für uns; er malt sie vor allem für uns, als Hilfe und Maßstab für unsere Erinnerung, er malt für das Gedächtnis unserer Zeit und unserer Gesellschaft, für das Gedächtnis der heutigen und zukünftigen Menschheit. Die „Befreiung“ von den Schatten der Vergangenheit, die Karl Stojka durch das Malen zu erkämpfen versucht, kann auf diese Weise auch ein Beitrag zu unserer Befreiung aus den Fängen der Geschichtsvergessenheit sein, aus den Fallen der rassistischen Vorurteile und der verhängnisvollen Mißachtung gegenüber dem Fremden und Unbekannten. Die Bilder Karl Stojkas bedürfen eigentlich keiner Kommentierung, außer der, daß ihre Wahrheit schmerzhaft und schwer zu ertragen ist. Unsere Schmerzen sind beim Betrachten nicht mit jenen zu vergleichen, die er und seine Leidensgenossen hatten; die Differenz zwischen dem, was wir heute als Mitfühlende, aber als Nicht-Betroffene, empfinden können, und dem, was damals die unerträgliche Qual und Einsamkeit jedes Häftlings in Anbetracht seines Endes ausmachten, ist weder in Sprache noch in Gefühlsausdrücken faßbar. Was aber hoffentlich bei uns Bild-Betrachter bleibt, ist eine leise Ahnung von der abgründigen Tiefe dieser Differenz und eine leise Hoffnung, daß die Botschaft der Bilder im Herzen der Betrachter eine kleine Spur hinterläßt, einen Schriftzug nur, den man so lesen sollte: Gemalt habe ich nicht aus Rache und Haß, sondern nur um ein einziges Ziel zu erreichen: Niemals sollen sie vergessen sein, unsere Toten, die Ermordeten, und auch nicht die Täter und ihre Taten. Niemals wieder darf so viel Leid, von Menschen verschuldet, über die Menschen kommen. Denn, wie Karl Stojka selbst sagt, auf Gottes Erde hat jeder ein Recht, hat jeder das gleiche Recht zu leben. Peter Gstettner sprach für den Verein „Mauthausen Aktiv Kdrnten/Koronka“; P. Gstettner ist Professor an der Universität Klagenfurt und initiierte auch die Karl Stojka-Ausstellung „Mein Name war Z:5742“ — Karl Stojka: Schreckensbilder der Erinnerung an den Holokaust, die vom 8-21. Mai 2001 in der Aula der Universität gezeigt wurde. (Die Ansprache wurde von der Redaktion ZW gekürzt.) Karl Stojka besuchte am Tag nach der Eröffnung das Ingeborg Bachmann Gymnasium und diskutierte dort einen Vormittag lang mit Schülerinnen und Schülern. Karl Stojka, geboren 1931, gehört der österreichischen Volksgruppe der Roma an. Er war elf Jahre alt, als er und seine Familie nach Auschwitz-Birkenau verschleppt wurden. Er mußte noch weitere Konzentrationslager (Flossenbürg, Buchenwald) und den „Todesmarsch“ überstehen, bis er endlich 1945 die Befreiung erlebte. Die meisten seiner Angehörigen fielen wie mehr als zwei Drittel der österreichischen Sinti und Roma dem Massenmorden der Nationalsozialisten zum Opfer. 1999 wurde Karl Stojka der Berufstitel „Professor“ verliehen. Seine Bilder wurden in Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Japan, Ungarn, den Niederlanden und USA gezeigt. „Mauthausen Aktiv Kärnten/Korotcka“ veranstaltete zudem am 9. Juni 2001 die 7. internationale Gedenkveranstaltung beim ehemaligen Loibl KZ Nord. Es sprachen Otto Wiesner (Potsdam/Berlin, Schriftsteller und Überlebender der KZ Esterwegen/Emslandlager, Sachsenhausen, Mauthausen/Gusen) und Gerard Sonnenschein (Graz, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde für Steiermark, Kärnten und Südburgenland). SchülerInnen des Oberstufenrealgymnasium Spittal/Drau boten ein selbstgestaltetes Programm mit der Uraufführung einer Komposition von Michael Erian. Haiders Osterweiterung Von unserem Czernowitzer Korrespondenten Kiirzlich wurden die an skurrilen Begebenheiten wahrlich nicht armen Annalen von Czernowitz durch ein Ereignis bereichert, von dem die Offentlichkeit — trotz vorziiglicher propagandistischer Verwertbarkeit! erst mit zweiwöchiger Verspätung unterrichtet wurde. Der in den letzten Jahren in zunehmendem Maße von westlichen Besuchern aufgespürten, aufgesuchten und nicht selten regelrecht heimgesuchten ehemaligen Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina wurde in den