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ersten Junitagen die Ehre eines hohen Besuches zuteil. Während sich normal- sterbliche Reisende erst mühsam den Weg in diese abgelegene, hinter den Ostkarpaten versteckte ukrainische Provinzhauptstadt bahnen müssen, jettete der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider mit angemessener Entourage in zwei Flugzeugen direkt nach Chernivtsi. Das ist freilich nur recht und billig: schlieBlich besteht seit 1992 eine Partnerschaft zwischen Kärnten und der Nordbukowina, die gepflegt werden will und schon Haiders Amtsvorgänger zu Besuchen in Czernowitz — nebenbei auch Partnerstadt von Klagenfurt — angeregt hat. Der Anlaß war ein gewichtiger: es galt, vom Land Kärnten mitorganisierte Konferenzen über Volksgruppenrechte, sowie Energie- und Umweltprobleme in der ‚Region Oberpruth’ durch allerhöchste Anwesenheit aufzuwerten. Diese beschränkte sich zwar bloß auf die paar Stunden vom Nachmittag des 7. bis zum Morgen des 8. Juni, zeigte aber sofort ihre segensreiche Wirkung: wie durch ein Wunder sprudelte aus den Wasserhähnen des Hotels, in dem die hohen Gäste logierten, heißes (!) Wasser. So manche verblüfften Hotelgäste mögen sich an diesem unerwarteten Luxus die Finger vebrüht haben. Daß der Landeshauptmann aus dem fernen, vor allem aber westlichen Partnerland kaum die Gelegenheit wahrnahm, das Wort zu ergreifen, hat freilich verwundert. Zum einen ist bekannt, daß Jörg Haider gerade zum Thema ‚Ethnopolitik’ aus eigener Überlegung und Erfahrung, also auch spontan und unvorbereitet eine ganze Menge an Substantiellem zu sagen hat. Zum anderen hätte es sehr wohl der Landessitte entsprochen, beim abendlichen Empfang im Hotel ein paar Worte, wenigstens aber einen Trinkspruch an die versammelten Honoratioren zu richten. Warum dieses plötzliche Schweigen, diese ungewohnte Zurückhaltung? War der Landeshauptmann gekränkt, weil prominente Czernowitzer(innen) die Einladung zum gemeinsamen Diner ausgeschlagen hatten? Oder sollte der Kurztrip nach Czernowitz für Jörg Haider vielleicht doch eher privaten Charakter gehabt haben? War es eine willkommene Gelegenheit, mit dem jungen Mann an seiner Seite, den er im kleinen Kreis (wohl scherzhaft) als seinen ‚Sohn Franz’ vorstellte, ein paar Stunden bei lieben und wohlgesinnten Menschen zu verbringen, unerreichbar für die heimische Journaille? Genoß es der Politiker, im Tischplattendrücken über seine ukrainischen Gegner siegen zu können, ohne gleich fürchten zu müssen, potentielle Wähler zu vergraulen? Sollten am Ende gar die Kosten für diesen Ausflug aus Herrn Haiders Privatschatulle beglichen worden sein? Oder wurden hinter den Kulissen gewichtige Projekte vereinbart, deren zukünftige Realisierung den ahnungslosen Bewohnern von Chernivtsi erst die tiefere Bedeutung von Haiders Stippvisite eröffnen wird? Wie dem auch sei, für Jörg Haider hat sich die Reise auf jeden Fall gelohnt: die Gunst der Stunde und die hiesigen Verhältnisse (aus)nützend, besuchte er die Räumlichkeiten der Czernowitzer jüdischen Gemeinde. Daß er dazu, wie in einer Aussendung seines Bureaus behauptet wird, von einem prominenten Vertreter der Gemeinde eingeladen worden sei, davon weiß hier freilich niemand etwas ... T.W., Chernivtsi, Juni 2001 „Landeshauptmann Haider stattete auch der Jüdischen Gemeinde auf Einladung von Prof. Josef Burg einen Besuch ab, ebenfalls auf dem Besuchsprogramm stand die Universität Czernowitz.“ (Pressemitteilung Büro Landeshauptmann H. Haider). — Anm. d. Red. Konstantin Kaiser / Doron Rabinovici „Österreich an sich“ ein kleiner Disput mit versöhnlichem Ausgang Lieber Doron Rabinovici, da ich mich seit vielen Jahren auf vielfältige Weise mit dem Nationalsozialismus, dem Widerstand in Österreich, mit der Frage der österreichischen Nation und dem Exil auseinandergesetzt habe, kann ich Deinen Aufsatz „Das österreichische Paradoxon“ im „Bulletin“ des Republikanischen Clubs Neues Österreich (Nr. 2, März 2001) nicht in allen Punkten unwidersprochen lassen. Zunächst die leidige Frage Nation und Nationalismus: Du sprichst von „antisemitischen, rassistischen und nationalistischen Prinzipien, die dem Greuel“ (der nazistischen Untaten) „zugrunde lagen“, was ganz plausibel und selbstverständlich klingt. Durch den äquivoken Gebrauch von Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus werden jedoch historische Differenzierungen verwischt. Ich will es mit Hannah Arendt sagen: ... im Vergleich zu dem Rassenwahn erwächst noch der absurdeste Chauvinismus aus dem Stolz auf eine zum mindesten ererbte Leistung, auf den gemeinsamen Bau einer gerade fiir das eigene Volk bestimmten Welt, fiir welchen das Land stets das höchste Symbol bleibt. („Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, Band 2, 120). Der Rassenwahn bezieht sich auf einen dunklen, mystischen, in sich grenzenlosen Zusammenhang des Blutes und entspricht damit dem nationalsozialistischen Drang nach ungezügelter Expansion, nach Weltherrschaft, während jeder Nationalismus noch auf eine begrenzte, erscheinende, gemeinsame Welt verweist. Der Nationalsozialismus hatte die Vernichtung des durch den Ersten Weltkrieg bereits zutiefst erschütterten europäischen Staatensystems auf seine Kriegsfahne geschrieben, und die „Bedeutung Österreichs im Rahmen des Nationalsozialismus“ sowie das Streben nach Wiederherstellung eines unabhängigen, demokratischen Österreich müssen in diesem Zusammenhang gewürdigt werden. Gerade in seinem Patriotismus war der österreichische Widerstand, ob im Lande selbst oder im Exil, ein Teil des internationalen antifaschistischen und antinationalsozialistischen Widerstandes in Europa und anderen großen Teilen der Welt. Der für die verschiedensten Widerstandsbewegungen durchaus charakteristische Patriotismus hat seine Ursache und Berechtigung in der Natur des faschistischen und nationalsozialistischen Angriffs auf das Lebensrecht ganzer Völker, auf die Existenzgrundlagen vieler Nationen. Die lange Friedensperiode in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beruht ja nicht so sehr auf dem „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen erstarrten, atomar bewaffneten Machtblöcken (eine verständliche Wunschphantasie vielleicht), sondern auf der Wiederherstellung eines einigermaßen stabilen europäischen Staatensystems, einer Errungenschaft der Niederwerfung des Nationalsozialismus. Auch die heutige Europäische Union beruht wesentlich auf diesem Staatensystem und nicht auf seiner Auflösung. Das annektierte Österreich war ein Teil Großdeutschlands, und seine menschlichen und natürlichen Ressourcen wurden in den Dienst des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges und des Massenmordes an Juden, ‚Zigeunern’, polnischen Intellektuellen und anderen gestellt. Daß sich ein großer Teil der Österreicher diesen neuen Herausforderungen mit Begeisterung stellte, die nationalsozialistischen Verbrechen billigte und an ihrer Ausführung durch eigene Tat, Beihilfe aller Art und menschenferne Gleichgültigkeit beteiligt war, ist unbestritten. Ich habe daraus meine Schlußfolgerungen gezogen und durch meine politisch-kulturelle, künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit vielleicht dazu beigetragen, daß sich auch andere Menschen der sich daraus ergebenden Probleme und Verantwortung bewußt geworden sind. Aber „daß Österreich Teil jener Volksgemeinschaft war, in deren Namen und zu deren Kollektivnutzen geraubt und gemordet wurde“, ist bloß eine überspitzte Behauptung, aus der sich keine neuen Schlußfolgerungen ziehen lassen. Denn „Volksgemeinschaft“ war und ist keine begrifflich faßbare soziale oder gesellschaftliche Realität, sondern eine Ideologie, die denen, die ihr anhängen, einen „Kollektivnutzen“ eben nur vorspiegelt (z.B. den umzusiedelnden Südtirolern statt der engen Alpentäler, der Obst- und Weingärten ihrer Heimat die weiten Kornfelder und Sümpfe Wolhyniens). Selbst in den krudesten Theoremen nationalsozialistischer Wortführer und ihrer deutsch-romantischen Vorläufer besteht eine Volksgemeinschaft nicht aus Staaten, vielmehr ist der Staat die „leibliche Gestalt der geistigen Volksgemeinschaft“ (Savigny), sind die Rechtsverhältnisse Ausdruck des „Volkswillens“. Im Großdeutschen Reich der Nationalsozialisten 77