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Aus diesem Lager in Gurs schrieben Josef und Marie Grunkin 32 Briefe und Karten an ihre Schwester, die sich in der Schweiz in relativer Sicherheit befand. Sie geben — soweit es die Zensur zuliess — Aufschluss über die schrecklichen Verhältnisse im Lager: „Mama und ich leiden sehr unter den jetzigen Verhältnissen, gleicht doch der Raum, in dem wir mit 49 Personen hausen müssen, eher einem Stall als einem Wohnraum für Menschen. Die Verhältnisse hier sind grauenhaft, Dir von diesen Zuständen zu erzählen würde weit führen und Du könntest Dir auch trotz Beschreibung von unserem Dasein keine Vorstellung machen.“ (Brief von Marie vom 19.11.1940). Das Elend der Deportierten blieb nicht verborgen, da viele alarmierende Briefe u.a. das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf erreichten, das Dr. Alec Cramer zur Abklärung der Zustände in den südfranzösischen Lagern entsandte. Sein Urteil fiel dezidiert negativ aus - als einzigen positiven Punkt vermerkte er die funktionierenden Duschen. Die Folge seines Berichts war eine Welle von Hilfsaktionen, die u.a. [hauptsächlich ?] vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und einzelnen jüdischen Gemeinden wie Kreuzlingen, Basel oder Bern sowie vielen Privaten getätigt wurden. So bestand die Möglichkeit, von der Schweiz aus Pakete nach Gurs zu senden. Ob und wie die Pakete aber bei den Adressaten ankamen, das war eine andere Frage und beschäftigte die Internierten in besonderem Masse: „Was die Zustellung von Sendungen an Lagerinsassen anbelangt, ist gar manches dunkel und unklar. [...] Ich will damit sagen für ev. kommende Sendungen, was man schicken darf und wie, dass auch alles in die Hände des Empfängers gelangt.“ (Brief von Josef vom 26.05.1941). Josef und Marie Grunkin sorgten sich besonders um ihre alte Mutter, für welche die Verhältnisse im Lager unerträglich waren. Sie baten ihre Schwester, nichts unversucht zu lassen, um die Einreisegenehmigung in die Schweiz zu erneuern. Nach mehreren Anläufen und nachdem Paul Schäublin eine Kaution von Fr. 2.000,- garantiert hatte, bewilligten die Schweizer Behörden am 22. März 1941 die Einreise von Fanny Grunkin. Doch sie konnte sich über ihre Rettung aus dem Lager nicht freuen. In der Schweiz war sie unglücklich. Sie lebte in verschiedenen möblierten Zimmern und wollte ihrer Tochter nicht zu Last fallen. Das Leben von Josef und Marie Grunkin gestaltete sich schwierig. Sie mussten sich weiterhin mit den lebensfeindlichen Umständen des Lagerlebens arrangieren. Immer wieder durchbricht die Sehnsucht und der Glaube, dass sich alles zum Guten wenden werde, den grauen Alltag. Am 29. April 1941 schreibt Josef voller Freude an seine Schwester: „S’Marilie hat einen Freund, der auch mein Freund ist. Ein netter, kräftiger Bengel, Metzger von Beruf, 22 J., Franz Wrobel aus Mannheim. Ich glaube, dass das etwas wird. Franz und ich werden versuchen, das Leben hier nach Möglichkeit zu erleichtern, bis auch unser Tag kommt.“ Doch ihr Tag wollte, trotz unermüdlichen Bemühungen, eine Einreise in die Schweiz zu erwirken, nicht kommen. Die Situation von Franz Grunkin und Franz Worbel änderte sich im August 1941. Auf Grund ihres guten Gesundheitszustandes wurden sie in eine Arbeitskompanie („Groupe de travailleurs etrangers“ [G.T.E.]) aufgenommen und führten Arbeiten ausserhalb des Lagers durch. Marie Grunkin war somit allein im Lager. Ein Umstand, der sie sehr bedrückte: „Es ist sehr traurig, wenn man keinen Menschen mehr hat, mit dem man sich aussprechen kann. [...] Oft gibt es Tage, die schwer, voller Kummer und Sorgen sind, aber zusammen mit seinen Lieben erträgt man alles viel leichter.“ (Brief von Marie Grunkin vom 9.7. 1942). Der französische Dichter Louis Aragon sagte über Gurs: „‚Gurs ist ein seltsamer Laut, wie ein in der Kehle steckengebliebenes Stöhnen.“ Als im Herbst 1942 die Vichy-Regierung Tausende der in den südfranzösischen Lagern an die Nazis auslieferte, wurden auch Josef und Marie Grunkin über Drancy nach Auschwitz deportiert. Ihre Stimme verstummte ... Zsolt Keller Lukrezia Seiler (Hg.): Was wird aus uns noch werden? Briefe der Lörracher Geschwister Grunkin aus dem Lager Gurs 1940-1942. Ziirich: Chronos 2000. 128 S., 46 Abb. OS 260,-/DM 32,-/SFr 32,80 Buchzugänge Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr (Hg.): Vom Leben und Überleben — Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung. Bd. 1: Dokumentation und Analyse. Bd. 2 unter Mitarbeit von Katrin Auer: Lebensgeschichten. Wien: Promedia 2001. 263 und 271 S. Jeweils öS 248,-/DM 34,-/SFr 31,50 (Edition Spuren). Othmar Andrée: Czernowitzer Spaziergänge. Annäherungen an die Bukowina. Köln: Rose Ausländer-Stiftung 2000. 175 S. DM 32,— Hannah Arendt: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitschrift „Aufbau“ 1941 — 1945. Hg. von Marie Luise Knott. München, Zürich: Piper 2000. 244 S. OS 291,-/DM 39,80/SFr 36,— Area of Tolerance. For peace and freedom of the arts — against racism and xenophobia. A project for the Austrian contribution to the 7th International Exhibition of Architecture. Venice Biennale 2000. Klagenfurt: Ritter Verlag 2000. 71S. Katalog der von Hans Hollein kuratierten Architekturausstellung im österreichischen Pavillon im September 2000. Das einst mit sprachlichem Ungeschick proponierte ,,Haus der Toleranz“ kehrt als ,,Ort der Toleranz“ wieder und wird nun in der fiir Architekten landläufigen Weise (kurze, doch bedeutungsschwangere Texte, „Jargon der Eigentlichkeit“, wie Th.W. Adorno dies nannte, verwirrende Darstellung, Vierfarbendruck auf edlem Papier mit vielen Fotos zufällig Anwesender und der Ausstellenden) präsentiert. Hermann Czech z.B. will am Wiener Heldenplatz einen Gitterkäfig errichtet wissen, den man als Ballspielplatz für die Jugend oder — postmoderne Doppelcodierung! — als Käfig für zu Deportierende ansehen kann. Bei dem aufwendig dokumentierten, von wenigen Auserwählten frequentierten Symposium sollte der Frage nachgegangen werden, „wie die Architekten und die Architektur in dieser Zeit aktiv Stellung nehmen können“ (H. Hollein). Vielleicht wäre eine Erinnerung an jene Architekten, die aus Österreich vertrieben und in der NS-Zeit verfolgt worden sind, angemessener gewesen. Vielleicht auch ein Fragen nach dem wirklichen demokratischen Engagement und geschichtlichem Bewußtsein österreichischer Architektur (diesseits geschwollener Selbstpräsentation). Eoin Bourke: The Austrian Anschluss in History an Literature. Galway (Irland): Arlen House 2000. 138 S. Günter Eisenhut, Peter Weibel (Hg.): Moderne in dunkler Zeit. Widerstand, Verfolgung und Exil steirischer Künstler 1933-1948. Graz: Verlag Droschl/Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum 2001. 600 S. ÖS 490,Die großartige Ausstellung wurde bis 15. August 2001 verlängert! German-speaking Exiles in Great Britain. Edited by Ian Wallace. Amsterdam, Atlanta: Editions Rodopi 1999. 260 S. und Anhang. Hfl. 90,-/USD 49,50 (The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies. 1) Das von J.M. Ritchie zunächst in Aberdeen initiierte Research Centre etablierte sich ab 1995 beim Institute for Germanic Studies der University of London und brachte bereits 1995, 1996 und 1998 beachtliche Publikationen in Sammelbänden heraus. Seit 1999 erscheinen die Publikationen dieser Forschergruppe (Charmian Brinson, Richard Dove, John Flood, Anthony Grenville, Marian Malet, J.M. Ritchie, Jennifer Taylor, I. Wallace) in Form eines Jahrbuches. Dadurch ist nun ein publizistisches Forum geschaffen, an dem die neuen Ergebnisse der immer noch sehr jungen britischen Exilforschung aufsuchbar sind. Mit Beiträgen von A. Grenville über die Nachkriegssituation der jüdischen Exilierten in Großbritannien, Dorothea McEwan über das berühmte Warburg Institute, J. Taylor über Bruno Adlers und Robert Lucas’ BBC-Arbeit, J.M. Ritchie über den Newsletter der Thomas Mann Association, Jörg Thunecke über 85