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schrieb er natürlich im „Kaffeehaus-Ersatz“. Jedes Lokal konnte zum Kaffeehaus werden, in Washington Heights, später in der „Kleinen Konditorei“ in Yorkville, wohin er allabendlich ging, um — wie er es nannte — zu meditieren. Geräusche störten ihn nicht. Allerdings, wenn er im Geschäft schrieb und ein Kunde die Tür öffnete, zischte er kurz „G’sindel“, ehe er den „Störer‘ mit freundlichster Miene begrüßte. In all den Jahren der Emigration hat Fritz seine Wiener Dichterfreunde vermißt. Niemand in New York konnte ihm Rudolf Felmayer oder Ernst Schönwiese ersetzen. Ein kleiner Trost waren die leider nur gelegentlichen Besuche des fast eine Generation älteren Ernst Waldinger, der dann stundenlang bei ihm im Laden saß. Weniger eng war die Freundschaft mit Alfred Werner, die viele Jahre bis zu dessen relativ frihem Tod bestand. Auch Alfred Farau möchte ich bei dieser Gelegenheit erwähnen. Zurück zum Ausgangspunkt: Von 1939 bis 1942 waren Fritz und ich ,,boyfriend and girlfriend“. Abend fiir Abend trafen wir uns, gingen in dem damals noch ungefihrlichen Riverside Park spazieren und tranken unseren Mocca in einem der PseudoKaffeehäuser „Le Petit Paris‘. Ich weiß nicht, ob wir je von der Möglichkeit einer Ehe sprachen. Obwohl wir längst ein „Paar“ waren, wohnte Fritz bei seinen und ich bei meinen Eltern. Im Spätwinter 1941 brach Fritz plötzlich unsere Beziehung ab — vielleicht aus Angst vor einer Bindung oder einer Enttäuschung. Es war für mich sehr schmerzhaft. Im Herbst rief mich Fritz in der Arbeit an, bat um ein Treffen, und im Januar 1942 heirateten wir. 39 Jahre dauerte diese Ehe. Unsere erste Wohnung, in der wir über 20 Jahre lebten, war klein und eher primitiv, aber mit Aussicht auf den Fort Tryon Park. Weit von unseren Arbeitsstätten entfernt, doch gemütlich. Wegen seiner zitternden Hände war Fritz vom Kriegsdienst befreit; wohl fühlte er sich deswegen schuldbewußt. So war er damals im Freundeskreis der einzige Mann. Wie viele andere wurde auch sein Bruder Soldat, erst in Frankreich und Deutschland, dann auf den Philippinen. In dieser Zeit entstanden viele Gedichte, in denen sich Bergammer mit dem Problem einer neuen „Heimat“ auseinandersetzte. Auch Erinnerungen an die Hitlerjahre formten sich zu Gedichten, so der balladenartige „Einzige Österreicher“ (Von Mensch zu Mensch, S. 28). In einem Band von schlecht ins Englische übersetzten Gedichten, War Poems ofthe United Nations, finden sich unter dem Namen Fritz Glueckselig (Pseudonyme waren während des Krieges untersagt) drei seiner Gedichte. Hie und da erschienen Gedichte auch in Zeitungen und Zeitschriften. In Freiheit für Österreich steht 1943 das Gedicht „Die Zeit wird kommen“ (Von Mensch zu Mensch, S. 38). Fritz litt sehr darunter, daß er sonst keine Möglichkeiten zu veröffentlichen hatte. Als später die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt wurden, wollten die Amerikaner und viele der Emigranten sie nicht wahrhaben. Die Zeitschrift Aufbau wurde „Aufbausch‘ genannt. Aber die Zeit unserer scheinbaren Leichtigkeit war vorüber. Auch der Verlauf des Krieges ließ nicht immer auf den Sieg der Alliierten schließen. Kurz nach dem Krieg entstand wohl das Gedicht von der zerstörten Kirchturmuhr, „Kriegsballade“ (Von Mensch zu Mensch, S. 41). Als die Bomber die Stadt verließen in der Dämmerstunde vor Tag, hörten die Kauernden auf den Fliesen aus dem geborstenen Kirchturmriesen ertönen vom Dachstuhl Glockenschlag. Sie sahen, mit Rädern, Stangen und Sägen, ein Uhrwerk ohne ein Ziffernblatt die Zeigerhände langsam bewegen vor keinen Stundenzeichen, im schrägen Winkel über der lodernden Stadt. Zu seiner größten Freude erfuhr Fritz, daß seine besten Freunde in Österreich den Krieg überlebt hatten. Ein Wiedersehen war zwar noch Zukunftstraum, aber nun im Bereich des Möglichen. Auch Fritz’ Bruder, der gesund aus dem Krieg heimgekehrt war, erhielt die gute Nachricht, daß seine polnische Braut am Leben war. Zu Neujahr 1947 kam Ita nach New York, und die jungen Leute heirateten einige Tage später. Ich fühlte mich damals schon als eingesessene Amerikanerin. Fritz selbst hat sich nie als Amerikaner gefühlt, obwohl er stets dankbar war, daß das Land ihn als Bürger aufgenommen hatte. Die Aufregungen der Nazi-Zeit waren vorüber, aber es kamen die Zeiten der Krankheiten der Eltern. Fritz’ Mutter war Jahrelang leidend. Die Schwiegereltern waren religiöse, jedoch keine engstirnigen Menschen. Der Schwiegervater hat seine Frau nur um wenige Jahre überlebt. Er starb unerwartet im Sommer 1952 während eines Ferienaufenthaltes. Fritz war nun der alleinige Inhaber. Aus dem schönen Geschäftslokal in der 57. Straße mußte er ausziehen, da das Haus abgerissen wurde. Als Pionier der Kunsthändler zog Fritz weiter nördlich in die Madison Avenue, in einen Laden, den er bis zwei Jahre vor seinem Tod behielt. Oft stundenlang allein im Geschäft zu sein, auf Kunden wartend, die nicht kamen, war für Fritz fast unerträglich. Jeden Spätnachmittag kam ich nach meiner Arbeit zu ihm, die Büroarbeiten zu erledigen. Am Samstag war ich ganztägig bei Fritz. In diesen Jahren versammelte Fritz einen ganzen Kreis von „Jüngern“ um sich, die stundenlang bei ihm saßen und von ihm lernten... In jedem Jahr waren die Sommerferien der Höhepunkt. Einige Urlaube verbrachten wir in Lake Placid. Ab 1956 waren wir aber regelmäßige Besucher einer kleinen Insel, die dem Staate Maine vorgelagert ist. Dort, in Monheagan, fühlte sich Fritz „zuhause“. Hier entstanden viele der Gedichte, die in den 1959 und 1971 im Bergland Verlag erschienenen Banden Die Fahrt der Blätter und Flügelschläge veröffentlicht sind: Meer, Wellen, Felsen und Vögel, die Prosabeschreibung eines toten Hais... 1959 ging uns der langersehnte Wunsch eines Wiedersehen mit Europa und Österreich in Erfüllung. In Wien nahm uns Rudolf Felmayer in Empfang. Dieser erste Besuch in Wien war für Fritz von einer Wichtigkeit, die ich als Nicht-Wienerin schwer beschreiben kann. Euphorie, trunkene Freude wechselte mit Trauer über die verlorene und nicht ganz wiedergefundene Heimat. Das Gedicht „Befremden“, das neunte aus dem Zyklus „Von einer Reise nach Wien“ (Flügelschläge, S. 41), ist ein Echo seiner Gemütsverfassung. [...] An dem Stephansdom gehst du nicht leicht voriiber. Er steht dir gegeniiber und in das kleine Espresso trittst du, ein Fremder, ein. Ein Fremder aus Wien in Wien, ein Du, das ich selber bin.