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Testament. Nichtsdestotrotz gab es bei ihm so etwas wie eine Nostalgie für eine Art Judentum, die nicht die seinige war. Ich mache auf die „Dudele“- Gedichte aufmerksam (Von Mensch zu Mensch, S. 46, 49). „Die Juden haben eine Tendenz, den Verstand zu überschätzen, oft auf Kosten wertvollerer Anlagen“, heißt es aphoristisch in der Kramschachtel (S. 49). Judentum war für Fritz eine „Leidgemeinschaft“. In all den Jahren unserer Ehe war Fritz immer kerngesund. Einmal hatte er allerdings starke Schwindelerscheinungen. Zur Sicherheit ging er ins Spital, wo er auf Herzinfarkt oder Schlaganfall untersucht wurde. Alle Tests verliefen negativ, das Fieber blieb. Durch Zufall entdeckte ich, daß sein Bein feuerrot geschwollen war: Rotlauf. Richtig behandelt, wurde er in einigen Tagen wieder gesund. Auch in diesem Sommer fuhren wir wieder nach Stuben, aber ich hatte das Gefühl, daß Fritz nicht mehr so widerstandsfähig wie früher war. Endlose Schwierigkeiten mit dem Vermieter seines Geschäftslokals rieben ihn auf. In diese Jahre fiel auch der Tod einiger Freunde. Fast gleichzeitig starben Ernst Waldinger und Rudolf Felmayer. Einige Jahre später starb Alfred Werner. Oskar Maria Graf war seinem langen Leiden erlegen. Fritz hatte immer bedauert, daß er mit so wenigen Menschen in New York wirklich von Dichter zu Dichter sprechen konnte. Aber in den sechziger Jahren schloß Fritz eine für ihn überaus wichtige Freundschaft mit der Kölner Dichterin Margot Scharpenberg-Wellmann. Gertrude, die Witwe des böhmischen Schriftstellers Johannes Urzidil, gehörte nun zu seinem Freundeskreis, sowie Hans Sahl, der, obwohl bedeutend älter, ihn um fast zwölf Jahre überlebte. Bei der Erwähnung von Bergammers literarischen Freunden darf ich Mimi Grossberg nicht vergessen, die sich rührig um die Veröffentlichung seiner Lyrik bemühte. Briefe hat Fritz sehr wenige geschrieben; hie und da ein paar Zeilen an Schönwiese, an Jean Amery, an Jeannie Ebner. Er korrespondierte auch mit Ursula Seeber, die damals eine Arbeit über das Silberboot (die von Ernst Schönwiese herausgegebene Zeitschrift) schrieb. Er hatte wohl eine Scheu, seine Gefühle brieflich auszudrücken. Die durch das Zittern der Hände hervorgerufene Schwierigkeit, mit der Hand zu schreiben, war eher eine Ausrede. Eine wichtige menschliche Beziehung darf nicht unerwähnt bleiben. Fritz hatte als junger Mann in Wien eine tiefe Freundschaft mit einer ungarischen Medizinstudentin, die er seit Kindertagen kannte. Es kam zum Bruch, und Ella (Gabriele H.) ging nach Ungarn, wo sie einen Arzt heiratete. Ganz war Fritz nie über diese Beziehung hinweggekommen. Das „Gespenst“ Ella lebte in all den Jahren unserer Ehe mit uns. In den siebziger Jahren kam Ella zu Besuch nach New York, und aus dem Phantom „Ella“ wurde Wirklichkeit. Heute eine robuste Ärztin in Budapest, hatte sie als einzige ihrer Familie den Krieg überlebt. Ihr Mann und ihre zwei Kinder kamen um. Ella wurde nun eine Freundin von uns beiden. 1980 mußte Fritz sich nach einer neuen Arbeitsstätte umsehen. Der Zins für ein Straßengeschäft auf der Madison Avenue war nicht mehr erschwinglich. Notgedrungen mietete Fritz sehr schöne Räume in einem Etagengeschäft, wiederum in der Madison Avenue. Der Umzug ging glatt vonstatten. Im Herbst 1980 erlitt Fritz einen Herzinfarkt. Im folgenden Sommer fuhren wir für zwei Wochen ins nahe Gebirge, in die Catskills. Zu Fritz’ Erstaunen und vielleicht auch Bestürzung wohnten wir in einem Nebenhaus des Hotels „Edelweiß“. Das war der Name der Pension am Semmering, in der Fritz’ große Liebe zu Ella begonnen hatte. Zurückgekehrt nach New York und scheinbar gut erholt, erlebte Fritz zu seiner großen Freude das Erscheinen des Bandes Momentaufnahmen (mit einem sehr schönen Nachwort von Werner Kraft). Anfang Oktober hatte Fritz Gleichgewichtsstörungen, schlimmer als Jahre zuvor. Auf ärztlichen Rat ging er Sonntagnacht ins Spital, wo ein leichter Schlaganfall diagnostiziert wurde. Am folgenden Tag fieberte er; eine Lungenentzündung wurde festgestellt. Der Körper reagierte nicht mehr auf Antibiotika. Am Donnerstagabend halluzinierte er, am Freitagmorgen war er fieberfrei und telefonierte mit mir. Als ich zwei Stunden später ins Spital kam, war er tot. Sein Herz hatte versagt. Seine Asche wurde am Ferncliff Cemetery beigesetzt. Gabriel(l)e Glueckselig, geborene Nette, geb. 1914 in Wiesbaden (Deutschland), vom Beruf Schmuckzeichnerin, flüchtete 1938 in die USA, heiratete 1942 Fritz Glueckselig und lebt in New York. Friedrich Bergammer (Pseudonym für Fritz Glueckselig (1909 Wien — 1981 New York), Schriftsteller und reichischen Exils. Von ihm wurden u.a. veröffentlicht: Von Mensch zu Mensch (Gedichte; Wien, Basel 1955); Die Fahrt der Blätter (Gedichte, Wien 1959); Flügelschläge (Dichtungen, Wien 1971); Momentaufnahmen (Gedichte, Wien 1981); Die vorletzte Stummheit (Gedichte, Baden bei Wien 1984); Die Kramschachtel (Aphoristische Prosa, Eisenstadt 1991). — Der Beitrag mußte leider gekürzt werden. Friedrich Punt ist ein nahezu unbekannter Tiroler Lyriker, der in den fünfziger und sechziger Jahren mit drei schmalen Gedichtbändchen an die Öffentlichkeit trat. Die farbigen, mitunter leisen, schnörkellosen Sprachbilder dieser Gedichtbände weisen ihn in erster Linie als Landschafts- und Naturlyriker aus. Man würde hinter dem Verfasser dieser Gedichte wohl kaum einen politischen Dichter vermuten, wie er in seinen 1941-1943 entstandenen NS-Widerstandsgedichten zum Vorschein kommt. Diese politischen Texte befinden sich zusammen mit anderen unveröffentlichten Sammlungen in seinem Nachlaß. Eine Veröffentlichung hat Punt nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in Erwägung gezogen. Die Thematik ließ ihn nicht los, noch in den 1960er Jahren verwies er in Briefen auf diese unveröffentlichte Sammlung aus der NS