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Heidegger und der NS-Staat Aber die Intellektuellen ließe ich alle aufhängen, und die Professoren einen Meter höher als die andern; sie müßten an den Laternen hängen bleiben, solange es sich irgend mit der Hygiene vertrüge. Tagebucheintragung von Victor Klemperer, 16. August 1936' Während Heideggers Rektorat an der Freiburger Universität wurden alle Dozenten und Professoren jüdischer Herkunft in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und u.a. eine Pflichtvorlesung für alle Studierenden über „Rassenkunde“ eingeführt. In seinen eigenen Vorlesungen und Schriften dieser Jahre enthält sich Heidegger so gut wie jeder antisemitischen und unmittelbar rassistischen Bemerkung über alle jene, die nun als „Nichtarier“ offen und von Staats wegen ausgegrenzt und verfolgt wurden. Es ist eine eigenartige Paradoxie: einerseits findet sich bei Heidegger kaum eine einzige offen antisemitische Äußerung — und doch bezeichnet er sich selbst (gegenüber Hannah Arendt) als „Antisemit‘.” Heidegger streicht sozusagen die Fußnoten des deutschen Idealismus: er sieht von der Personifizierung des Real-Abstrakten, wie es der Antisemitismus besorgte, vollkommen ab; sie bleibt die Leerstelle einer Philosophie, die ganz erfüllt ist von der Konstruktion des Volkes: „von der wissenden Entscheidung, durch die das Volk zu sich selbst drängt. (...) Dieses Wissen ist der Staat selbst.‘“ Was die kritischen Thesen, die der antifaschistische Theoretiker Heinz Langerhans 1934 in Untersuchungshaft zu Papier brachte, als allseitige Vorbereitung der Vernichtung durchschauten: die Einfügung des Kapitalteils Lohnarbeit ins Staatssubjekt Kapital‘, bringt der faschistische Professor Martin Heidegger etwa zur selben Zeit im universitären Festsaal auf die Formel: „Der nationalsozialistische Staat ist der Arbeiterstaat.‘” Denn es gebe „nur einen einzigen deutschen ‚Lebensstand‘. Das ist der in den tragenden Grund des Volkes gewurzelte und in den geschichtlichen Willen des Staates frei gefügte Arbeitsstand, dessen Prägung in der Bewegung der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei vorgeformt wird.‘“ Der „zur Arbeit gekommene Volksgenosse“ soll erfahren, „daß er nicht weggeworfen und im Stiche gelassen ist, daß er in die Volksordnung hineingehört und daß jeder Dienst und jede Leistung je ihren eigenen durch andere Leistungen und Dienste vertretbaren Wert besitzt (...) Arbeit ist uns der Titel für jedes Tun und Handeln, das von der Verantwortung des einzelnen, der Gruppe und des Staates getragen wird und so dem Volke dienstbar ist.‘” In diesem Sinn gilt für jede Arbeit, sei’s in der Fabrik oder an der Universität: sie ist gleich unmittelbar zum Staat: „Wir können nicht mehr von einem Verhältnis zum Staat sprechen, weil die Universität selbst Staat geworden (...).‘“ Damit macht Heidegger auch die praktischen Konsequenzen aus der Einfügung des Kapitalteils Lohnarbeit ins Staatssubjekt Kapital deutlich: Arbeit resultiert in Vernichtung, es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Arbeit und Zerstörung, Massenpro14 duktion und Massenmord. Die dem Volk dienstbare Arbeit resultiert in dem Willen zur Vernichtung. Und im Sinne dieses Willens schließt Heidegger mit dem Wunsch, „daß das deutsche Volk als Volk der Arbeit seine gewachsene Einheit, seine einfache Würde und seine echte Kraft wiederfinde und als Arbeiterstaat sich Dauer und Größe verschaffe. Dem Mann dieses unerhörten Willens, unserem Führer Adolf Hitler ein dreifaches ‚Sieg Heil! ““° Heidegger ist insofern der „Hitler des Denkens“ (Martin Buber), als bei ihm die signifikanten Wendungen des Gedankengangs leisten, was bei Hitler durch antisemitische Personifizierung möglich wird. Damit hängt aber auch das Scheitern seiner Karriere im Nationalsozialismus zusammen: seine Sprache galt als unverständlich und zu preziös. Sie blieb im wesentlichen auf der Ebene von Sein und Zeit: anstelle von ‚Verjudung‘ und ‚jüdischer Verschwörung’ spricht Heidegger vom Andrang des „Dämonischen“ und von der „bodenlosen Organisation des Normalmenschen“ in Rußland und Amerika, die das deutsche Volk in die Zange nehme’; anstelle von Rasse und Vernichtung, von Volk und Geist, Staat und Tod. Statt zu sagen: „Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden“'' — heißt es bei ihm in umständlichen Windungen: „Das in seinen Staat sich hineingestaltende Volk wächst hinaus zu seiner Nation. Und diese Nation übernimmt das Schicksal ihres Volkes. Und solches Volk erringt sich einen geistigen Auftrag inmitten der Völker und schafft sich seine Geschichte. Dieses Geschehen aber langt weit hinaus in das schwere Werden einer dunklen Zukunft.” Die Windungen seiner Sprache resultieren daraus, daß Heidegger das ideologische Zentrum des nationalsozialistischen Staats — rassistische und antisemitische Projektion — ausspart, und ihn zugleich in toto — also mit seinem Zentrum — bejaht. Zu dieser eigenartigen Konstellation gehört nicht zuletzt Heideggers notorische Humorlosigkeit, denn was deutscher Humor ist, kommt ohne antisemitische Karikatur nicht aus, in deren konkreter Gestalt alles negativ empfundene Abstrakte abgespalten wird. Daß aber die Philosophie Heideggers im Kern völkisch, rassistisch und antisemitisch ist, obwohl sie das Feindbild dieser Projektionen — das Gegen-Volk — nicht beim Namen nennt und auf deutschen Humor verzichtet, wird nicht allein durch das praktische Engagement des Philosophen für den Nationalsozialismus bestätigt, sondern unmittelbar an der Art und Weise deutlich, wie er nun das eigentliche Volk selbst konkretisiert, von dem in Sein und Zeit nur ganz abstrakt die Rede war. Mit einem Schlag wird sichtbar, was Heidegger unter dessen „geistiger Welt“ abhandelt: nichts anderes als eine vornehme Rassenkunde, eine, die sich einfach nur scheut, das Wort Rasse in den Mund zu nehmen: „die geistige Welt eines Volkes ist nicht der Überbau einer Kultur, sowenig wie das Zeughaus für verwendbare Kenntnisse und Werte, sondern sie ist die Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd- und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung seines Daseins.“