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Bestimmung schafft und seine Überlieferung schöpferisch begreift. All das schließt in sich, daß dieses Volk als geschichtliches sich selbst und damit die Geschichte des Abendlandes aus der Mitte ihres künftigen Geschehens hinausstellt in den ursprünglichen Bereich der Mächte des Seins.‘” Diese Ontologie des Vernichtungskriegs verstärkte sich in den letzten Jahren des Dritten Reichs — je aussichtsloser die Situation für den Staat wurde, desto größer die Hoffnung auf die Mächte des Seins: so wurde Heidegger zum Durchhaltephilosophen par excellence. „Wir wissen heute, daß die angelsächsische Welt des Amerikanismus entschlossen ist, Europa, und d.h. die Heimat, und d.h. den Anfang des Abendländischen, zu vernichten. (...) Was immer und wie immer das äußere Geschick des Abendlandes gefügt werden mag, die größte und eigentliche Prüfung der Deutschen steht noch bevor, jene Prüfung, in der sie vielleicht von den Nichtwissenden gegen deren Willen geprüft werden, ob sie, die Deutschen, im Einvernehmen sind mit der Wahrheit des Seyns, ob sie über die Bereitschaft zum Tode hinaus stark genug sind, gegen die Kleingeisterei der modernen Welt das Anfängliche in seine unscheinbare Zier zu retten (...) Das Wesen des Menschen ist aus den Fugen. Nur von den Deutschen kann, gesetzt, daß sie ‚das Deutsche‘ finden und wahren, die weltgeschichtliche Besinnung kommen. Das ist nicht Anmaßung, wohl aber ist es das Wissen von der Notwendigkeit des Austrages einer anfänglichen Not.“ „Immer das Selbe“ Im Dezember 1944 — auf der Flucht aus dem zerbombten und von den Alliierten ‚bedrohten‘ Freiburg — schrieb Martin Heidegger ins Gästebuch eines Freundes: „Anderes denn ein Verenden ist das Untergehen. Jeder Untergang bleibt geborgen in den Aufgang.‘“” So bleibt er Hitler treu bis zuletzt — und doch befindet sich sein Denken schon wieder im Vorlauf. Es ist nicht nur die diskrete Philosophie des Nationalsozialismus, sondern ebenso die aparte des Postfaschismus; Heidegger ist nicht allein der Hitler, sondern ebenso der Adenauer und Kohl des Denkens. Er ist der ideelle Gesamtdeutsche des 20. Jahrhunderts. Diese Doppeldeutigkeit seiner Philosophie bezeichnete Heidegger selbst als „‚Kehre“. In dem Aufsatz über „Nietzsches Wort ‚Gott ist tot‘“ von 1943 sind nun wirklich bereits die Weichen für die Nachkriegsphilosophie gestellt. Während er zur selben Zeit in den Heraklit-Vorlesungen noch auf den Endsieg hoffte — darauf, daß die Deutschen im Einvernehmen mit der Wahrheit des Seins seien -, heißt es hier, wo Nietzsche als eine Art Chiffre für Hitler fungiert, „jeder Weg zur Erfahrung des Seins“ sei „ausgelöscht“: „Mit dem Sein ist es nichts.‘“® Das ist die Enttäuschung über die sich abzeichnende Niederlage Deutschlands. Aber Heidegger weiß daraus eben Nutzen zu ziehen: Dem nationalsozialistischen Deutschland wird es plötzlich als Verdienst angerechnet, das Zeitalter der Subjektivität, des Nihilismus vollendet und damit dessen Überwindung, die Überwindung der Seinsvergessenheit, als Möglichkeit gerettet zu haben. Hier sieht Heidegger nun auf einmal die Bedeutung Nietzsches und wie sich aus seinen aktuellen Anspielungen erkennen läßt: Hitlers. Deren Umwertung der Werte, deren theoretischer und praktischer Nihilismus verharre selbst noch innerhalb der Metaphysik, und demonstriere, daß in ihr die Wahrheit des Seins ausbleibe. Gerade darin aber könnte — in der nachträglichen Legitimation des 16 Vernichtungskriegs — das Einvernehmen mit der Wahrheit des Seins bestehen: sichtbar gemacht zu haben, daß sie ausbleibe. Indem der bereits postfaschistische Philosoph statt auf sichtbare Werte auf das verborgene Sein sich bezieht, statt der Werte des Gebrauchs und der Moral (des Humanismus!) also den Wert — das Jenseits des Gebrauchs und der Moral (des Humanismus) — beschwört, ist er der deutschen Gesellschaft abermals ein Stück voraus. „Das Wesen des Nihilismus beruht in der Geschichte, der gemäß es im Erscheinen des Seienden als solchen im Ganzen mit dem Sein selbst und seiner Wahrheit nichts ist, so zwar, daß die Wahrheit des Seienden als solchen für das Sein gilt, weil die Wahrheit des Seins ausbleibt. (...) Das Sein kommt nicht an das Licht seines eigenen Wesens. Im Erscheinen des Seienden als solchen bleibt das Sein selbst aus. Die Wahrheit des Seins entfällt. Sie bleibt vergessen.‘*! Wenn die Wahrheit des Seins ausbleibt, so heißt es nicht, daß es sie nicht gibt, ganz im Gegenteil - aber die Subjektivität rückt in ein anderes Verhältnis zu ihr: „Mit dem Beginn des Kampfes um die Erdherrschaft treibt das Zeitalter der Subjektivität in seine Vollendung. Zu ihr gehört, daß das Seiende, das im Sinne des Willens zur Macht ist, seiner eigenen Wahrheit über sich selbst nach seiner Weise in jeder Hinsicht gewiß und deshalb auch bewußt wird.“ Damit „entzieht“ sich aber das Sein selbst „in seine Wahrheit. Es birgt sich in diese und verbirgt sich selbst in solchem Bergen.‘ Aus dem Vernichtungskrieg geht ein Dasein hervor, das sich des Stellenwerts gegenüber dem Sein vollkommen bewußt werden kann: der Mensch ist nur mehr dazu ausersehen zu hüten, was er nach wie vor weder begreifen noch kritisieren kann, er ist „Hirte des Seins‘ — so lautet Heideggers Versuch, das Endspiel zu ontologisieren, so übersetzt er den Beckettschen Satz „Something is taking its course“ ins Deutsche. Die Götterdämmerung mündet in ein Hirtenspiel, damit der Vernichtung weiterhin Sinn zuteil werden kann. Es gibt keinen Bruch in Heideggers Entwicklung, sondern einen ständigen Integrationsprozeß: jede Erfahrung, die der Philosoph machen könnte, wird sofort dem ontologischen Wahngebilde integriert und bedingt eine Art Verschiebung in der Konstellation von Dasein, Seiendem und Sein. Vor allem aber macht sich nun bezahlt, daß Heidegger sein Abstraktionsniveau nie verlassen und auf die Personifizierung des real Abstrakten im Judentum so gut wie verzichtet hat. So kann er seine Vorstellungen von Amerika und Rußland weitgehend unbeschadet und nahezu unzensiert in die Nachkriegszeit retten. Im Briefwechsel mit Herbert Marcuse ist es ihm ein Leichtes, das Schicksal der Juden vor 1945 einfach mit dem der Ostdeuschen nach 1945 gleichzusetzen und auszutauschen. Heidegger hat damit das Geheimnis der Totalitarismustheorie begriffen, ohne sie (wie von seiner Schülerin Hannah Arendt gedacht) gegen das nationalsozialistische Deutschland wenden zu müssen: „Zu den schweren berechtigten Vorwürfen, die Sie aussprechen ‚über ein Regime, das Millionen von Juden umgebracht hat, das den Terror zum Normalzustand gemacht hat und alles, was ja wirklich mit dem Begriff Geist und Freiheit u. Wahrheit verbunden war, in sein Gegenteil verkehrt hat‘, kann ich nur hinzufügen, daß statt ‚Juden‘ ‚Ostdeutsche‘ zu stehen hat und dann genauso gilt für einen der Alliierten, mit dem Unterschied, daß alles, was seit 1945 geschieht, der Weltöffentlichkeit bekannt ist, während der blutige Terror der Nazis vor dem deutschen Volk tatsächlich geheimgehalten worden ist.“ Was nun als deutsches Volk verstanden wird, ist förmlich dadurch bestimmt, gleichermaßen Opfer der Nazis wie Opfer