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der Alliierten zu sein. Heidegger ist zweifellos der geeignete Mann, die Deutschen auf diese Weise zu exkulpieren, hat er doch immer schon die deutsche Volksgemeinschaft, der jedes Opfer zu bringen sei, beschworen und ebenso hartnäckig über jene geschwiegen, deren Vernichtung die Voraussetzung von Volksgemeinschaft ist. Georg Lukäcs spricht in diesem Sinn von einem „ontologischen Inkognito“: wenn Heidegger sage, daß „die jungen Deutschen, die von Hölderlin wußten, angesichts des Todes anderes gedacht und gelebt als das, was die Öffentlichkeit als deutsche Meinung ausgab“, so verschweige er diskret, „daß diese Jünglinge unter Hitler nicht nur in einer ‚Situation angesichts des Todes‘ waren, sondern sich höchst aktiv an Mord und Folterung, an Raub und Vergewaltigung beteiligt haben.“ Heidegger halte es offenbar „für überflüssig, dies zu erwähnen; denn das Inkognito deckt ja alles zu: wer kann wissen, was so ein von Hölderlin berauschter Schüler Heideggers ‚gedacht und gelebt‘ hat, als er Frauen und Kinder in die Gaskammern von Auschwitz stieß? Niemand kann es wissen, was Heidegger selbst ‚gedacht und gelebt‘ hat, als er die Freiburger Studenten zur Abstimmung für Hitler führte.‘“* Hannah Arendt meint, daß Heideggers Wendung vom Macht-Willen zu „neuer Gelassenheit“ und „paradoxem ‚Willen zum Nichtwollen‘“, von der Entschlossenheit des Daseins zur „Heiterkeit des ‚Seinlassens““, stimmungsmäßig „die Niederlage Deutschlands“ ausdrücke.” Sie selbst aber konnte diese Kehre nicht akzeptieren, da sie doch in der Demokratisierung von Sein und Zeit, in der Umstellung des Seins zum Tode auf das „Herstellen“ und „Handeln“ für die Demokratie, den Sinn ihrer Philosophie erblickte.’ So mußte Hannah Arendt, als sie die späten Werke Heideggers las, von dem schockiert sein, was zur selben Zeit Michel Foucault und Jacques Derrida an Heidegger zu faszinieren begann: daß der Mensch eben lediglich als eine Funktion des Seins zu begreifen wäre. Alle ihre Werke seit Vita activa können als Gegenentwurf zu dieser Spätphilosophie Heideggers und damit auch zum französischen (Post)Strukturalismus gelesen werden.” Und es klingt fast schon wie eine Provokation, wenn Heidegger ihr die Suggestivfrage stellt: „Durch welche Höllen muß der Mensch noch hindurch, bis er erfährt, daß er nicht sich selbst macht?‘“* Bei den Briefen allerdings, die Heidegger unmittelbar nach der Niederlage Deutschlands an Arendt schrieb, kann von Gelassenheit durchwegs keine Rede sein. 1950 heißt es: „die wachsende Bedrohung durch die Sowjets“ zwinge „uns jetzt (...) heller zu sehen, heller auch als jetzt der Westen sieht. Denn jetzt sind wir die unmittelbar Bedrohten. (...) Ich mache mir auch darüber nichts vor, daß ich mit meinem Denken zu den Bedrohtesten gehöre, die zuerst ausgelöscht werden (...) es kann auch geschehen, daß auf lange Zeit hinaus kein Weitergeben des Großen und kein Wiederbringen des Wesenhaften mehr möglich ist.‘“ In späteren Briefen aus den sechziger und siebziger Jahren tritt diese unmittelbare Bedrohung durch die Sowjetunion zurück und unter dem alten Begriff der Seinsvergessenheit (“die sich heute bis ins Äußerste steigert“) werden nun die Bedrohungen durch das ,,Informationszeitalter“ mobilisiert — „die Macht des Wesens der Technik“. Inmitten des Wirtschaftswunders und an dessen Ende triumphierend bleibt Heidegger damit bei seiner Sache: die Krise deutsch denkend. Ja sein Denken ist nach wie vor im Kern faschistisch: denn wenn Heidegger gegen die Technik im Namen des Seins auftritt, dann denkt er den Wert — aber gegen das Wertgesetz, so wie der NS-Staat das Kapital zu seiner Sache machte, indem er der unmittelbaren kapitalistischen Rationalität zuwider handelte. Wie ehedem betreibt Heidegger die Ontologisierung der Krise als „ontologische Differenz‘ — als Unterscheidung von Sein und Seiendem: „Die Seinsvergessenheit ist die Vergessenheit des Unterschiedes des Seins zum Seienden.“*! Das deutsche Denken bewältigt die von ihm selbst ontologisierte Krise, indem es auf einem Sein ohne das Seiende besteht — also auf dem Nichts, auf dem Tod.” Wie es bei Heidegger aber kein Seiendes ohne das Sein gibt, so auch keine Affirmation ohne Selbstmitleid — die Klage iiber die ,,Wirrnisse des Weltalters“, denen der deutsche Denker nach 1945 sich ausgesetzt sieht. Eindeutig der im Kalten Krieg gegenüber Hannah Arendt geäußerte Zweifel: „Ich glaube nicht daran, daß Amerika die Sache schafft.‘“* In seiner ehemaligen Schülerin sieht er indessen die Möglichkeit, genau dort Einfluß zu gewinnen, damit die Sache doch geschafft werden könne: „Es wäre eine großartige und weittragende Sache, wenn der Übergang meines Denkens in die angelsächsische Sprachwelt durch Deinen überprüfenden Blick hindurch ginge und von ihm überwacht bliebe.‘ Aber die Verbreitung des Heideggerschen Denkens entzieht sich natürlich einer solchen bewußten Kontrolle — und das wiederum geschieht nicht unabhängig von seiner spezifischen Doppeldeutigkeit. So gewinnt es seit den siebziger Jahren vor allem durch Vermittlung des französischen Poststrukturalismus, insbesondere über Lacan, Foucault und Derrida, Einfluß im Westen.“ Wird die Welt auch „immer düsterer“, ist Europa auch „nur noch ein Name“, sieht der Oberhirte des Seins „trotz gesteigerter äußerer Bedrohung in allem eine Ankunft‘“ und bekennt sich bis zuletzt zum „Angriffscharakter“ seiner Philosophie”. Ungebrochen ist dabei der Bezug aufs Abendland und dessen Kern: Deutschland - sie werden „weltgeschichtlich aus der Nähe zum Ursprung“ begriffen. „Das ‚Deutsche‘ ist nicht der Welt gesagt, damit sie am deutschen Wesen genese, sondern es ist den Deutschen gesagt, damit sie aus der geschickhaften Zugehörigkeit zu den Völkern mit diesen weltgeschichtlich werden.“ Aber das ist nicht die Kinderhymne von Brecht, sondern nach wie vor das Deutschlandlied von Heidegger, denn weltgeschichtlich heißt Nähe zum Ursprung: „Die Heimat dieses geschichtlichen Wohnens ist die Nähe zum Sein.“ Deutschland, Deutschland am nächsten zum Sein. Die Gelassenheit, die Heiterkeit des Seinlassens, die Arendt als Ausdruck der Niederlage Deutschlands interpretiert hat, entpuppt sich als das Gegenteil: Vertrauen auf seinen Triumph. Und die Kehre, die Heidegger vollzogen hat, bedeutet zwar eine Abwendung von der Subjektivität, von der Möglichkeit des Eingriffs durch den Staat, sie ändert jedoch nichts an der Nähe zum Nationalsozialismus. „Soll aber der Mensch nocheinmal in die Nähe des Seins finden, dann muß er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren. (...) Der Mensch muß, bevor er spricht, erst vom Sein sich wieder ansprechen lassen (...).“® Nachdem der Führer, wahrer Leithammel des Seins, abdanken mußte, das ganze Debakel des Seienden hinterlassend, ist also der Mensch „Hirte des Seins“, nicht mehr „Herr des Seienden“. Aber das „Da“ kann ihn jederzeit wieder vor das „Seiende“ als solches bringen, der Bedrohung ausliefern, dem Tod aussetzen, ins Nichts hineinhalten, so daß er das Seiende vernichten muß, um das Sein zu wahren. Das „Totsein‘“, das Heidegger einst im „Sein zum Tode“ als Möglichkeit des Ganzseinkönnens beschworen hat, gehört nunmehr — nach der großen Vernichtung — zum „innersten Sein“ der Sterblichen, die durch die Vernichtung zum Ganzen geworden sind. Vernichtung und Ganzseinkönnen sind damit für das Sein je17