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Vorsehung Von irgendwoher kam ein deutsches Messerschmidt-Flugzeug. Wie ein Blitz sprang ich ins erstbeste Erdloch, das ich fand. Jemand sprang mir nach und packte mich an der Schulter. Es war mein Vater, den ich seit der Nacht des Mordens gesucht hatte. Nach dem ersten Angriff liefen wir zu einem anderen Bombentrichter etwas weiter weg von der Straße. Als das Bombardement aufhörte und wir uns wieder auf den Weg machten, kamen wir an der ersten Grube vorbei: sie war voller Bombensplitter... Der Vater erreichte mit seinen beiden Töchtern ein Flüchtlingslager tief in Sowjetrußland. Im Jahre 1945 wurde bekannt, daß die Stadt Kitoff von der Roten Armee befreit worden war. Dies weckte die Hoffnung, daß die Familie wieder zusammenfinden könnte. Unheilsbotschaft Mein Vater kam mit traurigem Blick von der Arbeit. Das wenige Essen, das ich für ihn vorbereitet hatte, wollte er nicht essen. Er ging schlafen ohne ein Wort gesagt zu haben. Am nächsten Tag und am übernächsten spielte sich dasselbe ab. Er ließ sich den Bart wachsen. Manchmal hörte ich ihn weinen. Ich sah, wie er vor meinen Augen weniger wurde. Ich versuchte, ihn zum Sprechen zu bringen, zu erzählen, was ihn bedrückte. Aber er schwieg, als lebe er in einer anderen Welt. In der Nacht hörte ich ihn wieder weinen und ging zu ihm. Müde lag er da und hilflos. Ich setzte mich zu ihm. Da lag mein sonst so starker Vater, Mitleid erweckend klein und schwach. Er streichelte mich, und im selben Moment erriet ich seine Gedanken: Es gibt keine Rückkehr mehr! Brandstiftung Am Morgen des siebenten Pessachtages 1942 erwachten die Einwohner des Judenviertels von Kitoff und wurden von panischem Schrecken befallen. Haßerfüllt brachen Deutsche und Ukrainer in ihre Häuser ein und zündeten sie an. Viele kamen in den Flammen um. Einige, die versuchten vor der Feuersbrunst zu flüchten, wurden von den Deutschen und ihren ukrainischen Spießgesellen erschossen. In unserem Haus versuchten drei verängstigte Menschen dem Unheil zu entkommen. Sie versteckten sich im Keller hinter einer schweren Eisentür in der Annahme, dort seien sie in Sicherheit. Als der Brand erlosch und die Mordaktion zu Ende war, fand man drei aneinander geschmiegte verkohlte Leichen. Mutter, Mordchele und Isiko — Gott räche ihr Blut - fanden in einem Massengrab ihre ewige Ruhe. Sarah (Surtsche) Krämer, geborene Locker, verschwand kurze Zeit nach dem Überfall der Deutschen auf Kitoff. Es ist nicht bekannt auf welche Art sie umgekommen ist. Jaffa Zins, geborene Schächter (1928 in Kuty/Kitoff, Polen) wanderte zusammen mit ihrem Vater und ihrer Schwester Ester im Jahre 1948 nach Israel ein und gründete eine Familie. Jaffas Bruder Mosche Schächter wurde von den Russen wegen zionistischer Tätigkeit verhaftet und verbrachte fünfzehn Jahre in einem Zwangsarbeitslager. 1960 wanderte er nach Israel aus. Gedichte und eine Kurzbiographie von Jaffa Zins: MdZ Nr. 4/1999, S. 21f. - Der vorliegende Text wurde von Bruni Blum bearbeitet. 9. V. 1444. 25