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Reinhold Eckfeld wurde am 25. September 1921 als drittes Kind von Wilhelm (Vilmos) und Eugenie Eckfeld in Wien geboren. Er wuchs im 19. Bezirk auf und wohnte in der Döblinger Hauptstraße 34. 1938 besuchte er das Bundesgymnasium (BG) 19 in der Gymnasiumstraße 83, von dem er am 29. April 1938 gemeinsam mit 103 anderen jüdischen bzw. im Sinne der Nürnberger Rassegesetze als jüdisch geltenden Mitschülern ausgeschlossen wurde. Im Zuge der Aufarbeitung dieser Verfreibung von Seiten des BG 19 gelang es, brieflichen Kontakt zu Reinhold Eckfeld zu knüpfen. Er war — wie viele Emigranten, die 60 Jahre lang wenig bis nichts von bzw. aus Österreich gehört hatten — zunächst zurückhaltend, und erst langsam faßte er Vertrauen in die Redlichkeit, mit der am BG 19 dieses traurige Ereignis der Vertreibung der jüdischen und als jüdisch geltenden Schüler behandelt wurde.' So gelangten zunächst einige kleine Teile eines Berichts, den er 1940/41 in den australischen Internierungslagern Hay und Tatura niedergeschrieben hatte, nach Wien. Es handelte sich dabei um die authentische Schilderung seiner Erlebnisse in der Novemberpogromnacht. Reinhold Eckfeld war am Vormittag des 10. November 1938 verhaftet und in der Nacht auf den 11. November auch mißhandelt worden. Da er noch keine 18 Jahre alt war, wurde er in den Morgenstunden entlassen und entging der Verschleppung in das KZ Dachau.’ Allerdings war ihm von diesem Moment an — wie so vielen anderen — klar, daß er in Wien keine Zukunft mehr haben werde und sein Weg und der seiner Familie nur mehr in die Emigration führen könne. Die Hindernisse und Schikanen, die mit dieser Emigration verbunden waren, zeichnete er ebenfalls im australischen Internierungslager auf. Dieser Bericht ist im folgenden in Auszügen wiedergegeben. Auslassungen sind durch [... ] gekennzeichnet.’ Angeschlossen ist diesem Text ein Brief, den Reinhold Eckfeld an seinen Freund M. in Wien nach seiner Ankunft in London schrieb. Dieser Brief konnte aber wegen des Ausbruchs des 2. Weltkrieges nicht mehr abgeschickt werden. In ihm werden die letzten Tage der schließlich geglückten Emigration Eckfelds geschildert. Was diesen Bericht so wertvoll macht, ist Reinhold Eckfelds genaue Beobachtung und schriftliche Festlegung von Begegnungen mit nationalsozialistischen Beamten, den Schikanen bei der Beschaffung aller Dokumente und Formulare, die für eine Emigration notwendig waren, und die exakte Schilderung von Gesprächen in den Warteschlangen vor den Schaltern, die die Verzweiflung dieser Menschen widerspiegeln. So entsteht für den heutigen Leser ein überaus anschauliches Bild dieser Phase der nationalsozialistischen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik. Dieses Bild wird auch noch durch den glücklichen Umstand verstärkt, daß Eckfeld über schriftstellerisches Talent verfügte. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichtes wußte Eckfeld noch nichts von den bis dahin unvorstellbaren Verbrechen der Nationalsozialisten, die bereits erfolgt waren bzw. noch erfolgen sollten. Hätte er davon gewußt, wäre es möglicherweise zu keiner Niederschrift seiner Erlebnisse gekommen. Wahrscheinlich sind viele andere Niederschriften aus diesem Grund unterblieben. Auf die Frage, warum er diesen Bericht angefertigt habe, antwortet Reinhold Eckfeld, er habe ihn zunächst nur für sich selbst geschrieben und ihn auch kaum je wieder gelesen. Allerdings vermutet er heute, daß die Niederschrift „vielleicht ein Versuch war, ein weit überlastetes Gedächtnis zu erleichtern und die Unruhe und Qual der letzten Zeit aus meinem Gehirn hinauszufegen“.* Reinhold Eckfeld hat Österreich und Wien nie wieder besucht. Heute lebt er gemeinsam mit seiner Gattin in Mount Waverley, einem Vorort von Melbourne. — M. Krist Am nächsten Morgen lasse ich mich durch Mama telephonisch bei Herrn W. [Achtung: Herr W. wird zweimal in den Fußnoten erklärt!] entschuldigen und berichtete meiner Familie, was sich zugetragen hat. Erfahre, daß am Morgen des 10. Novembers, nachdem ich bereits das Haus verlassen hatte, einige SS-Leute zu unserer Tür kamen, jedoch als ihnen geöffnet worden war, wieder weggegangen waren. Gegen Mittag war dann noch M.° gekommen und benachrichtigte Mama, wann und wo er mich gesehen hatte. Meine Nase war noch nach ungefähr einer Woche geschwollen,” aber der Schrecken blieb mir noch wochenlang in den Gliedern sitzen, und ich war in Hinkunft noch viel vorsichtiger als bisher in allem, was ich unternahm und tat. Eines war durch die Erlebnisse des 10. November völlig klar geworden, und es gab und gibt für mich keinen Zweifel darüber: Sollte es mal irgend jemand einfallen, Hitler oder irgend einen anderen der hohen Parteiführer zu töten oder das auch nur zu versuchen, so würde innerhalb von 24 Stunden das fürchterlichste Massaker angerichtet werden, gegen das das des 10. Novembers verbleichen würde. Was man an Juden in den Straßen träfe, das würde sofort erschlagen werden, ob Mann, ob Frau, ob Kind. Rauben, Morden und Plündern von Juden würde die Hauptaufgabe von Millionen losgelassener Bluthunde sein. Möge dieser Tag nie kommen. Am 10. November hielt Goebbels eine Rede, in der er sagte: Es handle sich bei den berichteten Ausschreitungen gegen die Juden in Deutschland um die Empörung der Massen, spontane Ausbrüche des Unwillens der deutschen Bevölkerung gegen eine weitere, schwarze verbrecherische Tat des Judentums — und im übrigen sollen sich diese Herren im Auslande nicht aufregen -; das Ganze, was passiert sei, wären einige eingeschmissene Fensterscheiben gewesen. — Er dementierte, daß es sich um so etwas wie eine geplante [Unterstreichung im Manuskript, M.K.] Ausschreitung gehandelt habe etc. etc. Fakten dazu: SS-Mann M. wurde bereits um fünf Uhr früh von PG (Parteigenossen) aus dem Bette zur Durchführung einer „Aktion“ herausgeholt. Mit der Zerstörung der Tempel wurde bereits um fünf Uhr früh begonnen. Arretierungen erfolgten etwas später um 7 Uhr, Hausdurchsuchungen ebenfalls (bei Herrn W.). Es waren alles SS- und SA-Männer, die diese durchführten. 39