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tatsächlich widersetzen sich viele dem Vergleich. Zudem verbreitet sich das Element der Brutalität. Gewalt wurde in die Kunst integriert und spielt sich als Protest gegen Gewalt auf. So wie es läuft, haben die bankrottesten Künstler die dicksten Bankkonten. Nullen zu formen fällt mir schwer, und ich machte den Fehler, mich über ihre Form lustig zu machen, was ein beispielloser Frevel ist. Ich gestaltete meine Ablehnung der Ausübung von Gewalt unter dem Deckmantel der Kunst. Konformismus und Wortklischees sind in Österreich gefragt. Zweifellos paßte ich nicht ins Schema. Abweichende Meinungen zu äußern ist in Österreich ein Todesurteil. Mein Gesicht ist wahrscheinlich eine Totenmaske, seitdem sie mich festlegen, bevor ich den Mund öffne oder meinen Griffel spitze. Natürlich verabscheue ich die Versuche, die Massenmörder zu „rehabilitieren“, aber die, die vorgeben, gegen sie zu sein, sind ihnen an Verlogenheit und Böswilligkeit gleich. Meine Frage ist: Wer übertrifft wen im Konflikt zwischen Revisionisten und „Antifaschisten‘“? Und wenn ich diese Frage stelle, spaße ich damit nicht. Was mich betrifft, so ist das Gegengift nicht weniger giftig als das Gift. Das Shoah-Geschäft blüht in Österreich. Viele verdienen mit dem Holocaust und benutzen ihn als Sprungbrett. Krokodilstränen zu vergießen ist eine lukrative Angelegenheit. Das Letzte was diese Vermittler wollen ist Sand im Getriebe. In all meinen Jahren in Österreich wurde ich nur von Antifaschisten und Philosemiten abgeblockt. Sie sind selbsternannte Räte, und sie erzählen die Geschichte, und erzählen sie auch mir, und Gott hewahre, daß sie aus berufenem Mund komme! Ist es bei solch einem Gefühlsmorast verwunderlich, daß Österreich im Spitzenfeld der internationalen Selbstmordstatistik liegt? Wenn das Doppelspiel normal ist, finden viele ‚den Mut zu einem feigen Abgang. Den Gegenspieler dazu zu bringen, sich selbst zu beseitigen, ist ein wunderbarer Ersatz fürs Abdrücken oder Messerziehen. Aber lassen Sie mich nach Princeton zurückkehren, der Stadt meiner Träume, der Stadt meiner vagen Ahnung von Glück, meiner Stadt der Harmonie. Ich hatte kein glückliches Familienleben. Meine Mutter, die eine grauenhafte Zeit durchmachte, war gut zu mir und brachte mir Anstand bei in einer Welt, die von Boshaftigkeit regiert wurde. Mein Vater zerbrach an der Emigration, und die Familie war das Ventil seiner Frustrationen. Aber es gab ja St. Paul und meine Klassenkameraden Buddy und Albert. Es ging mir so gut wie es sich ein Junge nur wünschen konnte. Und Princeton mit seiner englischen Atmosphäre war um mich und der Universitätscampus mit seinen Gebäuden im Tudorstil. Ich werde nie das Princeton Playhouse vergessen; es war im Kolonialstil erbaut. Dort wurden die Kategorie-A-Filme gezeigt, und im „Garden Theater‘ die B-Filme. Das Schauspielhaus hatte einen Technicolornimbus, und auf dem Namen „Garden Theater“ lag ironischer Weise eine Schwarzweißaura. Und neben dem Garden Theater war in einem echten Kolonialgebäude die Kinderbibliothek untergebracht. Dort lieh ich mir Bücher und las darin über Camelot. Princeton, was keine Wende zum Guten war, war mein Camelot und ist es noch. Kurz vor Kriegsende übersiedelten wir nach Locust Valley auf Long Island. Wenn man von Glen Cove kam, kündigte einer der Busfahrer an: „Lonesome Valley“. Und das war es. Es war ein gottverlassenes Nest, zumindest für mich. Ich hatte Freunde, aber keine wie Buddy and Albert. Mein Hund war dort mein bester Freund. Nach fünf Jahren in Valley zogen wir nach Trenton, wo ich die Lawrenceville Schule besuchte. Somit sollte Princeton wieder eine Rolle in meinem Leben spielen. Ich wußte, daß ich nie auf die Princeton Universität würde gehen können, weil ich ein mittelmäßiger Schüler war. Aber einmal kaufte ich mir im Universitätsladen ein rosa buttondown Hemd. Der alte Schotte, der es mir verkaufte, meinte ich sollte lieber auf die Universität gehen, hier oder anderswo. Genau das hätte ich vor, antwortete ich ihm, obwohl ich genau wußte, daß ich nie aufgenommen würde. Es war schwer genug, den Abschluß in Lawrenceville zu schaffen. Um Haaresbreite gelang es mir, und später kam ich knapp durch Columbia. Ich hielt mich gern in Princeton auf. Die englische Atmosphäre fand ich wunderbar. In der Nassau Street waren die Kleidergeschäfte, die dem Geschmack der Studenten entsprachen: Langrock, Douglas MacDaid, Saks Fifth Avenue and Hary Ballot. Ich liebte den Klang dieser Namen und die pure Tatsache der Existenz dieser eleganten Shops. Ich mochte die Balt Cafeteria, Renwick’s Restaurant und dazu Luttmans Lederwaren und Claytons Textilgeschäft. Herr Clayton schielte. Dies fiel mir auf, weil ich selbst eine kleine Neigung dazu habe. Ich kaufte meine Kleider bei Harry Ballot, das das preisgünstigste Herrenmodegeschäft war. Später wurde auch ein English Shop eröffnet, und dann wurden nach und nach alle geschlossen. Ballot hat ziemlich lange durchgehalten, aber jetzt ist auch er weg. Moden ändern sich und nach IvyLeague-Anzügen fragte keiner mehr. Ich frage mich oft wie mein Leben wohl aussähe, wenn ich Princeton als Wohnort gewählt hätte. Ich hatte gerade als vielversprechender Schriftsteller in den Staaten begonnen, aber was ich aufgebaut hatte, erwies sich als Kartenhaus. Als das zusammenbrach, blieb für mich dort nichts mehr zu tun. Damals schien es das Richtige zu sein, nach Österreich zu gehen. Ich wollte dahin zurückkehren, wo ich geboren war. Also arbeitete ich darauf hin und verwirklichte es. Als ich nach Österreich zurückkam, hatte ich naiverweise angenommen, daß ich meine doppelte kulturelle Herkunft zum gegenseitigen Gewinn nutzen könne, um als Übersetzer und Herausgeber die österreichische Literatur einem breiteren Publikumskreis vermitteln zu können. Während ich dies schreibe, ist mein Computer voll mit unveröffentlichten Übersetzungen von Anthologien, die ich sinnloserweise zusammengestellt habe. Ich habe viele eindrucksvolle Gedichte übersetzt und veröffentlicht, aber sie haben keine Beachtung gefunden. Meine Anthologien haben mir nur Mißachtung gebracht. Normalerweise mußte ich für die Rechnung geradestehen; und wenn es Tantiemen gab, waren sie so lächerlich niedrig, daß sie nicht einmal einen Teil der Kosten deckten. Jetzt träume ich in den Tag hinein und stelle mir ein Leben in Princeton vor. Denn ich würde ein zufriedenes Leben führen, ein Leben ohne Unfrieden, für den ich hier schon mit meiner Gesundheit und mit meinem Gefühlsleben Zoll zahlen mußte. Meine alten Freunde Buddy und Albert von St. Paul sind da, und ich hätte eine Reihe neuer Freunde. Wir würden Kulturausflüge nach New York machen, und dann säßen wir in einem Wohnzimmer in Princeton und diskutierten die Lage der Kunst und Literatur auf der Welt. Ich sehe mich mehr oder weniger zufrieden in dieser abgeschirmten Welt, und ich würde bedauern, nicht nach Europa gegangen zu sein. Ich würde mir in meiner Fantasie ausmalen, wie mein Leben dort wohl wäre. Ich hätte mir nie vorstellen 53